Buchkritik

Cheon Myeong-kwan – Eine Bumerangfamilie

Stand
Autor/in
Claudia Kramatschek

Bumerang-Familien sind ein wachsender gesellschaftlicher Trend. Und wunderbarer Stoff für die Literatur. Das beweist auch Cheon Myeong-kwans Roman „Eine Bumerangfamilie“.

Um es gleich vorwegzusagen: Dass „Eine Bumerangfamilie“, der zweite Roman des koreanischen Autors Cheon Myeong-kwan, mit großem Erfolg in seiner Heimat verfilmt worden ist, wundert nicht. Im Mittelpunkt des Romans steht Inmo, ein gescheiterter Filmregisseur mittleren Alters.

Zwölf Jahre ist es her, dass er seinen letzten Film – einen Riesenflop – gedreht hat. Seine Frau hat ihn verlassen, sein Vermieter soeben rausgeworfen. In seiner Verzweiflung beschließt der 48-Jährige, zu seiner alten Mutter zurückzuziehen, die in einem heruntergekommenen Vorort von Seoul lebt.

Sein Unbehagen ist groß. Und es wird noch größer, als er feststellen muss, dass sich auch sein vier Jahre älterer Bruder – ein fünfmal vorbestrafter Riese mit 130 Kilo Körpergewicht – in der Wohnung der Mutter eingenistet hat.  

Unzählige Male hatte Hammer mich verprügelt, als ich jung war. Ich trug blutige Nasen davon, abgebrochene Zähne, Platzwunden im Gesicht, das volle Programm. Nichts wünschte ich mir sehnlicher als seinen Tod. aber er war nicht gestorben, und jetzt, Jahrzehnte später, stand er vor mir und versperrte mir den Weg.  

Hammer, eigentlich Hanmo, ist nicht das einzige Hindernis, das sich Inmo fortan in den Weg stellt. Denn es dauert nicht lang, dann ziehen auch seine Schwester – die bereits zwei Ehen hinter sich hat – und deren Tochter, eine aufmüpfige Jugendliche, in die mütterliche Wohnung ein.  

Familie: Die Hölle auf Erden 

Man ahnt: das kann nicht gutgehen. Tatsächlich bereiten sich die drei Geschwister rasch nach allen Regeln der Kunst gegenseitig die Hölle auf Erden. Einzig die Mutter scheint aufzublühen, seit ihre Kinder wieder bei ihr wohnen. 

Sie strahlte übers ganze Gesicht, als sei sie gerade von einem Wellnessaufenthalt in einem erstklassigen Spa zurückgekommen, ja sogar ihre Stimme klang einen Ton heller.  

Dass Cheon Myeong-kwan dabei die Geschichte aus Inmos Augen entfaltet, ist ein geschickter Schachzug. Erst allmählich begreifen wir nämlich, dass wir diesem Erzähler nicht ungetrübt Glauben schenken sollten: Hammer, laut Inmo ein pädophiles Monster, erweist sich mehr und mehr als liebenswürdiger Mensch; Inmos Schwester Miyŏn, vermeintlich eine leichtlebige Ehebrecherin, hat sich stets für ihre Familie aufgeopfert, um diese auch finanziell zu unterstützen. Mehr noch: dunkle, bis dato gut gehütete Familien-Geheimnisse kommen zutage. 

Ich, Hammer, Miyŏn, wir alle, Mutter eingeschlossen, jeder von uns hatte etwas auf dem Kerbholz. Uns war das Stigma des Verlierers eingebrannt, wir waren Gefangene unserer Vergangenheit.  

Zwischen dunkler Groteske und koreanischer Soap Opera 

Das alles mag nach tränenreichem Familiendrama klingen. Doch Cheon Myeong-kwan liebt Groteskes ebenso wie Drastik. Sein Roman, der zugleich gespickt ist mit Verweisen auf Hemingway und Klassiker der Filmgeschichte, wirkt deshalb wie eine Fahrt mit der Achterbahn.

Immer schon geht es in die nächste Kurve: Miyŏns Tochter verschwindet; ein Serienmörder taucht auf; Hammer gerät in die Falle gefährlicher Krimineller – und Inmo beginnt Pornos zu drehen. 

All diese Irrungen und Wirrungen erinnern dabei an koreanische Soap Operas, samt Deus ex machina und Happy End. Bis es allerdings soweit ist, führt uns der Roman in seinem letzten Drittel in krasse Abgründe des asiatischen Extremkinos. Das kommt so unvermutet wie manche Details der Handlung einer logischen Prüfung nicht immer standhalten. 

Speed und Überbietung gehen in „Eine Bumerangfamilie“ Hand in Hand. Die Geschichte vergeht deshalb wie im Flug. Und doch schlingert „Eine Bumerangfamilie“ – von Matthias Augustin und Kyunghee Park erneut in ein zupackendes Deutsch übertragen – am Ende zu unentschieden zwischen rabenschwarzem Sarkasmus und melodramatischer Wohlfühl-Offerte. 

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