Große Gedanken und Geschichten überdauern die Zeit. Während so manche Bestseller aus 2024 bei der nächsten Regalreinigung ungelesen in der dritten Buchreihe verschwinden, bieten sich doch immer wieder Gelegenheiten, die Klassiker aufzuschlagen. Lesende wissen: Runde Geburtstage der Lieblingsautoren und -autorinnen, Jubiläen und Todestage, inspirieren gerne zur (Re-)Lektüre.
Und vor diesen Lesegelegenheiten strotzt 2025 ganz besonders: Klar, am 6. Juni feiern wir Thomas Manns 150. Geburtstag, aber es bieten sich noch einige andere Termine, die im neuen Kalender dick vermerkt werden dürfen:
Es ist das Jahr, in dem wir Jane Austen endlich die Regency-Tänze tanzen lassen, die sie sich für ihre Figuren wünschte, und Giacomo Casanova nicht nur als Frauenheld, sondern als literarisches Genie neu entdecken. Auch Philosophisches und Poetisches kommt nicht zu kurz: Mascha Kaléko, Else Lasker-Schüler und Eduard Mörike erinnern uns mit ihrer Poesie daran, wie unvergesslich Worte sein können.
21. Januar 2025: 50. Todestag von Mascha Kaléko
Mascha Kaléko starb am 21. Januar 1975. Sie gehört zu den einfühlsamsten Stimmen der deutschsprachigen Lyrik. Ihre Gedichte balancieren mühelos zwischen Alltag und existenziellen Fragen, zwischen Leichtigkeit und tiefer Melancholie. Die Gedichte tragen lebenspraktische Titel wie „Großstadtliebe“, „Take it easy!“ oder „Rezept“.
In den Berliner Großstadtgedichten trifft sie den Sound der 1920er- und 1930er-Jahre. Ihre Lyrik ist warmherzig und selbstironisch, Kaléko schrieb in präziser und schmuckloser Sprache. Oft wurde sie mit ihren Zeitgenossen Joachim Ringelnatz und Erich Kästner verglichen.
lesenswert Feature „Ich habe mit Engeln und Teufeln gerungen“ – Lebensspuren der Dichterin Mascha Kaléko
Witzig, weltläufig, lässig, pointiert: Mascha Kalékos Lyrik ist einzigartig in ihrem Sound. Es ist der Klang der 1920er Jahre. Jetzt erlebt sie eine Renaissance.
Von Simone Hamm
Ihr erster Gedichtband erschien im Januar 1933, kurz vor der Regierungsübernahme Adolf Hitlers, unter dem Titel „Das lyrische Stenogrammheft“. 1937 wurde es vom Nazi-Regime zum „schädlichen und unerwünschten Schrifttum“ erklärt. Kaléko emigriert 1938 zunächst mit ihrer Familie nach New York, 1959 zieht sie mit ihrem Mann Chemjo Vinaver, Komponist und Musikwissenschaftler, nach Jerusalem.
Zu ihrem Todestag lohnt sich die Leküre ihrer Poesie, denn Kalékos Werk ist eine Einladung, in einer hektischen Welt innezuhalten und die Schönheit der kleinen Dinge zu sehen.
22. Januar 2025: 80. Todestag von Else Lasker-Schüler
Die Dichterin und Zeichnerin Else Lasker-Schüler gilt als wichtiger Teil der frühexpressionistischen Literaturszene in Berlin. Ihre Werke sind bestimmt durch ihr Auseinandersetzen mit Religion, Juden- und Christentum, ihrer Familie und von Verlust und Trauer.
1902 erschien ihr erster Gedichtband „Styx“. Einige ihrer Texte wurden später in der expressionistischen Zeitschrift „Der Sturm“ publiziert. 1932 erhielt Else Lasker-Schüler den Kleist-Preis, die bedeutendste literarische Auszeichnung der Weimarer Republik.
Weil sie als bekannte literarische Avantgardistin, Jüdin und unangepasste Frau und Künstlerin von den Nationalsozialisten verfolgt, beschimpft und geschlagen wurde, floh sie 1933 von Berlin ins Exil in die Schweiz, später nach Jerusalem, wo Armut und Einsamkeit ihr Leben bestimmen sollten.
Am 22. Januar 1945 ist die Lyrikerin gestorben. Die Worte des Kritikers Samuel Lublinski von Beginn des 20. Jahrhunderts gelten auch heute noch: „Wer über die moderne Lyrik mitreden will, der lese ‚Styx‘ von Else Lasker-Schüler“.
4. Juni 2025: 150. Todestag von Eduard Mörike
Eduard Mörike (1804 - 1875) war Lyriker der Schwäbischen Schule und Vertreter der Biedermeierzeit sowie Autor von Prosatexten und Pfarrer. Zwar beschrieben einige den Pfarrer als Faulenzer, doch entstammt aus seiner Feder ein beachtenswertes literarisches Werk. Die Gedichte des Autors und Pfarrers sind feste Größen im Kanon der deutschen Poesie: „Er ist’s, Septembermorgen“ oder „Frühling lässt sein blaues Band“.
Der Stuttgarter war weit mehr als nur Naturlyriker. Sein Werk umfasst auch Novellen und Märchen, die von einer stillen Tiefe und einem feinen Humor geprägt sind. Am bekanntesten sein Roman „Maler Nolten“, in dem die tragische Liebegeschichte zwischen einem Maler und seiner Verlobten erzählt wird.
Eduard Mörike: Mozart auf der Reise nach Prag
Bereits mit 39 wurde Pfarrer Mörike, der bereits längere Zeit mit der zeitgenössischen Theologie haderte, pensioniert. Er arbeitete anschließend als Lehrer und wurde zum Professor ernannt. Gleich mehrfach wurde Mörike während dieser Laufbahn geehrt: Er erhielt den Ehrendoktortitel der Universität Tübingen, den Bayerischen Maximiliansorden und das Ritterkreuz des württembergischen Friedrichs-Ordens.
Seine Texte laden dazu ein, die Schönheit der einfachen Dinge wiederzuentdecken – eine Qualität, die gerade in unserer hektischen Zeit wohltuend wirkt.
2. April 2025: 300. Geburtstag Giacomo Girolamo Casanova
Casanova? Das ist doch der Frauenheld, der Liebhaber? Nicht nur legendärer Verführer, sondern auch ein bedeutender Literat! Seine Memoiren „Histoire de ma vie“ gelten als eine der wichtigsten Quellen für die Gesellschaft und Kultur des 18. Jahrhunderts.
Geschrieben in seinen letzten Lebensjahren, ist dieses mehrbändige Werk eine faszinierende Mischung aus autobiografischen Anekdoten, scharfsinnigen Beobachtungen und philosophischen Reflexionen. Der venezianische Lebenskünstler arbeitete als Priester, Spion, Alchemist und Bibliothekar – ein charismatischer Hochstapler, der mit kluger Manipulation hohe Geldsummen ergaunerte.
2025 jährt sich sein 300. Geburtstag, und es ist an der Zeit, Casanova nicht nur als legendären Verführer, sondern auch als bedeutenden Literaten zu feiern – als klugen Chronisten seiner Zeit, dessen Werk uns die Gesellschaftssitten und politischen Strömungen des 18. Jahrhunderts in all ihrer Vielschichtigkeit näherbringt.
Wer sich auf seine Texte einlässt, begegnet nicht nur einem außergewöhnlichen Charakter, sondern auch einem bemerkenswerten Erzähler, der weit mehr war als sein Ruf.
4. Dezember: 150. Geburtstag von Rainer Maria Rilke
Am 4. Dezember 2025 wäre Rainer Maria Rilke 150 Jahre alt geworden. Seine Gedichte und Prosawerke, darunter die „Duineser Elegien“ und die „Sonette an Orpheus“, zählen zu den Höhepunkten der deutschsprachigen Literatur.
Rilke verstand es wie kaum ein anderer, existenzielle Themen wie Liebe, Tod und Vergänglichkeit in poetischen Bildern zu erfassen. Seine Sprache ist intensiv, seine Metaphorik tiefgründig und zugleich universell. Sein Geburtstag lädt ein, sich von seiner Dichtung inspirieren zu lassen, innezuhalten und in die sprachgewaltige Rilke-Welt einzutauchen.
SWR2 Wissen: Aula Den Dichter Rilke neu entdecken – Lesekompass durch die "Duineser Elegien"
Rainer Maria Rilke bedient sich in seinen "Duineser Elegien" einer äußerst verfeinerten Sprache. Hinter den schillernden Worten steht ein faszinierender Blick auf Mensch und Welt. Von Franz Josef Wetz.
16. Dezember 2025: 250. Geburtstag von Jane Austen
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Jane Austen heute als Romantikerin schlechthin bekannt ist. In Austens Werk steht nämlich ein Heiratsmotiv weit vor Liebe und Leidenschaft: das liebe Geld. Nicht, weil Austen selbst gar geldgierig war, sondern weil sie die Heiratskonventionen ihrer Zeit literarisch analysierte.
So beginnt ihr Roman „Stolz und Vorurteil“ mit dem berühmten ersten Satz: „Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass ein alleinstehender Mann im Besitz eines hübschen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau.“
Klassiker der Literaturgeschichte Jane Austens Roman "Stolz und Vorurteil"
Wieviel Boris Johnson steckt in diesem englischen Klassiker? Anja Brockert diskutiert mit Ulrike Draesner und John von Düffel. (Aufzeichnung Literaturhaus Stuttgart, 07.10.2020)
Zu Lebzeiten war Austens Werk mäßig bekannt. Ihre ersten Romane erschienen anonym, so wie zu dieser Zeit üblich. 1811 erschien „Sinn und Sinnlichkeit“, darauf folgten 1813 „Stolz und Vorurteil“, „Mansfield Park“ (1814) und „Emma“ (1815), der Schauerroman „Die Abtei von Northanger“ wurde 1817 veröffentlicht.
Es sind Meisterwerke der Beobachtungskunst und strotzen vor scharfsinniger Ironie. Austen seziert präzise die Absurditäten ihrer Zeit, deren selbstironischer typischer Austen-Ton auch 250. Jahre nach Austens Geburt begeistern.