Kriegsschicksale in Panels

Wenn Bilder Geschichte erzählen: Comics und Graphic Novels über den Zweiten Weltkrieg

Stand
Autor/in
Hannegret Kullmann
Hannegret  Kullmann, Autorin bei SWR Kultur
Onlinefassung
Dominic Konrad

Niemals war die Aufklärung über die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg wichtiger als heute, 80 Jahre nach Kriegsende. Doch wie kann man Geschichte zeitgemäß vermitteln? Comics und Graphic Novels lassen die Vergangenheit in Bild und Wort lebendig werden und sprechen nicht zuletzt auch ein jüngeres Publikum an.

Bewegendes Graphic Diary: „Das Tagebuch der Anne Frank“

Szene aus dem Zeichentrickfilm „Das Tagebuch der Anne Frank"
Leben im Versteck im Amsterdamer Hinterhaus: Basierend auf der Graphic Novel realisierte Regisseur Ari Folman 2021 den Zeichentrickfilm „Wo ist Anne Frank“.

70 Jahre nach der Erstveröffentlichung der authentischen Aufzeichnungen „Das Tagebuch der Anne Frank“ erschien 2017 ein gleichnamiges Graphic Diary, realisiert von Filmregisseur und Autor Ari Folman gemeinsam mit dem Illustrator David Polonsky. Das Buch kombiniert den Originaltext von Anne Frank mit fiktiven Dialogen, begleitet von fantasievollen farbigen Zeichnungen.

Das illustrierte Tagebuch richtet sich an junge Leserinnen und Leser zwischen 10 und 14 Jahren. Es ruft das Schicksal des jüdischen Mädchens Anne Frank in Erinnerung, das 1945 im KZ Bergen-Belsen ums Leben kam.

Der Film „Wo ist Anne Frank“ in der ARD Mediathek

Ari Folman realisierte auf Grundlage des Comic-Tagebuchs den Zeichentrickfilm „Wo ist Anne Frank“, der 2021 bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere feierte.

Autobiographische Apokalypse: „Barfuß durch Hiroshima“

Comic zeigt Atompilz als Schwarz-Weiß-Zeichnung
Originalzeichnungen von Keiji Nakazawa. Sie wurden 2012 im Wilhelm Busch-Museum in Hannover gezeigt.

Als Kind erlebte der japanische Comic-Zeichner Keiji Nakazawa (1939-2012) den US-amerikanischen Atombomben-Abwurf über seiner Heimatstadt Hiroshima. Dabei verlor er Vater, Bruder und Schwester. Seine Mutter brachte noch am selben Tag ein Baby zur Welt, das nach kurzer Zeit verstarb. Seine apokalyptische Erfahrung verarbeitete Nakazawa in einer umfangreichen Manga-Serie.

„Barfuß durch Hiroshima“ wurde zunächst kapitelweise in diversen Manga-Magazinen veröffentlicht, ab 1975 erschien der autobiographische Comic-Roman in Japan in zehn Sammelbänden. Die deutsche Ausgabe, die 2004 im Carlsen Verlag veröffentlicht wurde, umfasst vier Bände.

Nakazawa schildert die Geschehnisse aus der Perspektive des sechsjährigen Jungen Gen. Es geht nicht nur um das Überleben der nuklearen Katastrophe, sonder auch um Kritik am militaristischen Vorkriegs-Japan.

Spionage-Thriller in Nazi-Deutschland: „Die Geschichte der 3 Adolfs“

Schwarz-Weiß-Comicseite aus der Graphic-Novel "Adolf" von Osamu Tezuka
Osamu Tezuka zeichnete einen Thriller rund um die rätselhafte (und rein fiktionale) Identität von Adolf Hitler.

Während der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin taucht ein Dokument auf, das beweisen soll, dass Adolf Hitler selbst jüdischer Abstammung ist. Der japanische Sportreporter Sohei Toge, der sich für die Spiele in Berlin aufhält, stößt nach dem Tod seines Bruders auf viele Ungereimtheiten. Er beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und gerät zwischen die Fronten deutscher und japanischer Geheimdienste.

Der 1989 verstorbene Comiczeichner Osamu Tezuka gilt als der „Vater des modernen Manga“. Viele der von ihm erdachten Figuren wie „Astro Boy“ und „Kimba, der weiße Löwe“ haben in Japan einen ähnlichen Bekanntheitsgrad wie Micky Maus und Donald Duck und sind auch international populär.

In seinem 1983 veröffentlichten Spionage-Thriller rund um drei verschiedene Adolf-Figuren, der in der deutschen Ausgabe drei Bände umfasst, vermischt Tezuka historische Fakten und fiktive Elemente.

Auf den Spuren der eigenen Familie: „Columbusstraße“

Ausschnitt aus der Graphic Novel „Columbusstraße“ von Tobi Dahmen
Tobi Dahmen hat sich auf sehr persönliche Weise mit der NS-Zeit auseinandergesetzt.

Acht Jahre lang hat sich Illustrator Tobi Dahmen mit der eigenen Familiengeschichte während der NS-Zeit beschäftigt und daraus eine Graphic Novel gemacht. Sein Ziel: In einem Mini-Universum die große Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu erzählen. Als Quellen für sein Buch dienten ihm Fotos und Briefe aus dem Nachlass seines Vaters.

Ausgangspunkt ist die Columbusstraße in Düsseldorf, in der sein Großvater lebte. Tobi Dahmen beleuchtet dabei die dunklen Flecken seiner Familiengeschichte und deckt auf, wie sein Großvater unter großem Druck zum NSDAP-Mitglied wurde.

Nicht nur die Geschichte, auch die Zeichnungen sind sehr detailreich und spielen mit den unterschiedlichsten Grautönen.

Mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet: „Maus – Die Geschichte eines Überlebenden“

Zeichner Art Spiegelman in einem Selbstporträt als Maus im Stil seines bekannten "Maus"-Comics.
Zeichner Art Spiegelman in einem Selbstporträt an seinem Zeichentisch. Der Autor trägt die Maske seines Mäuse-Alter Ego aus dem Comic über seine Familiengeschichte. Das Bild stammt aus einer großen Spiegelman-Retrospektive des Jüdischen Museums New York im Jahr 2013.

Wenn es um die NS-Zeit und die Shoa geht, darf dieses Buch von Art Spiegelman nicht fehlen: „Maus – Die Geschichte eines Überlebenden“.

Spiegelman gehörte in den 1970er-Jahren zur Underground-Comic-Szene in San Francisco. Seine Eltern waren polnische Juden, die das KZ Auschwitz überlebten und nach Kriegsende über Schweden in die USA emigrierten.

Mit „Maus“ brach Art Spiegelman ein Tabu. In vielen jüdischen Familien wurde nicht über den Holocaust gesprochen. Seine Graphic Novel erzählt die Geschichte seines Vaters Władysław Spiegelman, der im Buch Wladek heißt.

Emotionale Distanz schafft Spiegelman, indem er die Figuren seiner Erzählung als Tiere darstellt: Die Juden sind Mäuse, die Nazis Katzen, die nichtjüdischen Polen Schweine.

Walldorf und Heidelberg

Eine Graphic Novel über eine berührende Geschichte zweier Menschen Zur Reichspogromnacht: Die Geschichte von Gerda und Kurt Klein

Eine Geschichte zur Reichspogromnacht: Wie der junge Walldorfer Kurt Klein vor den Nazis flieht und später die KZ-Überlebende Gerda Weissmann kennenlernt.

Zum 100. Geburtstag des Illustrators Walter Moers über Edward Gorey: „Ich habe seine Zeichnungen als heimelig und warm empfunden“

Am 22. Februar 2025 wäre der 100. Geburtstags des amerikanischen Kultautors und Illustrators Edward Gorey. Zu diesem Anlass spricht Walter Moers über seine Lieblinge im Gorey-Kosmos.

Graphic Novel „Der Große Reset“ Comicautorin Ika Sperling: Mein Querdenker-Vater, die Weinberge und ich

Mit dem Comic-Debüt einen Nerv getroffen: In „Der Große Reset“ erzählt Ika Sperling vom Abdriften ihres Vaters in Verschwörungserzählungen und dem Zerbrechen der Familie.

Anime-Highlight „Pluto“ auf Netflix Naoki Urasawa ist der Manga-Meister des übernatürlichen Realismus

Kritiker erwarten das Anime-Highlight des Jahres: Netflix veröffentlicht „Pluto“ nach dem Manga von Naoki Urasawa. Der Comic-Autor gilt er als Garant für tiefgründige Pageturner.

Beethovens Biografie | Unterricht

Was ist nur mit Beethoven los? Das sollen die Schülerinnen und Schüler auf kreative Art und Weise beantworten - als Geschichte, Comic oder Video.

SWR2 lesenswert Kritik Boris Pahor und Jurij Devetak – Nekropolis

Der slowenische Zeichner Jurij Devetak hat mit dem Comic „Nekropolis" die Erinnerungen seines Landsmanns Boris Pahor an dessen Zeit in deutschen KZ adaptiert. Eine Zeit geprägt von Gewalt, Todesangst und Hunger, gezeichnet in harten Hell-Dunkel-Kontrasten.

Aus dem Slowenischen von Barbara Anderlič
Schaltzeit Verlag, 172 Seiten, 25 Euro
ISBN 978-3-946972-73-0