75 Jahre Komische Oper – auf theaterhistorisch bedeutendem Boden
Berlin, 23. Dezember 1947. Es ist ein bitterkalter Winter in der deutschen Hauptstadt. Zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg liegt die Stadt noch immer in Trümmern. An diesem Abend öffnet eine altbekannte Bühne unter neuer Leitung und mit neuem Namen ihre Pforten. An der Komischen Oper erklingt zur Eröffnung Johann Strauss‘ „Fledermaus“.
Dort, wo heute die Komische Oper steht, wurde bereits im 18. Jahrhundert Theatergeschichte geschrieben. Im Döbbelinschen Theater, das hier um 1765 entstand, brachte Johann Wolfgang Goethe 1774 seinen „Götz von Berlichingen“ zur Uraufführung, 1783 folgte Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“. Singspiele in deutscher Sprache gehörten schon damals zum Repertoire.
Das heutige Gebäude stammt im Kern von 1892. Im Auftrag des Wiener Das Metropol-Theater wurde es die beste Adresse für Liebhaber von Revuen und Operetten. Künstler*innen wie Fritzi Massary, Richard Tauber, Käthe Dorsch und Adele Sandrock traten hier auf, Franz Lehár bringt hier „Das Land des Lächelns“ zur Uraufführung.
Walter Felsenstein mit neuen Ideen fürs Musiktheater
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten bringt der stark jüdisch geprägten Operettenkultur Berlins ein jähes Ende. Das Metropol wird dem Reichspropagandaministerium unterstellt und im März 1945 bei einem Bombenangriff getroffen. Nur der Zuschauerraum überlebt den Bombenhagel.
In dieser Bauruine eröffnet Walter Felsenstein 1947 die Komische Oper. Felsenstein, der das Haus bis zu seinem Tod 1975 leitet, legt den Fokus seiner Arbeit auf handlungsgetriebene Inszenierungen und setzt damit neue Maßstäbe für das internationale Musiktheater.
Felsenstein holt Künstler*innen wie Tom Schilling, Jean Weidt, Kurt Masur, Rolf Reuter, Götz Friedrich und Joachim Herz nach Berlin. Er lässt die Opern, die in seinem Haus gespielt werden, grundsätzlich ins Deutsche übertragen – eine Tradition, die bis heute nachwirkt. Die Zuschauer*innen sollen die Handlung, der sie für mehrere Stunden auf der Bühne folgen, auch verstehen können.
Den Idealen Felsensteins fühlen sich auch seine Nachfolger verpflichtet. Joachim Herz, Harry Kupfer und Andreas Homoki folgen auf dem Posten des Chefregisseurs und prägen das künstlerische Profil des Hauses für über fast 40 Jahre.
Intendant Barrie Kosky 2021 im Gespräch mit SWR2:
Frischen Wind bringt der Australier Barrie Kosky
Oper kann alles, nur nicht langweilig! Barrie Kosky, der sich selbst als „schwules jüdisches Känguru“ bezeichnet, pustet mit frech-frivolen Inszenierungen den Staub von den Opernpartituren. Als international gefragter Regisseur holt Kosky Koproduktionen mit den größten Häusern Europas nach Berlin. Seine „Zauberflöte“ wird zum international tourenden Kassenschlager, Schostakowitschs „Nase“ realisiert die Komische Oper mit der Londoner Royal Opera und Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ mit den Salzburger Festspielen.
Kosky verschafft seinem Haus auch mit neuem Repertoire internationale Beachtung. Der Berliner Jazz-Operette bietet er an seinem Haus einen festen Platz, mit amerikanische Musicals wie „Anatevka“ und „West Side Story“ holt er ein Publikum an sein Haus, das ansonsten mit Oper nicht in Berührung kommen würde.
Internationaler Erfolg: Koskys animationslastige Inszenierung der „Zauberflöte“:
Die Arbeit wird honoriert: Die Fachzeitschrift Opernwelt zeichnet die Komische Oper 2013 als „Opernhaus des Jahres“ aus, auch das Ensemble und der Chor können sich 2015 über internationale Auszeichnungen freuen. Nach zehn Jahren verabschiedet sich Kosky im Sommer 2022 mit einer großen Gala-Revue und einem musikalischen Portfolio zwischen Jazz, Klezmer, Chanson und Operette.
Frischzellenkur als Geburtstagsgeschenk
Zu ihrem 75. Geburtstag darf sich die Komische Oper über eine Renovierung freuen. Nicht nur oberflächliche Kosmetik, sondern eine Rundumerneuerung ist für das Theater geplant. Sie ist auch dringend notwendig, denn die letzte große Sanierung liegt fast 60 Jahre zurück. Seit 2019 schützt ein Netz das Publikum vor dem bröckelnden Putz der Saaldecke. Die Sanitäranlagen und die Saaltechnik sind mehr als nur ein bisschen in die Jahre gekommen.
Teure Sanierung: Ist die Komische Oper Berlin in Gefahr?
Direkt neben dem heutigen Haupthaus soll an der Glinkastraße ein neues Besucherzentrum mit Workshopräumen, Restaurant und Dachterasse entstehen. Auch neue, moderne Probenräume und Probebühnen finden im Neubau ihren Platz.
Sanierung und Erweiterung der Komischen Oper:
Mindestens fünf Jahre muss das neue Intendant*innenteam Susanne Moser und Philip Bröking die Komische Oper in fremden Sälen, vor allem in der Ausweichspielstätte im Schillertheater, zum Strahlen bringen. Und dann erstrahlt die alte Tante Komische Oper zum 80. Geburtstag hoffentlich wieder in neuem Glanze.