Wie soll Frau sein? Was darf sie sein? Die eindrucksvolle Ausstellung „Stand Up!“ mit Werken der feministischen Avantgarde aus der Sammlung „Verbund“ in der Staatsgalerie Stuttgart“ macht deutlich: Schon in den 1970er-Jahren arbeiten Künstlerinnen an einem neuen Bild der Frau und ringen um ihre Sichtbarkeit im Kunstbetrieb. Die Schieflage ist bis heute geblieben.

Frauen, die das ihnen zugedachte Rollenbild mit Hingabe annehmen
Sie bügelt den Flur. Eine Frau in Jeans und Pullover hockt in einem lang gestreckten Gang. Dabei glättet sie augenscheinlich mit einem Bügeleisen den ohnehin spiegelglatten Linoleumboden eines tristen Hochhauses. Scheinbar ohne jegliche Frustration im Gesicht, mit einer wirklichen Hingabe und Akribie, erklärt Kuratorin Sandra-Kristin Diefenthaler:
„Das zeigt auch, wie die Frauen diese Rollen annehmen, die für sie vorbestimmt sind. Sie hat sich das Gesicht weiß bemalt, wie eine Pantomime. Das soll zeigen: Sie steht für viele Frauen, die in ihren blank geputzten Wohnungen sitzen und warten bis der Mann nach Hause kommt.“

Die Frau mit dem Bügeleisen ist die deutsche Künstlerin Renate Eisenegger. Die Fotografien dokumentieren ihre Performance „Hochhaus“ von 1974. Eisenegger bügelt in einem Raum, den die Ausstellungsmacherinnen mit „Das Private ist politisch“ überschrieben haben.
Ausbrechen aus den starren Rollenbildern
Die Frauen sind Gefangene in den starren Rollenbildern. „Ausbruch“ ist die Überschrift des nächsten Raumes, in dem es darum geht, wie Frauen versuchen, aus diesen Rollen auszubrechen.

Mitten im Raum steht eine offene Kiste, wie ein etwas zu groß geratener quadratischer Umzugskarton. Wer näher herantritt und hineinschielen will, schreckt erschrocken zurück. Auf den ersten Blick sieht es aus, als würde sich eine nackte Frau in den kleinen Karton zwängen. Den Kopf zwischen den Beinen, die Arme um die Unterschenkel geschlungen. Tatsächlich ist es eine Fotografie von Kirsten Justesen, die statt des Deckels auf den Karton gesetzt wurde.
„Das ist eine eindrückliche Arbeit“, findet Sandra-Kristin Diefenthaler, „weil Kirsten Justesen uns darauf aufmerksam machen möchte, dass man hier auf einen Menschen schaut, der eingesperrt ist. Die Person ist auch noch nackt. Das heißt sie ist auch noch sehr verletzbar, nahbar.“
Das Wort Emanzipation gab es im Sozialismus nicht
Vermeintlich „freier“ schienen die Frauen in der damaligen DDR. Sie waren wichtige Arbeitskräfte und „durften“ arbeiten. Der Blick auf die Kunst zeigt: mit Gleichberechtigung und Feminismus im anderen Deutschland war es so eine Sache, wie Kuratorin Linda Marie Kirschey erklärt.
Zum Beispiel habe sich die Künstlerin Gabriele Stötzer stark für die Kunst von Frauen eingesetzt, aber auch für das Wort „Emanzipation“, das, wie die Künstlerin sagte, im Sprachgebrauch des Sozialismus nicht vorhanden gewesen sei, weil Frauen und Männer waren ja sowieso gleichgestellt gewesen wären. „Das kam negativ zum Tragen“, erzählt Linda Marie Kirschey, „sie wurde politisch exmatrikuliert, war auch inhaftiert und ist dann in den Untergrund gegangen und hat Frauenvereinigungen gegründet und sich weiter ausgelebt.“
Künstlerinnen muss man in Sammlungen von Museen immer noch mit der Lupe suchen
Die Werke stammen alle aus der Sammlung Verbund, die vor knapp 20 Jahren von dem gleichnamigen österreichischen Energieerzeuger ins Leben gerufen wurde. Gründungsdirektorin Gabriele Schor leistete damals Pionierarbeit, immer noch muss man Kuratorin Diefenthaler zufolge in Sammlungen von Museen Künstlerinnen im Verhältnis mit der Lupe suchen.

„Das ist auch ein interessanter Punkt von feministischer Kunst, dass Bilder immer wieder benutzt werden und der Wunsch nach Gleichberechtigung in all unseren Köpfen ist“, sagt Diefenthaler, „aber wenn wir richtig nach Namen gefragt werden, von weiblichen Künstlerinnen, die sich dafür eingesetzt haben, wird man nicht so viele Namen finden.“
Das neue Bild der Frau wurde in der Kunstgeschichte bisher zu wenig beachtet
Den Künstlerinnen der Feministischen Avantgarde ist es schon damals gelungen, ein völlig neues Bild der Frau zu schaffen – aber es wurde in der Kunstgeschichte bisher viel zu wenig beachtet. Bis heute stolpern wir über Darstellungen, in denen Frauen eine Rolle einnehmen, die ihnen vermeintlich nicht zusteht.

Was soll Frau sein? Was darf sie sein? Die eindrucksvolle Ausstellung „Stand Up!“ macht deutlich: Die festgefahrenen Bilder von Frauen sind nach wie vor in den Köpfen aktiv.
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