Wer Boris Pahors Buch „Nekropolis“ in einen Comic übertragen will, steht vor einer Mammutaufgabe. Zuviel steckt in der Vorlage: der Bericht eines Autors, der zunächst an seine Besuche in KZ-Gedenkstätten zurückdenkt, seine minutiös geschilderten Gänge über die früheren Lagergelände, wo er selbst einst Gefangener war. Was er bei diesen Besuchen sieht, beschwört die Erinnerungen an seinen KZ-Alltag herauf. Parallel dazu sinnt er seinen Qualen nach, der Trauer um die Sterbenden, dem Hunger, der Angst. Gepaart mit dem Bewusstsein, dass dieses Leid den Nachgeborenen nicht vermittelbar ist. Versuchte ein Comic all das abzubilden, er würde sich in einem Wust von Bildern verlieren.
Boris Pahors Bewusstseinsstrom – zeichnerisch radikal reduziert
Dass die Comic-Version von „Nekropolis“ den Untertitel „Der Roman als Graphic Novel“ hat, führt darum in die Irre. Denn der junge slowenische Zeichner Jurij Devetak überträgt den Bewusstseinsstrom von Boris Pahors Ich-Erzähler nicht eins zu eins. Er reduziert ihn radikal. So sehen wir zwar Boris Pahor beim Schreiben seines Buchs im Triest des Jahres 1966. Doch dessen Erinnerung zeigt ihn in nur einer Gedenkstätte, Struthof-Natzweiler im Nordosten Frankreichs, und auch nur eine kleine Auswahl der erinnerten Personen und Erlebnisse.
Verbunden sind die Zeit im KZ und der Besuch der Gedenkstätte durch ihre Schwarzweiß-Kontraste. Als Stilmittel eine einleuchtende Wahl. Denn das Erlebte legt sich über alles, was danach kommt. Die weißen Flächen wirken geradezu gleißend hell, das Schwarz wie ein Abgrund. Das erzeugt eine düstere Atmosphäre, im Wald ums Konzentrationslager Struthof ebenso wie im Arbeitszimmer des Erzählers. Kurze Auszüge aus dem Roman, abgedruckt in alter Schreibmaschinenschrift, platziert der Zeichner in die Einzelbilder hinein, oft auch auf die Figuren oder in die Landschaft, mal schwarz auf weiß, mal weiß auf schwarz. Die Schrift gibt den Bildern Sachlichkeit. Sie macht das Bedrückende des Gezeigten erträglich, obwohl wenig überhaupt gezeigt wird.
Beim Umblättern sind wir plötzlich in der Vergangenheit
Anfangs sehen wir Pahor an seiner Schreibmaschine, dann in dessen Erinnerung zum KZ-Gelände inmitten der Berge fahren, dort umherwandern und es wieder verlassen. In feinen, präzisen Strichen umreißt Devetak die Anlage, skizziert die terrassenartig an den Berg gebauten Baracken, lenkt den Blick auf den Stacheldraht oder die Wachtürme, dann wieder zurück auf den Erzähler inmitten des kahl anmutenden Geländes.
So schlagartig wie die Erinnerungen in ihm aufsteigen, so plötzlich werden wir beim Umblättern immer wieder in die Vergangenheit versetzt. Dann blicken wir auf eine Reihe schemenhafter Gestalten, erst auf den zweiten Blick durch graue Streifen als KZ-Insassen erkennbar. Oder ein abgemagerter Mann mit kahlrasiertem Kopf tritt auf einer schwarzen Seite aus dem Dunkel hervor. Es sind vor allem Momentaufnahmen, keine Handlungssequenzen. Verständlich werden sie erst durch Pahors Text, der schildert, wie sich die Häftlinge beim Essen über ihre Holzlöffel beugen oder sich vor dem Schlafen im Halbdunkel ausziehen. Devetak verwischt, radiert und schraffiert die Figuren im KZ und umrahmt sie, wenn überhaupt, mit abstraktem Schwarz. Wodurch sie weniger wie Menschen wirken. Sondern wie Geister.
Virtuose Zeichnungen, doch der Vorlage zu fern
Überhaupt spart der Zeichner an Bildern des Lebens im Lager. Er konzentriert sich eher auf den Gang des Erzählers durch die Gedenkstätte, lässt uns durch seine Augen auf die Orte des früheren Schreckens blicken und mit ihm verwundert die Gelöstheit der anderen Besucher erleben. Anders als Pahor, der gleichberechtigt das Leiden in der Vergangenheit und die Gegenwart nebeneinanderstellt. Jurij Devetaks „Nekropolis" verschiebt den Fokus darauf, wie unwirklich das Grauen der Konzentrationslager im Nachhinein anmutet.
Von Pahors Buch, das das Schreckliche genau in den Blick nimmt, bleibt damit zu wenig übrig. Auch wenn Devetak virtuos zeichnet und jedes Pathos vermeidet – er arbeitet an der Vorlage vorbei. Vielleicht zeugt diese Version von „Nekropolis" davon, dass mit dem Tod der letzten Überlebenden der Nationalsozialismus unausweichlich auf Distanz rückt.