Buchkritik

Katja Oskamp – Die vorletzte Frau

Stand
Autor/in
Alexander Wasner

Von der Geliebten zur Pflegerin – das passiert der Heldin in Katja Oskamps neuem Roman „Die vorletzte Frau“. Die Leipziger Autorin erzählt von einer langjährigen Liebe zu einem Schweizer Schriftsteller – und was dabei passieren kann.

Dem passionierten Leser begegnen ja ständig Menschen, die sagen, sie kämen in ihrem Leben gar nicht zum Lesen. Aber dieses Leben sei ja eh so spannend und voller Abenteuer, dass man es auch als Roman bezeichnen könnte, den sie mit Leichtigkeit schreiben könnten, wozu sie jedoch nicht kämen.

Das stimmt natürlich überhaupt nicht, denn erst einmal muss jemand in der Lage sein, aus so einer Lebensmasse einen Roman zu schnitzen oder eine Schneise durch diesen Lebensdschungel zu schlagen, eine Perspektive zu finden, hinzuweisen, auf erzählenswerte Details am Wegrand.

Und genau darin ist die ostdeutsche Schriftstellerin Katja Oskamp eine echte Meisterin. In ihrem neuen Buch „Die vorletzte Frau“ schlägt sie eine beeindruckende Schneise durchs eigene Leben, und ein bisschen ist es die berühmte Schneise der Verwüstung.

Die Erzählung einer Dichterliebe

Katja Oskamp erzählt von einer Dichterliebe. Eine ostdeutsche Frau verliebt sich im Studium in den 19 Jahre älteren Dozenten, einen berühmten Schweizer Schriftsteller mit einem Hang zur Hochliteratur wie zu den besseren Kreisen.

Er ist unglücklich mit einer hysterischen Schauspielerin liiert, sie hat ein Kind mit einem Generalmusikdirektor, der zur Selbstinszenierung neigt – die Szene, in der er auf einem Arm das gemeinsame Kind und in der anderen eine flammenschlagende Pfanne hält, ist ikonisch. 

Und auch der Beginn der Liebe zum Schriftsteller ist, sagen wir mal, recht drastisch:

Als wir die Kneipe verließen, griff ich Tosch zwischen die Beine. Das war neu. Tosch legte mich vor dem Joseph Pub mit Krawumm auf die Motorhaube eines parkenden Autos.

Robert Musils aphrodisierende Wirkung

Katja Oskamp schreibt flüssig, sehr leicht, mit einem sicheren Gespür für Komik, Drastik, Peinlichkeit und Spannung. Die literaturhistorische Institution Robert Musil, ja genau, der vom „Mann ohne Eigenschaften“, hat selten in seiner Wirkungsgeschichte aphrodisierende Wirkung gezeigt– aber zwischen der Heldin und Tosch funkt es ausgerechnet über die Erzählung „Tonka“.

Sie schneidet eine Kopie der Geschichte zu Papierschnipseln, wirft sie auf den Boden und fischt daraus Schnipsel, um sie zu einer neuen Erzählung zu kompilieren. Sie bückt sich, er sieht ihren Hintern, als er ihr das sagt, erwidert sie: Du verarschst mich.

Und damit sind wir beim zentralen Thema: Die Heldin schreibt, nach einem Gespräch mit der Psychotherapeutin:

Ich war gern unten. Dr. T tippte das Thema an; verstanden habe ich es erst mit Tosch.

Ein Buch ganz nah an Oskamps Leben

Die Unterwerfung der Frau, teils gewollt, teils sozialisiert, ist eins der großen Themen im Buch. Sie rutscht vor den Männern herum, bückt sich, will die untere Hälfte vom Brötchen, saugt lieber den Boden, als den Staub von der Lampe zu wischen. Dem Mann dagegen, Tosch

bereitete es Freude ganz oben mitzuspielen. … Der Sohn eines Politikers kannte sich aus mit den ungeschriebenen Gesetzen der höheren Kreise.

„Die vorletzte Frau“ wirkt beeindruckend ungestelzt und würde als reine Geschichte einer Mesalliance gut funktionieren, aber es gibt noch eine weitere Ebene. Denn gleichzeitig ist das Buch ja nun mal nah am Leben Katja Oskamps.

Der Held, der Tosch genannt wird, ähnelt schon sehr Thomas Hürlimann, dem Schweizer Großschriftsteller, der z. B. durch „Fräulein Stark“ bekannt wurde und von dem man weiß, dass er sehr lange mit Katja Oskamp zusammen war. Das Buch erzählt von seiner schweren, mehrfach lebensgefährlichen Krebserkrankung.

Biografie, Erzählung oder Autofiktion?

Die Erzählung schmiegt sich so eng an die bekannten Fakten ihrer Biografie, dass man beim Rezensieren immer wieder zögert, ob man hier ein Buch oder ein Leben bespricht.

Aber das ist natürlich Unsinn. Zu besprechen gibt es nur das Buch. Das destilliert aus dem ganzen Leben eine Geschichte der Liebe, aber auch eine der Krankheit und der fortgesetzten Kränkungen. Das Lesen wird manchmal geradezu zur Zumutung: Will man wirklich wissen, was bei einer Prostata-Erkrankung im Bett passiert – und an welcher Stelle der Werkbiographie ein Blasenverschluss steht?

Es ist ein wenig so, wie in einer Backstage-Geschichte aus dem Theater: Vorne läuft die Geschichte, ihre Erzähler aber führen ein von dieser Geschichte getrenntes, in diesem Fall, schwieriges Leben. Die Krankheit tobt, die Heldin wird zur Pflegerin, das oben und unten gilt weiterhin, sie opfert sich, er kämpft heroisch ums Leben.

Eine Beziehung zwischen Oben und Unten, Ost und West

In dieser Phase fängt sie, zunächst auch aus wirtschaftlichen Gründen und wegen einer Schreibblockade, an, als Fußpflegerin zu arbeiten. Die Geschichten, die sie hört, schreibt sie natürlich auf. Es sind viele, während sie die Füße ihrer Klienten mitten im Plattenbau-Ghetto Marzahn pflegte, daraus wird eine Zeitungskolumne, danach ein veritabler Bestseller: „Marzahn, mon amour“.

Aber da ist die Beziehung zwischen Oben und Unten, zwischen Ost und West, der Oskamp-Figur und der Hürlimann-Figur, kurz zwischen Mann und Frau nach 12 Jahren endlich zu Ende und man erfährt, warum der Roman „Die vorletzte Frau“ heißt.

Später, wenn man dieses Buch gelesen hat und anschließend über Katja Oskamps Bestseller stolpert, werden diese Bücher einen Hauch dunkler.  Die Erzählung von der Literatenmesalliance verändert die Erinnerung an ihre Bücher, wenn man sie gelesen hat.

Manches bleibt sehr lange im Kopf

So, und damit kommt noch eine Ebene dazu: Es ist halt auch, muss man in diesen in Ost-West-Dingen aufgeladenen Zeiten noch einmal sagen, so, dass die Erzählung von Oben und Unten auch eine von Ost und West ist, von westlicher Arroganz und östlicher Selbstverkleinerung.

Und auf einmal blitzt die Idee auf, dass der Osten evtl. in seinen Ego-Problemen etwas geradezu Weibliches hat, der Westen dagegen hier als untergehendes, altes weißes Männersystem geschildert wird, die kapitalistischen Krisen also solche des Unterleibs sind, aber da gerät das Buch in eine wohl besser literaturwissenschaftlich weiterzuverfolgende Sphäre.

Es sind 200 Seiten, über die man auch länger nachdenken könnte – Autofiktion und hochliterarische Verdichtung des gegenwärtigen Deutschlands – beides steckt in Katja Oskamps neuem Buch. Und auch noch ein gutes Stück Liebeskomödie. Man liest es gerne, und manches bleibt sehr lange im Kopf.

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