Buchkritik

Stephan Wunsch: „Verrufene Tiere – Ein Bestiarium menschlicher Ängste“

Stand
Autor/in
Pia Masurczak
Pia Florence Masurczak

Hai, Spinne, Schlange, Kraken – wenn wir Tiere beschreiben, sprechen wir eigentlich vor allem über uns. In seinem Buch „Verrufene Tiere“. beschreibt Stephan Wunsch die Geschichte der Beziehungen von Tier und Mensch – von der alttestamentarischen Schlange über Rassenlehre anhand von Hyänen und Hunden bis zum mechanischen Hai in Steven Spielbergs Megahit.

Bei Spinnen, Schlangen und Haien zucken wir instinktiv zusammen

Es gibt sie, diese Tiere, die bei den meisten Menschen spontan Angst oder Ekel auslösen. Wir zucken fast instinktiv zusammen, wenn eine Wespe uns vorm Gesicht herumfliegt, oder ein achtbeiniger Schatten – viel mehr ist es ja meist nicht – hinterm Sofa verschwindet. Spinnen, Quallen, Schlangen, Haie – allesamt Geschöpfe mit mehr als zweifelhaftem Ruf, betrachtet man sie als durchzivilisierter, neurotischer Mensch.

Verletzt oder tötet ein Hai einen Menschen, wird das von den Medien weltweit verbreitet. Dabei passiert das äßerst selten. Die Haiangriff-Datenbank „International Shark Attack File“ (ISAF) in Florida verezeichnet durchschnittlich weltweit rund 80 Unfälle mit Haien.
Verletzt oder tötet ein Hai einen Menschen, wird das von den Medien weltweit verbreitet. Dabei passiert das äußerst selten. Die Haiangriff-Datenbank „International Shark Attack File“ (ISAF) in Florida verezeichnet durchschnittlich weltweit rund 80 Unfälle mit Haien.

Angenehm beiläufig vermittelte Naturkunde

Zu tief sitzt unsere jahrhundertealte Abscheu. Da reicht es nicht aus, einfach die faszinierenden Eigenschaften von Spinnfäden oder den perfekt für die Unterwasserjagd geformten Hai-Körper zu betonen. Wobei Stephan Wunsch angenehm beiläufig Naturkunde mitliefert:

Die Haut der Haie ist mit kleinen Zähnen übersät, die gleichmäßig nach hinten gekämmt sind. Streichelt man einen Hai von vorn nach hinten, fühlt er sich glatt an; in der entgegengesetzten Richtung wirkt die Haut wie Sandpapier.  […] Manche Arten haben so scharfe Hautzähnchen, dass sie einem Angreifer damit Wunden beibringen können. Eine Ganzkörperwaffe.

Wenn wir Tieren beschreiben, sprechen wir über uns selbst

Eigentlich aber geht es dem Autor um uns, um die Menschen und wie wir verzweifelt versuchen, uns in den Tieren wiederzuerkennen, zu spiegeln oder eben – wie in diesen Fällen – eine möglichst scharfe Trennlinie zu ziehen. Und keine Tiere eignen sich dafür offenbar so gut wie die, vor denen wir uns fürchten.

Mit Hunden ist also gut ein Untertanenstaat einzurichten, für die Revolution dagegen eignen sie sich nicht. Mit Hyänen verhält es sich umgekehrt. Sie unterwerfen sich nicht, sie taugen nicht zu Knechten. Das Wolfsrudel bildet sich um ein Elternpaar herum und ist im Grunde eine Kleinfamilie, bekanntlich die Keimzelle staatlicher Ordnung. Hyänen dagegen sind in größeren Verbänden unterwegs, die man sich geeinigt hat, Clans zu nennen. […] Sie werden von Weibchen geführt, die matriarchale Dynastien begründen und aufrechterhalten.

Symbolbild: Zwei Europäische Wölfe (Canis lupus) in einem Wald in Deutschland
Zwei Europäische Wölfe in einem Wald in Deutschland

Anders und doch unheimlich ähnlich – Das Tier als Gegenbild

Wir Menschen, schreibt Wunsch, hätten nie daran gezweifelt, dass Tiere nicht einfach nur da sind, sondern auch etwas bedeuten: als Gegenbild, als das Andere oder das unheimlich Ähnliche, als Götter oder Dämonen oder irgendwas dazwischen:

Ohne den Vorfall mit der Schlange und der verbotenen Frucht hätten Adam und Eva schön friedlich im Paradies sitzen bleiben können. Es wäre ein Ort der Unschuld geblieben, ohne irgendwelche Schamgefühle. Ohne Neugier, ohne Erotik, ohne Überraschungen, ohne das Ringen um Richtig und Falsch. Wir müssen uns das monotheistische Paradies als eine Hölle der Langeweile vorstellen, der Ahnungslosigkeit, der Stagnation. Danke, Schlange.

Gemälde von Domenichino: Gott bestraft Adam und Eva für ihren Ungehorsam
In seinem Bild „Gott bestraft Adam und Eva für ihren Ungehorsam“ von 1626 zeigt der italinische Maler Domenichinos die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies.

Was alttestamentarisch oder mittelalterlich klingt, ist, und das zeigt Stephan  Wunsch, dem vermeintlich rationalen 20. Jahrhundert alles andere als fremd. Da macht Steven Spielberg in „Der weiße Hai“ letztlich auch nichts anderes, als eine listige, brutale, gänzlich unverfügbare Kreatur zu schaffen, die an unseren Grundfesten rüttelt:

Aller menschlichen Verfeinerung, Überhöhung, Sublimation des Körperlichen ein gleichgültiger Hohn. Die schiere Möglichkeit des Hais ist ein Dementi aller Poesie; und nur ein Narr könnte davor nicht die allergrößte Angst haben.

Das alles hätte angesichts eines Schnelldurchlaufs durch die Kulturgeschichte der Tier-Mensch-Beziehungen, ein überladener Text werden können. Doch Stephan Wunsch schreibt seine Menschenkunde mit leichter Hand – gerade auch dann, wenn bei den furchterregendsten „Verrufenen Tieren“ Projektion und Realität ganz weit auseinanderklaffen. Zum Beispiel, wenn bei den Dreharbeiten zu „Der weiße Hai“ das mechanische Ebenbild des – angeblich – effizientesten Killers der Weltmeere nicht einmal schwimmen kann und auf den Meeresgrund sinkt.

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