Ein Handgemenge endet blutig
Rom am Abend des 29. Mai 1606: Es ist ein Streit, der den Rest des Lebens von Michelangelo Merisi bestimmen wird. Der Maler, besser bekannt als Caravaggio, ist stadtbekannt für sein aufbrausendes Temperament. Regelmäßig befindet er sich wegen Beleidigungen oder gewalttätigen Auseinandersetzungen in Konflikt mit dem Gesetz.
Bei einem Straßenfest kommt es zwischen Caravaggio, seinem Freund Onorio Longhi und Ranuccio Tomassoni, dem Sohn des Kommandanten der Engelsburg, zu einer Auseinandersetzung. Was der Anlass war, ist heute nicht zweifelsfrei überliefert: Ging es um Spielschulden? Ein verlorenes Tennis-Match? Eifersucht? Alles möglich.
Schnell eskaliert der Streit. Caravaggio und Tomassoni zücken schließlich die Schwerter. Nur der Künstler wird den Abend überleben… und Rom schwer verletzt den Rücken kehren.
Ein Maler mit einflussreichen Förderern
Caravaggio ist zum Zeitpunkt seiner Flucht einer der angesehensten Maler der Ewigen Stadt – und einer, der mit seiner Kunst aneckt. In Rom hat er als Mitarbeiter in der Werkstatt von Giuseppe Cesari angefangen, dem favorisierten Maler von Papst Clemens VIII. Dort entwirft er Blumen- und Früchtedekors für die Auftragsarbeiten des Meisters.
Schnell lernt Caravaggio, wie man Kunst in der religiösen Metropole vermarktet und sich bei den einflussreichen Fürsten, Bischöfen und Kardinälen ins Gespräch bringt.
1594 macht sich Caravaggio selbständig. Er ist 23 Jahre alt. Fünf Jahre später wird er in den Haushalt des Kardinals Francesco Maria Bourbon Del Monte augenommen, unter dessen Dach er Kost und Logis erhält.
Trotzdem arbeitet Caravaggio auch weiterhin für andere Auftraggeber in Rom. Einer der bedeutendsten, dessen Sammlung noch heute besteht: Kardinal Scipione Borghese, Begründer der Kunstsammlung der Galleria Borghese.
Aus Huren macht Caravaggio Heilige
Caravaggios Kunst provoziert. Mit seinem schmucklosen Naturalismus und der theatralen Inszenierung seiner Werke, vor allem aber durch das dramatische Spiel mit Licht und Schatten, hebt sich Caravaggio deutlich von seinen Zeitgenossen ab.
In den Heiligenbildern, die er für Roms Kirchen und Kardinalspaläste malt, beraubt Caravaggio die Heiligen der Aura des Übernatürlichen und setzt sie neben Bauern, Bettler und Kleinkriminelle. Märtyrergeschichten inszeniert er in drastischen Bildern mit spritzenden Blutfontänen und verwesenden Leichen.
Besonders pikante Vorwürfe erheben seine Konkurrenten auch bei der Wahl seiner Modelle: Caravaggio engagiere Prostituierte und Stricher, die für seine Heiligen- und Götterbilder posierten. Er solle nicht selten anschließend auch selbst mit ihnen verkehren. Gerade mit jungen Männern habe der Maler ausschweifende Affären.
Das Schockante gehört bis heute zum „Mythos Caravaggio“
Licht und Schatten, der Hang zum Düsteren und die Darstellung der Halbwelt: Gerne haben Biografen, Schriftsteller und Theatermacher versucht, von den Werken Caravaggios Rückschlüsse auf die Abgründe seiner Seele zu ziehen.
Ob sein Leben im Rom des frühen 17. Jahrhunderts wirklich so ungeheuerlich war, da sind sich moderne Forschende nicht mehr sicher. Caravaggio lebte in einem brutalen Umfeld. Der Umgang mit Prostituierten und Sex unter Männern waren vielleicht geächtet, aber bei weitem nicht so unüblich und skandalumwittert, wie man es sich heute vorstellen möchte.
Nicht wenige der frühen Quellen, auf denen der „Mythos Caravaggio“ beruht, sind biografische Abrisse, die nach seiner Flucht von direkten Konkurrenten des Malers veröffentlicht wurden. Sie sind entsprechend tendenziös und skandalheischend. Caravaggios Nachruhm haben sie aber mehr geholfen als geschadet.
Rastlos in Neapel, Malta und Sizilien
Nach dem Mord an Ranuccio Tomassoni verhängt der Papst den Bann über den Künstler. Er ist nun vogelfrei, und kann in Städten, die unter päpstlicher Verwaltung stehen, ohne Strafe umgebracht werden.
Caravaggio flieht, schwer verletzt, in das unter spanischer Herrschaft stehende Neapel. Hier kann der Maler an seine Erfolge aus der römischen Zeit anknüpfen. Er malt für Kirchen und im Auftrag des neapolitanischen Vizekönigs. Doch Caravaggio fühlt sich wie ein Vogel im goldenen Käfig.
Im Juni 1607 verlässt er die Stadt und flüchtet weiter nach Malta. Dort wird Caravaggio zum Ritter des Malteser-Ordens ernannt, aber schnell gerät er wieder in Konflikt mit dem Gesetz: Nach einer Auseinandersetzung mit einem anderen Ritter landet der Maler im Gefängnis. Er flieht und entzieht sich so der maltesischen Rechtsprechung.
Früher Tod unter ungeklärten Umständen
Caravaggio zieht weiter nach Sizilien, kehrt anschließend wieder nach Neapel zurück und landet schließlich in der Hafenstadt Porto Ercole in der Südtoskana. Hier will der Maler auf die Begnadigung des Papstes warten, mit der er wieder nach Rom zurückkehren kann. Ihre Ankunft wird er aber nicht mehr erleben.
Am 18. Juli 1610 stirbt Caravaggio mit nur 38 Jahren in einem Hospital. Die Umstände sind, wie so oft bei ihm, ungeklärt. Vielleicht war es ein Herzinfarkt oder ein Sonnenstich. Auch eine Vergiftung mit Blei, das für die Pigmente seiner Ölfarben verwendet wurde, wird als Todesursache in Erwägung gezogen.
So bleibt Caravaggio selbst schließlich vielleicht doch wie eines seiner Werke: Eine künstlerische Lichtgestalt, dramatisch inszeniert und eingehüllt in die finsteren Schatten unzähliger ungeklärter Fragen.