Am 28. August 2024 wäre der deutsche Nationalheilige Johann Wolfgang von Goethe 275 Jahre alt geworden. Ein Wanderer zwischen den Welten, ein freier, widersprüchlicher und kritischer Geist, der alles aufsaugen und verstehen wollte, was ihn umgab. Einmal war Goethe auch in Tübingen zu Besuch. Daran erinnert nicht nur eine Marmortafel.
Ein inoffizielles Schild
Schräg gegenüber dem Eingang zur Tübinger Stiftskirche und der alten Aula der Universität befindet sich in der Münzgasse ein herausgeputztes Haus mit barocker Fassadenmalerei und Ladengeschäft. An der Seitenfront des Gebäudes ist in Höhe des ersten Stockwerks auf einer Marmortafel zu lesen: „Cottahaus – hier wohnte Goethe 7. bis 16. September 1797.“
Wenn man den Blick auf das Studentenwohnheim nach links richtet, gibt es ein inoffizielles Hinweisschild aus schlichtem Holz mit der Aufschrift: „Hier kotzte Goethe“. Ein despektierlicher Studentenulk oder ist was dran an der Geschichte?
Ulrike Dahmen, die einige Jahre im Cottahaus eine Buchhandlung betrieb, kennt die Geschichte. Goethe habe an seinem ersten Abend im Gartenhaus des Apothekers Gmelin (heute heißt es „Goethehäuschen“) ein bisschen „über den Durst getrunken“, so dass ihm tatsächlich schlecht gewesen sei: „Ob er jetzt auf diesen Hof, auf dem wir stehen, wirklich gekotzt hat, das weiß ich nicht, aber scheint so gewesen zu sein.“
Goethe störte sich an Mist und Dreck in den Straßen
Klar ist auf jeden Fall, das der Dichterfürst sich nicht ganz so wohl in Tübingen gefühlt hat. In seinem Tagebuch vermerkte er:
Der Herrn Geheimrat war wohl von Frankfurt, Leipzig und Weimar anderes gewohnt. Und in Tübingen, das er auf der Durchreise in die Schweiz besuchte, war er auch nicht nur zum Vergnügen. Er traf dort den Verleger Johann Friedrich Cotta, bei dem auch Schiller veröffentlichte, der Cotta für den Besuch Goethes ans Herz legte: „Nehmen Sie ihn freundlich auf, er sieht auf so was. Und sehen Sie, dass Sie ihn mit einigen interessanten Personen bekannt machen.“
Der Verleger Cotta stimmte den Dichterfürsten Goethe versöhnlich
Neben dem Apotheker Gmelin, traf Goethe auch andere Honoratioren der Stadt, die ihn in ihre Gartenhäuschen einluden. Der clevere Verleger gab sich viel Mühe, es dem Gast so angenehm wie möglich zu machen, schließlich wusste er mit wem er es zu tun hatte.
Untergebracht war Goethe während seines Aufenthaltes in einem kleinen Zimmer im ersten Stock des Cotta‘schen Verlagsgebäudes, das wohl ebenso wie die Begegnung mit dem Verleger, den Dichterfürsten versöhnlich gestimmt hatte. Seinem Freund Schiller schrieb er:
Goethes Privatzimmer in Tübingen – auch Susan Sontag war da
Das Zimmerchen, in dem Goethe sich in Tübingen von den Verlagsverhandlungen ausruhte, ist heute übrigens Gästezimmer einer Privatwohnung und konnte noch bis vor ein paar Jahren immer wieder besichtigt werden, wie sich Ulrike Dahmen erinnert:
„Die Decke ist schrägt, die Fenster sind klein, die Tür ist sicherlich noch die alte, vom Mobiliar ein sehr schönes altes Sofa. Ob Goethe selbst drauf gesessen hat, weiß man nicht so genau, wahrscheinlich eher nicht. Und wenn man im Bett liegt und die Tür zu hat, kann man ein sehr schöne Goetheporträt auf der Höhe seines Ruhmes sehen. Das Zimmer hat nach wie Atmosphäre aus der Goethezeit.“
Böse Reiseberichte „Zum Kotzen schön“ – So lästern Goethe und Co. über den Südwesten
Schön sind die Ausflugsziele zwischen Mittelrhein und Bodensee. Doch nicht jeder ist Fan: Das verraten Berichte von Goethe, Mark Twain und anderen.
Eine Atmosphäre, die auch die Schriftstellerin Susan Sontag schnupperte. Bei einem Besuch im Tübinger Cottahaus im Jahr 2003 trug sie sich in das Gästebuch ein mit den Worten: „Respect to German literature and the Goethe-legend.“ Ein anderer Besucher fühlte sich vom Geist des Dichters zum Reimen angeregt und schrieb: „Preiset Goethinger und sein Zimmer, von nun an und immer.“
Mehr zu Johann Wolfgang von Goethe
Zu Goethes 275. Geburtstag Lutz Görner liest „Über allen Gipfeln ist Ruh"
Am 28. August ist Goethes 275. Geburtstag. Einer, der Goethes Leben und Werk auf eine unterhaltsame und gar nicht „klassikerhafte" Art vermitteln konnte, war Rezitator Lutz Görner.
Lesetipp Johann Wolfgang von Goethe – Die Leiden des jungen Werther
Anja Höfer empfiehlt einen Klassiker, der nicht nur zum Valentinstag aus dem Regal geholt werden kann: Johann Wolfgang von Goethes „Die Leiden des jungen Werther".
Gespräch Deutsche Romantik Museum Frankfurt zeigt „Werthers Welt – Das Werther-Jahr 1774“
„Die Sprache dieses Buchs ist epochal neu“, sagt Autor und Kurator Johannes Saltzweber zu Goethes Buch „Die Leiden des jungen Werthers". In der Ausstellung „Werthers Welt“ wird jeden Monat ein neuer Fokus gesetzt.
Gedichte und ihre Geschichte Johann Wolfgang von Goethe: Epiphanias
Johann Wolfgang von Goethe hat einige der bedeutendsten Werke deutscher Lyrik geschrieben - aber nicht nur, zumindest auf den ersten Blick. Goethes Gedicht über die Heiligen drei Könige klingt wie ein alberner, holpriger, schlecht gereimter Kindervers. Dafür gibt es jedoch einen Grund: Goethe schrieb das Gedicht für seinen Freund Carl Friedrich Zelter. Die Form folgt mit voller Absicht einem einfachen, derben Stammtischton. Zelter gründete 1809 die erste Liedertafel. Goethe hat mit diesem Liedchen wahrlich kein lyrisches Meisterwerk abgeliefert, und er wusste es. Doch er hat aus echter Zuneigung heraus ein Gedicht in genau dem Ton geschrieben, den sein Herzensfreund Zelter am meisten schätzte.