Spicy und intensiv: In Maya Kesslers Roman „Rosenfeld“ kämpfen zwei ungleiche Protagonisten nicht nur um ihre Liebe, sondern auch mit den Geistern der Vergangenheit.
Teddy Rosenfeld ist ein Mann, der weiß, was er will. Und Noa Simon, die junge Filmemacherin, die sich dem Boss einer Biotech-Firma bei einer Feier an den Hals wirft, will er definitiv nicht. Sagt er jedenfalls hinterher, nach einem spontanen Stelldichein in einer Toilettenkabine.
Daher leistet er den folgenden schamlosen Avancen von Maya Kesslers Ich-Erzählerin auch beharrlich Widerstand, selbst dann noch, als diese in seinem Unternehmen anheuert. Warum Teddy so ablehnend reagiert? Weil der Mittfünfziger nach diversen Ehen und Affären so seine Erfahrungen gemacht hat.
Und sich sicher ist, dass sich die 20 Jahre Jüngere – tabuloser Sex hin oder her – am Ende als genauso durchgeknallt entpuppen wird wie seine früheren Beziehungen.
Kontrollsüchtiger Titelheld
Liebesromane werden heutzutage ja gerne mit sogenannten Tropes etikettiert, zur Einordnung. Teddy Rosenfeld, der schwergewichtige, kontrollsüchtige Titelheld von Maya Kesslers Romandebüt, wäre demnach eindeutig ein „Grumpy“, also ein anfänglich desinteressierter, pessimistischer Kerl, dem unversehens der Schutzpanzer über seinem Herzen abhandenkommt – ein Typus, den bereits Jane Austen kannte.
Würde die israelische Autorin diesem Muster folgen, wäre Noa Simon ein „Sunshine“, der lebensfrohe weibliche Sonnenschein, der dem Grumpy die Liebe lehrt.
Tatsächlich aber ist Maya Kesslers Ich-Erzählerin das genaue Gegenteil: Noa ist unersättlich, impulsiv und nicht zuletzt wütend – auf sich, das Leben und vor allem ihre Mutter, die einst die Familie im Stich gelassen hat. So gesehen gleicht Noa eher einem Tornado, der Teddys Leben im Lauf des 560 Seiten starken Romans gehörig durchpflügen wird.
Dabei fällt es anfangs schwer, für Kesslers Protagonistin Sympathien aufzubringen. Zu sehr stößt einen diese Figur ab: mit ihren selbstdestruktiven Impulsen, mit ihrer emotionalen Instabilität und Unreife. Vielleicht liegt es daran, dass gerade die ersten Romankapitel, trotz der rasanten, gegenwartsnahen Schreibe Kesslers, zur Geduldsprobe geraten.
Menschen mit Mutterproblemen
Doch es lohnt sich durchzuhalten. Nicht nur wegen der, wie man heute sagt, spicy Sexszenen. Sondern weil die ungleichen Charaktere, die sich im Lauf der Handlung abwechselnd an die Wäsche und an die Gurgel gehen, irgendwann doch überraschend an Tiefe gewinnen – und ihre Beziehung in ihrer Abgründigkeit und Leidenschaft mehr und mehr fesselt.
Denn nicht nur Noa hat ein Mutterproblem. Teddy hat aus der Wohnung seiner längst verstorbenen Erzeugerin ein Mausoleum gemacht, für Noa ein No-Go. Die Folge sind Grenzüberschreitungen auf beiden Seiten: Er versucht, gegen ihren Willen, eine Aussöhnung mit ihrer verbannten Mutter anzuleiern, sie fängt an, besagte Wohnung aufzulösen, damit ihr Geliebter endlich loslassen könne.
Romanze zweier Sturköpfe
Wie aus der Romanze zweier Sturköpfe, die anfangs nur auf Begehren und Leidenschaft basiert, eine wird, in der sich ständig die Macht- und Näheverhältnisse neu austarieren, ist überaus spannend und unterhaltsam zu lesen. Teddy ist, wie sich zeigt, ein Mann mit vielen Geheimnissen, sie dagegen eine Frau voller Traumata und verdrängter Ambitionen.
Am Ende führt jede Verletzung, die sich beide zufügen, jeder Vertrauensbruch nur dazu, die Intimität zwischen beiden zu steigern. Maya Kessler hat ein Debüt vorgelegt, das beeindruckt: durch seine intensive Rohheit wie auch seine voyeuristische Präzision.
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