Wie wirkt die Therapie mit Tieren?
Lebhafte Frettchen öffnen Kinderherzen. Die Gemütsruhe einer Schildkröte motiviert dazu, über sich selbst nachzudenken. Und Hunde oder Pferde strahlen oft Sicherheit und Geborgenheit aus. Diese "'Heilkraft" der Tiere beziehen Fachkräfte in Therapie und Pädagogik in ihre Arbeit mit ein.
Ein Tier wiederum hat feine Antennen für die Stimmung und das Verhalten eines Menschen und reagiert sehr direkt. Schon Sigmund Freud stellte fest: Kindern komme dieses unverblümte Feedback sehr entgegen.
Aber auch viele Erwachsene stellen fest, dass sie sich einem Vierbeiner oder Kleinsäuger ungezwungener zuwenden und anvertrauen. Viele sind im Austausch mit einem Tier auch achtsamer, sie bemühen sich um seine Aufmerksamkeit und reflektieren ihre Körpersprache.
In der Tiertherapie übernimmt allerdings nicht das Tier die Therapie, sondern die Fachkraft. So entsteht eine dynamische Dreier-Konstellation. Die behandelnde Therapeutin oder der Pädagoge beeinflussen das Arrangement zwischen Patient und Tier.
Vögel als Gesellschaft am Krankenbett im 19. Jahrhundert
Therapie mit Tieren hat bereits Geschichte: Florence Nightingale, die britische Pionierin der Krankenpflege, hatte auf diesen guten Einfluss bereits im 19. Jahrhundert hingewiesen. Sie hielt zum Beispiel Vögel für eine hervorragende Gesellschaft am Krankenbett. In Deutschland starteten damals die Von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld mit Tieren in der Therapie für Epilepsie-Kranke.
Doch erst der amerikanische Kinderpsychologe Bors M. Levinson machte diese spezielle emotionale Verbindung einer breiteren Öffentlichkeit bekannt: 1969 erschien sein Buch „Pet-oriented child psychotherapy" – eine am Lieblingstier ausgerichtete Psychotherapie für Kinder.
Bisher keine Qualitätsstandards in der Therapie mit Tieren
Der Berufsverband „Tiergestützte Interventionen“ und internationale und europäische Institute fordert heute Ausbildungs- und Qualitätsstandards für die Therapie mit Tieren. Der Vorwurf: Zu oft würden Tiere der Begegnung mit fremden Menschen einfach schutzlos ausgeliefert. Ihr Wesen und ihre Eignung werde missachtet.
Gleichzeitig passiere es laut dem Verband häufig, dass die Wirkung der Tiere auf den Menschen nicht professionell aufgegriffen und eingeordnet wird.
Therapie mit Delfinen ist in Deutschland verboten
Die Delfin-Therapie ist ein prominentes Beispiel für die Schutzlosigkeit von Tieren. Delfine sind wilde Meerestiere, die in Gefangenschaft und in kleinen Becken in großen Stress geraten können. Die kommerzielle Arbeit mit ihnen ist in Deutschland verboten, in anderen Ländern allerdings nicht.
Ob die teuren Begegnungen mit den Meeressäugern dort auch einen nachweisbaren Erfolg haben, ist in Fachkreisen umstritten. Der deutsche Tierschutzbund hält Wildtiere grundsätzlich für ungeeignet in sogenannten tiergestützten Interventionen.
Therapie mit Tieren nur unter dem Prinzip der Freiwilligkeit
Und auch Meerschweinchen, Mäuse, Kaninchen, Ratten etwa sind keine Streicheltiere. Nur ein von den Tieren ausgehender freiwilliger Nahkontakt in der Therapie ist zu akzeptieren. Ein ständiger Rückzug der Tiere muss möglich sein.
Für Hunde, Pferde, Esel, Ziegen, Schafe und Schweine sind Begegnungen mit unbekannten Menschen hingegen meist einfacher und problemloser. Und für Hühner. Das Prinzip der Freiwilligkeit gilt hier natürlich ebenfalls.
Was kann die Therapie mit Tieren bewirken?
Studien haben gezeigt: Der Spiegel des Stresshormons Cortisol sinkt und der Puls verlangsamt sich, wenn Menschen sich Tieren widmen. Und viele Menschen sprechen zu Tieren auch spontaner und freier. Kriegstraumatisierte Soldaten etwa berichten davon in Therapieterminen mit Hunden.
Schizophrenie, MS, Alzheimer: Beobachtungen zeigen positive Wirkung von Tiertherapie
Es gibt immer mehr positive Erlebnisberichte, doch noch relativ wenige wissenschaftliche Belege für den Erfolg der tiergestützten Therapie und Pädagogik. Ein Team der Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore kam zu dem Ergebnis, dass ein Kontakt mit Hunden in der Kindheit das Risiko einer Schizophrenie verringert.
Eine Studie der Universität Köln belegte, dass Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose von der Hippotherapie profitierten, einer speziellen Krankengymnastik auf dem Pferderücken: Ihr Gleichgewicht und auch ihre Spastik besserten sich.
Auch gibt es Fälle in der Therapie mit Hunden, die bei einer Alzheimer-Erkrankung zum Sprechen anregen. Auch Meerschweinchen können nach einem Schlaganfall zum Sprechen anregen.
Viele dieser positiven Mensch-Tier-Effekte stützen sich allerdings derzeit noch auf Beobachtungen.
SWR 2022