Manchmal passiert es einfach, fast wie Zauberei: Ein Buch kommt auf den Markt und plötzlich sieht man es überall. In Buchhandlungen, in den Händen der besten Freundin und der Kolleginnen, auf TikTok und ganz oben auf den Bestsellerlisten.
Die „Empyrean“-Reihe, auf Deutsch „Flammengeküsst“, der US-Amerikanerin Rebecca Yarros ist so ein Phänomen. Die Bücher verkaufen sich millionenfach. Mit „Onyx Storm“ ist Ende Januar diesen Jahres der dritte von insgesamt fünf geplanten Teilen erschienen.
„Es liegt teilweise am Inhalt“, meint Stefanie Schill. Sie ist Teil des Presse- und Öffentlichkeitsarbeitsteams beim dtv Verlag, wo die „Flammengeküsst“-Reihe für den deutschen Markt herausgegeben wird. Für einen erfolgreichen Buchverkauf seien mehrere Faktoren entscheidend.
Drachen, Romantik und „Hogwarts“ für Erwachsene
Darum geht es in „Flammengeküsst“: Die Geschichte folgt der jungen Violet Sorrengail, die am Basgiath War College zur Drachenreiterin ausgebildet wird, während sie sich gegen Intrigen, Feinde und – natürlich – ihr eigenes Herz behaupten muss.
In „Fourth Wing“, „Iron Flames“ und „Onyx Storm“ kombiniert Yarros das Best-of der Fantasy-Literatur: eine magische Drachenreiter-Militär-Akademie, tödliche Prüfungen, nackte Haut und telepathisch kommunizierende Drachen.

Yarros wirft Zutaten aus „Harry Potter“, „Hunger Games“, „Twilight“, „Game of Thrones“ und „Eragon“ in den Genre-Mixer. Das Ganze kombiniert sie mit einer „Enemies to Lovers“-Romanze zwischen Violet und dem schattenbezwingenden Bad-Boy Xaden. Dessen magische Kräfte und düsterer Sex-Appeal sind die Würze für erotisch-abenteuerliche Sexszenen, heiß wie Drachenfeuer: Voilà, fertig ist Romantasy par excellence.
Erotik für Gen Z
Die Autorin bewegt sich am Zahn der Zeit. Den Drachen-College-Kosmos Gen-Z-isiert Yarros für ihre Leserschaft. Es tauchen nicht-binäre Figuren mit they/them-Pronomen auf – übrigens auch in der deutschen Übersetzung von Michaela Kolodziejcok, Julia Schwenk und Michelle Gyo. Koitus gibt es nur mit Konsens und die Romane starten mit Trigger-Warnung.
Gespickt mit Cliffhangern und zopf-dramaturgischen Handlungssträngen beherrscht die Autorin das kleine Einmaleins des seriellen Erzählens. Kein Wunder also, dass Amazon Prime Video sich bereits die Serienrechte an „Fourth Wing“ gesichert hat. In Foren und auf Social Media diskutieren die „Fourth Wing“-Vasallen, welche Schauspielerinnen und Schauspieler ihre Traumbesetzung wären. Teilhabe und Mitreden wird bei der Community großgeschrieben.
Kaufkräftige Drachen-Fans: Pop-Up-Store und Sammlerstücke
Die Fans der Reihe sind nicht nur lese- und drachenbegeistert, sondern auch Bücherregal-Ästheten. Das nutzt der dtv-Verlag. „Wir haben zwei Ausgaben: Es gibt eine Ausgabe mit Farbschnitt und einer noch größeren Veredelung und eine etwas preiswertere Ausgabe, die das nicht hat, für Leute, die einfach an dem Text interessiert sind. Aber viele der Fans, grade der jungen Fans, schätzen das schöne Objekt auch sehr“, erzählt Stefanie Schill.
Es ist ein Zauber ganz ohne Magie: das Verlags-Marketing. Denn die Hype-Welle der Vorgängerbücher reiten die Verlage standfest. So wurde der weltweite Erstverkaufstag von „Onyx Storm“ am 21. Januar 2025 zum Event, auch in der bayerischen Hauptstadt, wo dtv zu Hause ist.
„Das besondere dieses mal beim Buch war, dass wir wirklich einen physischen Pop-Up-Store in München errichtet haben. Es gab einen kleinen Laden, der bis unter die Decke voll war mit Ausgaben von ‚Onyx Storm‘, mit einem wunderschönen Farbschnitt“, so Schill. Zu kaufen gab es nicht nur Lesestoff, sondern heiß begehrte Ware.
Schill erzählt von diesem Eröffnungstag: „Ab dem Erstverkaufstag um acht Uhr morgens – das passte zur US-amerikanischen Zeit – versammelten sich tatsächlich schon Schlangen vor dem Geschäft, die drauf gewartet haben, endlich weiterlesen zu können.“
#BookTok und Romantasy: Sind Bestseller planbar?
„Es gibt Drachen, es gibt Kämpfe, es gibt Gut und Böse. Und das sind Ingredienzien, die Geschichten gut und groß machen. Aber in diesem speziellen Fall sind es die Fans und die Leserinnen, die die Reihe groß machen“, weiß Stefanie Schill. Als „Fourth Wing“ 2023 auf den Markt kam, war die Nachfrage nach romantischen Liebesgeschichten mit Fabelwesen hoch. Die BookTok-Community feierte die Romane.

Yarros' amerikanischer Verlag Entangled Publishing startete mit „Fourth Wing“ einen neuen Romantasy-Imprint. Kann ein Verlag so einen Erfolg planen?
„Wahrscheinlich kann man das nicht planen, nein. Dass es beim ersten Band schon so viel Begeisterung aus den USA gab, war sicherlich hilfreich. Aber auch das ist kein Patentrezept. Das gibt es öfter mal und die Leserinnen und Leser in Deutschland interessieren sich dann gar nicht so für den Stoff, der in den USA durch die Decke gegangen ist.“
Auch hierzulande wird gerne Romantasy gelesen. Das Genre ist ein Selbstläufer, befeuert durch BookTok. „Die Romantasy hat eine große Lobby im Internet dadurch, dass es einfach Fans sind, die sich sehr für die Stoffe begeistern und sich auch im Netz finden und sich dann Bücher weiterempfehlen“, vermutet Stefanie Schill.
Mehr Schlachten als Schäferstündchen
Indessen bleibt die Frage: Wie gut sind die Romane? „Fourth Wing“, „Iron Flames“ und „Onyx Storm“ bringen es zusammen genommen auf knapp 3.000 Seiten. Auch wenn der Erfolg der Reihe gerne den detailreichen Beischlaf-Beschreibungen zugerechnet wird, stellt man bei der Lektüre fest: Auf dieses Volumen gemessen kommen die Kopulationen doch ziemlich kurz.
Es gibt deutlich mehr Schlachten als Schäferstündchen, im Laufe der Geschichte zunehmend. „Fourth Wing“, der erste Band, ist durchaus spannend. Yarros erzählt packend, die Drachen amüsieren mit flapsigen Witz und die nach 600 Seiten lang erwartete Sexszene, bei der es Blitze schießt, ist fantasievoll.

Yarros erzählt auch eine Geschichte von politischen Intrigen zwischen Königreichen, Bedrohung durch dunkle Magier, die „Venin“, Kriege zwischen Greifen und Drachen und wackeligen Allianzen. In „Iron Flames“ und „Onyx Storm“ zerfasert die Handlung zunehmend. Die sinnfreien Ortswechsel und das viele nicht in die Handlung eingeführte Personal verwirren. Die Konflikte wirken konstruiert, während Yarros' Sprache gestelzt ist. Der Reiz der Handlung erlischt wie das Drachenfeuer.
Im Mittelpunkt die Hauptfigur Violet. Sie leidet unter einer nicht näher beschriebenen Krankheit, die dem Ehlers-Danlos-Syndrom ähnelt, einer Erkrankung, die Muskeln, Bindegewebe und Bänder betrifft, mit der auch Rebecca Yarros lebt. Nichtsdestotrotz bewältigt sie jede Herausforderung mit Köpfchen und Cleverness, bindet den mächtigsten Drachen an sich und handelt nach einem unbeirrbaren moralischen Kompass.
Zuweilen klingt Yarros' „Du kannst alles schaffen, wenn du nur wirklich willst“-Geschichte Ayn-Rand-angehaucht. An der ein oder anderen Stelle kommt „Flammengeküsst“ wie eine Christian-Lindner-Fan-Fiction mit Drachen daher.
Rebecca Yarros märchenhafte Erfolgsgeschichte

Apropos libertär: Rebecca Yarros‘ Aufstieg ist der altbekannte, romantische Mythos von der Selfmade-Autorin, die sich mit Fantasyliteratur an die Spitzen der Bestsellerlistens schreibt. Joanne K. Rowling lässt grüßen. Eine neo-liberale Erfolgserzählung, beinahe so märchenhaft wie Drachen, Zauberkräfte und dunkle Magier.
„Dadurch, dass ‚Flammengeküsst‘ ein so großes Phänomen ist, ist es mehr oder minder ein Selbstläufer,“ meint Schill. „Flammengeküsst“ ist auch ein Paradebeispiel dafür, wie der moderne Buchmarkt funktioniert: Den Erfolg machen cleveres Marketing, gutes Timing, Social-Media-Hype und eine konsumfreudige Community, die nicht nur ein Buch will, sondern auch ein Erlebnis. Der Inhalt entscheidet nur bedingt über die Begeisterung.
Ob auch ein winziges Fünkchen Drachenmagie dabei ist? Vielleicht.