Laut Studien sinkt die Lesekompetenz von Kindern und Jugendlichen in Deutschland seit Jahren. Das Deutsche Literaturarchiv Marbach will aus diesem Anlass Impulse für aktuelle Bildungsdebatten geben und diskutiert unter anderem mit der baden-württembergischen Bildungsministerin Theresa Schopper und Hans Lösener, Professor an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg unter dem Motto „Literatur bildet – bildet Literatur?".
Verschiedene Ursachen
Laut Hans Lösener sind die Zahlen eindeutig: Viertklässler lesen deutlich schlechter als vor fünf Jahren, wie die Iglu–Untersuchung zeigt. Ein Viertel der Kinder erreicht nicht einmal das international festgelegte Mindestniveau im Lesen. Bei Neuntklässlern sieht es noch schlimmer aus – über 30 Prozent scheitern hier, wie der Bildungstrend bestätigt. Es gibt viele Ursachen: heterogene Klassen, die Auswirkungen der Corona–Schulschließungen und sozioökonomische Benachteiligungen.
Schule und Familie müssen besser zusammenarbeiten
Das deutsche Schulsystem geht davon aus, dass in den Familien viel gelesen und gesprochen wird, das sei die Voraussetzung für Erfolg in der Schule, sagt Lösener. Das sei jedoch nicht überall der Fall. Der Deutschunterricht richte sich meist an Kinder mit hohem muttersprachlichem Niveau. Andere Kinder seien benachteiligt und benötigten zusätzliche Fördermaßnahmen, so Lösener. Hier müsste der Deutschunterricht grundlegend umgestaltet werden.
Hans Lösener fodert: „Im Literaturunterricht sollten wir uns fragen: Wie lernen Schülerinnen und Schüler, Texte zu verstehen? Gleichzeitig können sie dabei ihre Sprachkompetenz verbessern. Das Lesen von Literatur ist zentral, weil es Sprach– und Denkfähigkeiten gleichermaßen fördert."
Lesen befähigt zu kritischem Denken
Lesen ist laut Lösener unabdingbar für eine gelingende Demokratie. Nur wer sich kritisch mit komplexen Themen auseinandersetzen könne, sei in der Lage, zu partizipieren und einfache Antworten infrage zu stellen. „Ohne Lesekompetenz steigt die Gefahr, populistischen Stimmen zu folgen. Lesen ist also nicht nur Bildung, sondern auch ein Grundpfeiler für ein friedliches demokratisches Zusammenleben", sagt Lösener.
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