Traditionelle Schattentheater-Figuren aus dem chinesischen folkloristischen Pi Ying Xi. Die Figuren stammen von Künstler  Li Wenjiao.

Schattentheater-Festival Schwäbisch Gmünd

Schattenspiel im Wandel der Zeit: Kreativer Raum zwischen Licht und Schatten

Stand
Autor/in
Tobias Ignee
Onlinefassung
Dominic Konrad

Licht und Schatten bedingen einander, hielt Goethe in seiner Farbenlehre fest. Das Zusammenspiel dieser Gegensätzen ist die Grundlage des Schattentheaters, einer Kunstform, deren Ursprünge im antiken China liegen. Dass Schattentheater auch heute noch aktuell ist, beweist das Internationale Schattentheater Festival in Schwäbisch Gmünd vom 11. bis 17. Oktober 2024.

Schattentheaterspieler einer chinesischen Theatertruppe beim Spielen. Im Vorodergrund eine traditionelle chinesische Frauen-Schattenfigur.
Seine Ursprünge hat das Schattentheater in der Han-Dynastie des antiken China. Bis heute existieren in großen Teilen Ostasiens große Schattentheater-Kulturen, unter anderem in Indonesien, Japan und Indien.

Magisch-religiöse Geschichten, erzählt mit Licht und Schatten

Als Geburtsort des Schattentheaters gilt das alte China. Dort soll es diese Theaterform bereits im zweiten Jahrhundert vor Christus gegeben haben. Der Legende nach ließ ein Kaiser der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) seine verstorbene Lieblingsfrau als Schattenbild anfertigen, um sie so wieder auferstehen zu lassen. Sozusagen eine Wiedergeburt als Schattenfigur.

Zu den traditionellen Stoffen des Schattentheaters gehören buddhistische und taoistische Legenden und Episoden der chinesischen Geschichte. Diese wurden mit Figuren nachgespielt, die aus Papier ausgeschnitten wurden. Später fertigte man die Figuren auch aus widerstandsfähigerem Leder an.  

Chinesische Schattenspiel-Figuren aus der Qing-Dynastie
Besonders filigran gearbeitet sind diese Schattenspielfiguren aus der Qing-Dynastie (1644 - 1912)

Chinas Schattentheater-Tradition ist heute immaterielles Kulturerbe

Mit der Zeit entwickelte sich das Schattentheater in China, Indien und Indochina zu einem wichtigen Teil der Volkskunst und diente der kulturellen Identität. Die meist aufwändig gestalteten, reich verzierten, feingliedrigen Figuren aus Tierhaut oder Pergament erzählten Geschichten von Herrschern, Riten, Legenden oder Göttern.

Im Jahr 2011 wurde das traditionelle chinesische Schattentheater von der UNESCO in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.

Schattentheaterspieler spielt eine traditionelle chinesische Volksoperette (Daoqing) in der chinesischen Provinz Gansu.
In China gibt es viele regionale Variationen des Schattentheaters. Im Bild ist ein Schattenspieler aus der Provinz Gansu, der eine Volksoper (Daoqing) zum besten gibt.

„Ombres chinoises“: Das chinesische Schattenspiel erobert Europa

Von Asien aus trat das Schattentheater im 17. Jahrhundert über die Türkei und Griechenland seinen Siegeszug nach Europa an. Während in Ostasien die Tradition geprägt war von religiösen Themen, waren es im Westen eher weltliche und komische Inhalte, die mit den Schattenfiguren erzählt wurden.

In Frankreich etablierte sich das Schattenspiel unter der Bezeichnung „Ombres chinoises“, die durch den Unterhaltungskünstler François Dominique Séraphin etabliert wurde. Der in Lothringen geborene Puppenspieler kombinierte Mitte des 18. Jahrhunderts in seinen Geschichten Schattenbilder mit Musik und gesprochenen Texten und begeisterte so das aristokratische Publikum in Versailles.

Eustache Lorsay (1822-1871): Théâtre de Séraphin - Hinter den Kulissen eines Schattentheaters
Der Unterhaltungskünstler François Dominique Séraphin begeisterte mit seinen Schattenspielen die königlichen Gesellschaften in Versailles.

Seine Aufführungen mit beweglichen Figuren und Lichtprojektionen fanden große Anerkennung und wurden ein fester Bestandteil der höfischen Unterhaltung. Besonders angetan von seinen Darbietungen waren König Ludwig XVI. und seine Frau Marie Antoinette.  Bis heute hat sich die Schattenspiel-Tradition in Frankreich erhalten, das Land ist nach wie vor eines der bedeutendsten Schattenspielländer Europas.

Mörike und Goethe schrieben fürs Schattentheater

Im 19. Jahrhundert gewann das Schattentheater auch in Deutschland an Popularität. Die Romantiker waren fasziniert von seiner Symbolik und Mystik. So wurde das Schattenspiel zu einer beliebten Darstellungsform für Märchen, Sagen oder allegorische Erzählungen.

"Der kleine Prinz" als Schattentheaterstück: Der kleine Prinz erblickt die Rose. Aufführung im März 2023 in Dinslaken
Bis heute sind Märchenstoffe im europäischen Schattentheater enorm populär, etwa bei dieser Aufführung von „Der kleine Prinz“ nach Antoine de Saint-Exupéry im März 2023 in Dinslaken.

Eduard Mörike, Ludwig Uhland, Clemens Brentano, oder Johann Wolfgang von Goethe schrieben eigene Stücke für das Puppenspiel. Der Dichterfürst und Naturforscher Goethe schätzte nicht nur das Spiel mit Farben, Licht und Schatten. Das Schattenspiel war für ihn ein künstlerisches Ausdrucksmittel, mit dem sich mit einfachen Mitteln Poesie, Fantasie und Realität miteinander verbinden lassen. Er soll sogar als Kind ein Schattenspieltheater besessen haben, das schon früh seine Leidenschaft für das Theater prägte.

Lotte Reiniger übersetzte das Schattentheater in den Film

Die Kunstform und Technik des Schattenspiels inspirierten Anfang des 20. Jahrhunderts auch die Berliner Filmemacherin Lotte Reiniger. Sie schnitt Figuren aus schwarzem Papier aus und filmte sie auf einem beleuchteten Tricktisch, um Bewegung zu erzeugen. Ihre Silhouetten-Animationen machten sie zu einer gefeierten Filmkünstlerin des expressionistischen Stummfilms.

Mit „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ schuf Reiniger den ersten abendfüllenden Animationsfilm der Filmgeschichte. Der Film, der 1926 in Berlin uraufgeführt wurde, verarbeitet Themen aus „Tausendundeine Nacht“.

1988 gründete der Puppenspieler Rainer Reusch das Internationale Schattentheater Festival in Schwäbisch Gmünd. Seither trifft sich in der baden-württembergischen Stadt alle drei Jahre die internationale Schattentheater-Szene zum Austausch und Performances an verschiedenen Orten in der Stadt. Seit 2023 hat Iris Meinhardt die Festival-Leitung inne. Auch bei seiner nunmehr 13. Ausgabe kann mit allerlei atemberaubenden Aufführungen gerechnet werden.

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