Buchkritik

Hua Hsu – Stay True

Stand
Autor/in
Oliver Pfohlmann

Eine wahre Geschichte über Freundschaft und Verlust: Hua Hsu erzählt in seinem eindrucksvollen Memoir „Stay true“ vom Kalifornien der Neunziger Jahre und dem Erwachsenwerden als Amerikaner asiatischer Herkunft. Für sein Buch erhielt er 2023 den Pulitzer Preis.

Manche Freunde ergänzen uns, heißt es in Hua Hsus eindringlichem Erinnerungsbuch. Andere dagegen verkomplizieren uns. Die kurze, allzu kurze Freundschaft zwischen dem damals 18-jährigen Autor und einem Kommilitonen namens Ken im Kalifornien der Neunziger gehörte eindeutig zur zweiten Gruppe.  

Schonungsloses Selbstporträt 

Zum Glück für den Autor, muss man sagen. Denn sein schonungsloses Selbstporträt als Student in Berkeley ist das eines verklemmten, egozentrischen Nerds, der um jeden Preis anders sein wollte als der verachtete „Mainstream“. Seine Hemmungen habe er hinter aufgesetzter Coolness und fragwürdigen Prinzipien versteckt.

Schon eine schlechte CD-Sammlung galt ihm damals als eine „moralische Schwäche“. Erst sein Freund Ken, der so ganz anders tickte als er, brachte ihn dazu, seine selbstgesteckten Grenzen infrage zu stellen. 

Er stichelte oft gegen die Persona, die ich mir aufgebaut hatte. Warum bestand ich darauf, so seltsam zu sein? Was veranlasste mich, immer das ungewöhnlichste Gericht auf der Speisekarte zu bestellen? War das nicht alles ein Trick, um andere auf mich aufmerksam zu machen? Insbesondere, sagte er, ‚künstlerisch veranlagte, alternative‘ Mädchen? 

Wie werden wir zu denen, die wir sind? 

„Stay true“, bleib dir treu, habe unter jeder von Kens E-Mails gestanden, erinnert sich der Ich-Erzähler. Der liebevoll spöttische Insiderwitz dient nun auch als Titel dieses eindrucksvollen Memoirs über die Geschichte einer Freundschaft und die Vielschichtigkeit unserer Identität.

Hua Hsus von Anette Grube vorzüglich übersetzte Prosa ist luzide und von einer ganz eigenen Mischung aus Verzweiflung und Humor geprägt. In ihr stellt der Autor Fragen wie: Wie werden wir zu denen, die wir sind?

Welchen Einfluss haben Freunde und Herkunft auf unsere Persönlichkeit? Wie sähe unser Leben aus, hätte das Schicksal eine Freundschaft nicht vorzeitig beendet? Und wie lässt sich die Erinnerung an einen Menschen schreibend bewahren?  

Hua Hsu ist Sohn taiwanischer Einwanderer und wurde 1977 in den USA geboren. Heute schreibt er für den „New Yorker“ und lehrt Englische Literatur. Sein Memoir führt zurück in die Zeit von Nirvana, Bill Clinton und AOL-Chatrooms.

Als der Ich-Erzähler Ken erstmals im Wohnheim begegnet, ist sein Urteil über den selbstbewussten Kommilitonen schnell gefällt: Er kann ihn mit seiner Lebensfreude und seiner weißen Freundin „nicht ausstehen“.

Dennoch freunden sich die beiden allmählich an, in nächtelangen Debatten auf dem Balkon über Derrida und die Subtexte in Kung-fu-Filmen. Bald schon fahren die beiden, Songs grölend, durch die San Francisco Bay oder machen sich in Internetforen über konservative Vertreter der weißen Mehrheitsgesellschaft lustig.  

Als Asiate zu wenig „Persönlichkeit“ fürs Fernsehen 

Denn Ken und der Ich-Erzähler haben einen ähnlichen Hintergrund, sie sind beide asiatischer Herkunft. Es ist nicht zuletzt Kens Suche nach Vorbildern für junge „Asian-Americans“, die beim Ich-Erzähler zu einem erwachenden politischen Bewusstsein führt.

Als Ken mit seinem Talent als Komiker eine Castingagentin kontaktiert, lässt die ihn abblitzen; asiatische Amerikaner hätten einfach zu wenig „Persönlichkeit“ fürs Fernsehen. 

Ich dachte nie daran, meinesgleichen im Kino oder im Fernsehen zu sehen. Wir waren viel zu cool für diesen Mist. Es geht ums Prinzip, sagte er. Unsere Generation ist aufgeklärter und toleranter und bunter als je eine zuvor. Wir hatten Mauern fallen sehen. Und doch gab es in der Version der Realität dieser mächtigen Casting-Agentin keinen Platz für Leute wie uns?

Zufallstat oder Hassverbrechen? 

Am Ende sind dieser Freundschaft keine drei Jahre beschieden; eines Nachts wird Ken das Opfer eines Raubmordes. Gleich nach der Tat versucht der Ich-Erzähler, seinen Freund im Schreiben wieder auferstehen zu lassen.

Er sammelt Erinnerungsstücke, stellt sich quälende Fragen wie die, ob die Tat wirklich nur Zufall oder doch ein Hassverbrechen war. Oder ob er sie hätte verhindern können, hätte er sich nicht vorzeitig verabschiedet, um früher bei seiner Freundin zu sein.

Keine Frage: Mit seinem Memoir „Stay true“ hat Hua Hsu ein Buch von langsam glühender Intensität vorgelegt, dessen Lektüre noch lange nachhallt.  

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Oliver Pfohlmann