Buchkritik

Ada D’Adamo – Brief an mein Kind

Stand
Autor/in
Gisa Funck

Wie überlebt man gleich zwei schwere Schicksalsschläge? Davon erzählt die Mutterbeichte „Brief an mein Kind“ von Ada D'Adamo, ohne wütende Anklage und ohne Gefühlsduselei.

Der Schicksalsschlag traf Ada D’Adamo völlig unvorbereitet. Als sie im November 2007 ihre Tochter Daria zur Welt brachte, ahnte sie zunächst nichts Schlimmes. Schließlich hatte sie vorher alle nötigen Schwangerschafts-Untersuchungen gemacht – immer ohne Auffälligkeit.

Dann aber hielt D’Adamo nach der Geburt ein Baby im Arm, bei dem „HPE“ festgestellt wurde: der abgekürzte Fachterminus für eine schwere Hirnschädigung. Entsprechend schnell stand fest: D’Adamos Tochter Daria würde niemals laufen können, niemals sprechen, niemals gerade sitzen und nie klar konturiert sehen.

Eine Leben ohne Hoffnung auf Selbständigkeit

Sie würde zeitlebens ein Mensch bleiben, der auf fremde Hilfe angewiesen sein würde. Und damit ein Kind, das D’Adamo bei entsprechendem Vorbefund nicht geboren hätte, wie sie offenherzig zugibt:    

Ich liebe meine wundervolle, unperfekte Tochter. (…) Doch hätte ich damals die Wahl gehabt, ich hätte mich für einen Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen entschieden.

Schlimme Diagnose nach der Geburt 

Schon das Schicksal, ungeplant Mutter einer hochgradig beeinträchtigten Tochter zu werden, ist schwer erträglich. Umso erschütternder liest es sich, dass die Autorin einige Jahre später auch noch eine weitere fatale Diagnose hinnehmen muss: Diesmal die Diagnose, an fortgeschrittenem Brustkrebs erkrankt zu sein.

„Brief an mein Kind“ ist somit der ergreifende Lebensbericht einer erfolgreichen, talentierten, emanzipierten Frau, die 2007 plötzlich ohne Vorwarnung in einen Unglücksstrudel gerät, scheinbar völlig grund- und schuldlos:

Warum gerade ich? Man sucht nach einem konkreten Grund, weil man nicht hinnehmen kann, das Opfer eines simplen Zufalls zu sein. 

Als Mutter einer schwer behinderten Tochter machte D’Adamo dann die bittere Erfahrung, schlagartig zu einem „Menschen zweiter Klasse“ degradiert zu werden, wie sie schreibt. Zu einem sozialen Paria, der – genauso wie ihre Tochter Daria – von der tonangebenden Mehrheit der Gesunden im Alltag ständig übersehen, ausgegrenzt und manchmal sogar öffentlich beleidigt wird.

Im Gegensatz zu vielen anderen Opferberichten aber verblüfft an D’Adamos Mutterbeichte deren so gar nicht wütend-anklagender und unjammeriger, unpathetischer Tonfall. Ganz offensichtlich ging es der Autorin mit ihrem letzten Buch nicht darum, eine Abrechnung mit unserer oft ungerechten, unsolidarischen Leistungsgesellschaft vorzulegen.

Eine Unglücksbilanz ohne Wut und Bitterkeit

Stattdessen erzählt D’Adamo in ihrem Abschiedsbrief an die Tochter vor allem von ihrer eigenen inneren Wandlung. Also davon, wie sie als ehemalige Tänzerin und Perfektionistin langsam gelernt hat, die täglichen Demütigungen an Darias Seite mit einem gewissen Gleichmut zu ertragen:

Das ist keine Resignation, eher so etwas wie aktive Akzeptanz. Man hört auf, „dagegen“ zu kämpfen. Man konzentriert sich darauf, „für“ etwas zu kämpfen.

Es ist dieser nicht mehr hadernde, nachsichtige und angenehm unaufgeregte Blick auf die eigene Tragödie, der  D’Adamos Überlebensbericht so außergewöhnlich macht. Zwar äußert sie darin auch immer wieder durchaus scharfe Kritik an unserer, auf Profitmaximierung ausgerichteten Lebensweise, derentwegen wir heute oft so unfähig sind, angemessen auf Versehrtheit und Tod zu reagieren.

Die Autorin gesteht aber auch eigene Fehler im Umgang mit Daria ein. Und: Sie verpackt ihre Klage insgesamt so freundschaftlich in die Du-Ansprache, dass ihr nichts Rachsüchtiges, Selbstmitleidiges oder Didaktisches anhaftet.

Auf diese Weise wird D‘Adamos Brief letztlich zu einem ermunternden Aufruf an uns alle. Dafür, sich den Wert jeden Lebens bewusst zu machen, so schwierig, herausfordernd oder unperfekt es einem mitunter auch erscheinen mag. 

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