Magisch-religiöse Geschichten, erzählt mit Licht und Schatten
Als Geburtsort des Schattentheaters gilt das alte China. Dort soll es diese Theaterform bereits im zweiten Jahrhundert vor Christus gegeben haben. Der Legende nach ließ ein Kaiser der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) seine verstorbene Lieblingsfrau als Schattenbild anfertigen, um sie so wieder auferstehen zu lassen. Sozusagen eine Wiedergeburt als Schattenfigur.
Neue Leiterin ist stolz auf des Schattentheater-Festival in Schwäbisch Gmünd
Zu den traditionellen Stoffen des Schattentheaters gehören buddhistische und taoistische Legenden und Episoden der chinesischen Geschichte. Diese wurden mit Figuren nachgespielt, die aus Papier ausgeschnitten wurden. Später fertigte man die Figuren auch aus widerstandsfähigerem Leder an.
Chinas Schattentheater-Tradition ist heute immaterielles Kulturerbe
Mit der Zeit entwickelte sich das Schattentheater in China, Indien und Indochina zu einem wichtigen Teil der Volkskunst und diente der kulturellen Identität. Die meist aufwändig gestalteten, reich verzierten, feingliedrigen Figuren aus Tierhaut oder Pergament erzählten Geschichten von Herrschern, Riten, Legenden oder Göttern.
Im Jahr 2011 wurde das traditionelle chinesische Schattentheater von der UNESCO in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.
„Ombres chinoises“: Das chinesische Schattenspiel erobert Europa
Von Asien aus trat das Schattentheater im 17. Jahrhundert über die Türkei und Griechenland seinen Siegeszug nach Europa an. Während in Ostasien die Tradition geprägt war von religiösen Themen, waren es im Westen eher weltliche und komische Inhalte, die mit den Schattenfiguren erzählt wurden.
In Frankreich etablierte sich das Schattenspiel unter der Bezeichnung „Ombres chinoises“, die durch den Unterhaltungskünstler François Dominique Séraphin etabliert wurde. Der in Lothringen geborene Puppenspieler kombinierte Mitte des 18. Jahrhunderts in seinen Geschichten Schattenbilder mit Musik und gesprochenen Texten und begeisterte so das aristokratische Publikum in Versailles.
Seine Aufführungen mit beweglichen Figuren und Lichtprojektionen fanden große Anerkennung und wurden ein fester Bestandteil der höfischen Unterhaltung. Besonders angetan von seinen Darbietungen waren König Ludwig XVI. und seine Frau Marie Antoinette. Bis heute hat sich die Schattenspiel-Tradition in Frankreich erhalten, das Land ist nach wie vor eines der bedeutendsten Schattenspielländer Europas.
Mörike und Goethe schrieben fürs Schattentheater
Im 19. Jahrhundert gewann das Schattentheater auch in Deutschland an Popularität. Die Romantiker waren fasziniert von seiner Symbolik und Mystik. So wurde das Schattenspiel zu einer beliebten Darstellungsform für Märchen, Sagen oder allegorische Erzählungen.
Eduard Mörike, Ludwig Uhland, Clemens Brentano, oder Johann Wolfgang von Goethe schrieben eigene Stücke für das Puppenspiel. Der Dichterfürst und Naturforscher Goethe schätzte nicht nur das Spiel mit Farben, Licht und Schatten. Das Schattenspiel war für ihn ein künstlerisches Ausdrucksmittel, mit dem sich mit einfachen Mitteln Poesie, Fantasie und Realität miteinander verbinden lassen. Er soll sogar als Kind ein Schattenspieltheater besessen haben, das schon früh seine Leidenschaft für das Theater prägte.
Lotte Reiniger übersetzte das Schattentheater in den Film
Die Kunstform und Technik des Schattenspiels inspirierten Anfang des 20. Jahrhunderts auch die Berliner Filmemacherin Lotte Reiniger. Sie schnitt Figuren aus schwarzem Papier aus und filmte sie auf einem beleuchteten Tricktisch, um Bewegung zu erzeugen. Ihre Silhouetten-Animationen machten sie zu einer gefeierten Filmkünstlerin des expressionistischen Stummfilms.
Mit „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ schuf Reiniger den ersten abendfüllenden Animationsfilm der Filmgeschichte. Der Film, der 1926 in Berlin uraufgeführt wurde, verarbeitet Themen aus „Tausendundeine Nacht“.
1988 gründete der Puppenspieler Rainer Reusch das Internationale Schattentheater Festival in Schwäbisch Gmünd. Seither trifft sich in der baden-württembergischen Stadt alle drei Jahre die internationale Schattentheater-Szene zum Austausch und Performances an verschiedenen Orten in der Stadt. Seit 2023 hat Iris Meinhardt die Festival-Leitung inne. Auch bei seiner nunmehr 13. Ausgabe kann mit allerlei atemberaubenden Aufführungen gerechnet werden.