Der Inhaltsangabe ist nicht zu trauen: Martin Ebel und Hubert Spiegel diskutierten mit Carsten Otte vier auf der SWR Bestenliste im Januar verzeichneten Werke im gut besuchten Prinz-Max-Palais in Karlsruhe.
Ein Mann in der Midlife-Crisis
Erstaunlich einig war die Runde sich bei Lucy Frickes neuem Roman „Das Fest“, der auf Platz 3 der Januar-Bestenliste steht (Claassen Verlag). Gerade mal 138 Seiten kurz ist das Buch, das vom Berliner Filmemacher Jakob handelt, der 50 Jahre alt wird – was für ihn aber alles andere als ein Grund zur Freude ist.
Der missmutige Zeitgenosse steckt in einer Lebenskrise. Seit geraumer Zeit saß er nicht mehr auf dem Regiestuhl. Jakob ist Single und hat das Gefühl, dass sich die Welt um ihn herum so verändert hat, dass er dort keinen Platz mehr zu haben scheint. Seinen 50. Geburtstag möchte Jakob auf keinen Fall feiern. Er wüsste auch gar nicht, wen er einladen sollte.
Ellen, die beste Freundin von Jakob, möchte sich mit der Misanthropie des Jubilars allerdings nicht zufriedengeben. Also organisiert sie Begegnungen mit Menschen aus Jakobs Vergangenheit, die ihm viel bedeutet haben und dem trotzigen Geburtstagskind zu seiner Überraschung herzlich gratulieren. Am Ende gibt es ein Fest – und die Hoffnung auf die wahre Liebe.
Gelungener Wechsel der Erzählperspektiven
Hubert Spiegel meinte, wer nur die Inhaltsangabe höre, würde wohl eine Schmonzette von Rosamunde Pilcher vermuten. Aber das Gegenteil sei der Fall, was nicht zuletzt an der Rondo-Form des Romans und dem gekonnten Wechsel der Erzählperspektiven liege.
Auch Martin Ebel zeigte sich beeindruckt, wie Lucy Fricke, bekannte Motive variiere, aber auch Tiefgründiges leicht aussehen lasse. Wegen der geschlossenen Form des Textes, hält er „Das Fest“ allerdings weniger für einen Roman, der immer eine gewisse Offenheit zeige, sondern eher für eine Novelle, die in diesem Fall mustergültig in Szene gesetzt sei.
Vergangene und gegenwärtige Verbrechen
Auf dem Programm der Bestenliste-Diskussion in Karlsruhe standen außerdem:
die politische Dystopie „Das Lied des Propheten“ von Paul Lynch in der Übersetzung von Eike Schönfeld (Klett Cotta), die vom Wandel einer Demokratie in eine tödliche Diktatur handelt;
mit „Das Schattengetuschel“ ein mildes und streckenweise selbstironisches Alterswerk von Botho Strauß (Hanser)
und mit „Unmöglicher Abschied“ das von Ki-Hyang Lee ins Deutsche übertragene Werk der frisch gekürten Literaturnobelpreisträgerin Han Kang, das im hohen Ton von den Auswirkungen eines Massakers auf die nachfolgenden Generationen erzählt.
Aus den vier Büchern lasen Antje Keil und Dominik Eisele.
Über diese Bücher wurde diskutiert:
Literatur SWR Bestenliste Januar
Die SWR Bestenliste empfiehlt seit über 40 Jahren verlässlich monatlich zehn lesenswerte Bücher, unabhängig von Bestsellerlisten. Nicht die Bücher, die am häufigsten verkauft werden, bestimmen die Liste, sondern eine Jury, bestehend aus 30 namhaften LiteraturkritikerInnen, wählt die Bücher aus, denen sie möglichst viele LeserInnen wünscht.