Buchkritik

Giovanni Pascoli – Nester

Stand
Autor/in
Andreas Puff-Trojan

Giovanni Pascoli gehört zu den hoch geschätzten Dichtern italienischer Zunge. Seine Lyrikbände erschienen ab 1897 bis zu seinem Tod 1912. Doch in deutscher Übersetzung gab es bislang nur wenige Ausgaben. Nun hat der Wallstein Verlag eine umfassende Auswahl veröffentlicht – unter dem Titel „Nester. Gedichte“.

Giovanni Pascolis Gedichtbände erschienen ab 1897 bis zu seinem Tod 1912. Der Dichter hatte zwei Lebenspassionen: die Lyrik und den Alkohol. Einerseits war er eine Art Einsiedler, andererseits unterrichtete er auch an italienischen Universitäten lateinische und italienische Literatur.  

Giovanni Pascoli und der verlorene Glaube an das „Nest“ 

Von der Krone baumeln, dort und da, / die kleinen Nester des Frühlings. / Die Leute sagen: Jetzt erst sehe ich, wie gut sie war! 

Im Gedicht „Die gefallene Eiche“ findet sich ein Grundmotiv von Pascolis Lyrik: „Nester“ – so lautet auch folgerichtig der Titel des von Theresia Prammer zusammengestellten Auswahlbandes.

Das „Nest“ ist nicht nur in der Tierwelt zuhause, sondern im übertragenen Sinn auch bei uns Menschen: „Sich ein Nest bauen“, sich also häuslich einrichten. Das „Nest“ bietet Schutz, Sicherheit – gerade auch in der Kindheit oder bei Tieren in der Aufzucht der Jungen. In Pascolis Gedicht „Die gefallene Eiche“ wird das Nest zerstört, weil der Mensch diese Eiche mit ihren Nistplätzen zu Fall bringt. Vergeblich irrt das Muttertier. 

Sie sucht nach ihrem Nest, das nicht mehr ist. 

Der Dichter, die Natur und ein großer Verlust 

Giovanni Pascoli hatte selbst mit diesem Verlust zu kämpfen. Im Alter von zwölf Jahren musste er miterleben, wie sein Vater das Opfer eines brutalen Mordanschlags wurde. Ab da war die Vorstellung eines sicheren Familiennestes zerstört. Doch es gibt noch einen anderen Geborgenheitsort: die Natur. Eine Amsel pfeift dem lyrischen Ich ein Lied. Und ein Zaunkönig ruft ihm zu: 

He! Du kehrst heim … Ich weiß: / Oh! In dein herrliches Nest, vor dem Regen gefeit! 

Allein, es bleibt ein Traum. Der Mensch, der Dichter ist förmlich aus der Natur gefallen. Der Gesang der Vögel wandelt sich in ein gräuliches Rauschen. 

Was geht vor in der Welt? / Unendliche Stille. / Doch tief unten, da schwelt, / einsam und irrend, / dieses schaurige Grollen.  

Der Dichter „Traum eines Schattens“ 

In Pascolis Gedichten gibt es zwei Welten, die zwar nicht voneinander getrennt sind, jedoch schwer zueinander finden: Die eine ist die der Natur, sie ist nicht etwas rein Erhabenes, da sie sich stets dem Leben zuneigt. Die andere ist die des Menschen – so wie es der Dichter auch ganz persönlich erlebt. Theresia Prammer hat diese Motivik Pascolis präzise zusammengefasst. 

Erinnerung – Kindheit – Tod – Verlust. Pascoli schreibt vom Ende seiner Welt her; die Orte der Tragödie sowie die Friedhöfe sind immer gegenwärtig. Schatten sprechen den Dichter an, wo er geht und steht. 

Diese Schatten drängen sich bis in den Bereich der Träume. Im Gedicht „Traum eines Schattens“ schmiedet Pascoli den „Tod eines Alten“ existentiell an den „Tod eines Neugeborenen“. Was ist Leben? Was bedeutet es, eine Strecke des Lebens gehen? 

Der eine sah die Kinder / seiner Kinder; der andere nicht einmal sich. Ihr Leben / war das nämliche: Traum eines Schattens, ein Nichts. 

Dass der Lyrikband „Nester“ zweisprachig erscheint, ist auf jeden Fall ein großes Plus. Er erlaubt damit einer an Lyrik interessierten Leserschaft, diesen italienischen Dichter in gekonnter Übersetzung für sich zu entdecken.

Giovanni Pascoli war sicher kein avantgardistischer Experimentator, aber seine in die Tiefe reichende Melancholie, seine stete Sehnsucht nach dem verlorenen Wundergarten der Natur und seine exzellente Sprachführung machen seine Gedichte zum bleibenden Gut europäischer Lyrik.  

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Andreas Puff-Trojan