"Bridgerton" Staffel 4

Beethoven zur Ballsaison

„Bridgerton“ und die Musik: Wie klang die Regency-Ära wirklich?

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Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik

Die dritte Ballsaison von „Bridgerton“ ist beendet: Die Netflix-Serie begeistert ihre Fans auf musikalischer Ebene mit klassisch arrangierten Pop-Hits. Da fragt man sich doch: Zu welcher Musik hätten Daphne, Anthony und Penelope ihre Liebe erklärt, wenn im Hintergrund die beliebtesten Komponisten ihrer Zeit laufen würden? Wichtige Hinweise findet man unter anderem bei Jane Austen.

"Bridgerton" Staffel 4
Im Zentrum der Netflix-Serie steht die kinderreiche Bridgerton-Familie: Lady Violet (Ruth Gemmell), Francesca (Hannah Dodd), Viscount Anthony (Jonathan Bailey), seine Frau Kate (Simone Ashley), Eloise (Claudia Jessie), Gregory (Will Tilston), Hyacinth (Florence Hunt) und Benedict (Luke Thompson).

Die Regency-Ära – Eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs

„Hochverehrte Leserschaft“ – So begrüßt Lady Whistledown in jeder „Bridgerton“-Staffel die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Auftakt der Ballsaison. Und diese hatte tatsächlich einen großen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben junger Frauen in der Regency-Ära, die den historischen Rahmen für die Serie bietet.

Die erste Staffel der Netflix-Serie spielt im Jahr 1813. Es ist eine Zeit großer Umstürze: Die französische Revolution ist gerade einmal zwanzig Jahre her und Großbritannien kämpft auf dem Kontinent gegen die Vorherrschaft Napoleons an, der nach der Niederlage im Russlandfeldzug 1812 zunehmend geschwächt ist.

"Bridgerton" Staffel 4
Königin Charlotte (Golda Rosheuvel) verbringt ihre Tage mit dem Planen königlicher Festivitäten. Immer an ihrer Seite ihr Diener Brimsley (Hugh Sachs).

Auch die britische Monarchie ist geschwächt: König George III. leidet an einer psychischen Erkrankung, die sich in Manien und Verwirrtheit äußert. 1810 tritt er im „Regency Act“ die Regentschaft an seinen Sohn ab. Seine Frau, Königin Charlotte (in der Serie gespielt von Golda Rosheuvel), übernimmt vor allem repräsentative Aufgaben und fungiert als der legale Vormund ihres Mannes.

Kulturell ist die Regency Ära eine Blütezeit in Großbritannien: John Constable und William Turner revolutionieren die Landschaftsmalerei, Lord Byron, John Keats, Walter Scott und Mary Shelley die Literatur. Und natürlich ist es auch die Zeit von Jane Austen, deren Romane nicht zuletzt unser Bild der Epoche bis heute prägen.

Instrument ja, aber bitte ohne Verrenkungen

Musik spielt im Alltag der Oberschicht der Regency Ära eine bedeutende Rolle, vor allem in der Ausbildung junger Frauen. Das Erlernen von Musikinstrumenten ist für Töchter aus gutem Hause Pflicht. Bevorzugt gespielt werden die Harfe, die englische Gitarre oder das Klavier – Instrumente, die eine junge Dame spielen kann, ohne Gefahr zu laufen, ihren Körper in unansehnliche Verrenkungen zu versetzen.

Und somit gehört das Musizieren natürlich auch zur alltäglichen Unterhaltung in vornehmen Haushalten. Es werden Stücke auf dem Klavier oder in kleiner Kammerbesetzung gespielt. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich dabei auch in England Komponisten der Wiener Klassik: Beethovens Klaviersonaten, Haydns Streichquartette und die Sonatinen von Ignaz Pleyel sind dabei besonders en vogue.

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Musik bei Jane Austen

Viele der Komponisten, die zu den Lieblingen von Jane Austen gehörten, sind heute weitestgehend der Vergessenheit anheimgefallen: In „Emma“ spielt die junge Jane Fairfax etwa die George Kiallmarks Variationen des irischen Lieds „Robin Adair“, die sich auch in Austens persönlicher Notensammlung befunden haben.

Besonderen Gefallen hatte die Autorin auch an der Musik von Charles Dibdin: Sein Lied „Joys of the Country“ kopierte sie sich eigenhändig in ihr Notenbuch. Zudem scheint Austen auch ein Fable für schottische Lieder gehabt zu haben: Sie besaß Noten zu 56 Liedern und lässt diese Volksweisen auch Mary Bennet in „Stolz und Vorurteil“ spielen.

Adaptionen schottischer und irischer Volkslieder waren beim Publikum der britischen Oberschicht generell sehr gefragt. Auch Beethoven und Haydn schrieben hierzu Adaptionen, die unter ihren Zeitgenossen sehr populär waren.

"Bridgerton" Staffel 4
Es ist kein erfolgreicher Ball, wenn nicht das Orchester aufspielt. In „Bridgerton“ spielt man aber lieber Ariana Grande und Billie Eilish als Haydn und Beethoven.

Bälle fördern die Gründung von Orchestern

Die große Ballsaison, hier liegt „Bridgerton“ tatsächlich historisch völlig richtig, war in aristokratischen Kreisen ein ebenso beliebter wie gesellschaftlich relevanter Zeitvertreib. Tanzunterricht gehörte fest zur Erziehung junger Menschen. Besonders gerne tanzte man Walzer, Quadrillen und ausgelassene Volkstänze.

Die gesellschaftliche Bedeutung von Bällen förderte die Gründung kleiner, unabhängiger Orchester, die für derartige Veranstaltungen engagiert wurden. Sie trugen auch zur Verbreitung sinfonischer Musik bei. Generell wird das frühe 19. Jahrhundert die große Zeit der sinfonischen Musik. Haydns 94. und 100. Sinfonien erfreuen sich in England besonderer Beliebtheit.

Ganz Europa im Rossini-Rausch

Während die Wiener auch hier dominieren, ist Gioachino Rossini der Star der Bühne. Ganz Europa ist im Rossini-Rausch. Unter seinen frühen Erfolgen: die 1813 in Venedig uraufgeführte „Italiana in Algeri“ und der 1816 in Rom uraufgeführte „Barbiere di Siviglia“.

"Bridgerton" Staffel 4
Nicht weniger glücklich als Almaviva und Rosina, zumindest in Rossinis „Barbiere“: Penelope Featherington (Nicola Coughlan) und ihr Angebeteter Colin Bridgerton (Luke Newton).

Kann man sich in Zukunft also vielleicht auch mal auf eine Rossini-Arie oder ein bisschen Beethoven in „Bridgerton“ freuen? Wohl kaum.

Es gehe nämlich gerade darum, dass die Netflix-Serie anders ist als andere Historien-Dramen, verrät Produzent Chris van Dusen im Interview: „Es läuft alles darauf hinaus, die Dinge durch unsere eigene, einzigartige, moderne Linse zu beleuchten und nachvollziehbar zu machen.“ Dem Schmacht-Potenzial der Regency-Romancen tut das trotzdem keinen Abbruch.

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Redaktionsschluss: 28. Juni 2024
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Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik