Der Württembergische Kunstverein ist einer der ältesten dieser Vereine in Deutschland: Mit der neuen Ausstellung „Anschlüsse an 200 Jahre Gegenwart“ öffnet die Einrichtung ihre Archive und gibt Einblicke in spannende und vergessene Geschichten aus knapp zwei Jahrhunderten.
Viele historisch anmutende Darstellungen
Oben steht stolz der goldene Hirsch auf der Kuppel des Gebäudes, unten liegt alles in Trümmern: eine kleine Gruppe von Menschen in altertümlichen Gewändern steht vor den Schuttbergen, die sich in und vor dem Gebäude auftürmen.
Bei genauerem Hinsehen fällt auf: Der goldene Hirsch auf dem Dach führt auf eine falsche Fährte: Es ist nicht das bekannte Wahrzeichen des Kunstgebäudes am Schlossplatz, in dem auch der Württembergische Kunstverein seinen Sitz hat.
Das Bild ist eine von vielen historisch anmutenden Darstellungen, die turbulente oder fast bürgerkriegsähnliche Szenen zeigen. Hier war eine KI mit am Werk.
Keine lineare Idee von Zeit
Es ist eine Arbeit des spanischen Künstlers Daniel García Andújar. Es ist das einzige Werk, das neu für die Ausstellung „Anschlüsse an 200 Jahre Gegenwart“ entstanden ist.

„Im Prinzip haben wir alles was im Archiv ist hier hoch gebracht und fangen an, das zu sortieren. Und gehen da bewusst nicht mit einer linearen Idee von Zeit vor. Sondern überlagern verschiedene Momente und Zeiten, erklärt Co-Direktorin Iris Dressler.
Das Direktorenduo hat sich viel vorgenommen
Der Untertitel „Der Kunstverein und die Fiktionen von Souverän, Freiheit und Nation“ lässt erahnen: Das Direktorenduo hat sich hier viel vorgenommen. Unter anderem mit mehreren Tafeln, wie Mind-Maps, geht der Kunstverein seinen Anfängen mit Gründerfiguren wie dem Bänker Gottlob Heinrich Rapp oder dem Verleger Johann Friedrich Cotta nach.
„Das ist ein wachsendes System aus Bild-Text-Montagen. Das sich auf einer vielschichtigen Ebene mit den Figuren, die den Kunstverein gegründet haben und den Themen auf einer anachronistischen Ebene aber doch historischen Ebene versuchen darzustellen.“

Keine leichte Kost
In mehreren Konstellationen bis 2027 soll möglichen Anschlüssen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachgegangen werden. Der Souverän ist dabei der neue selbstbewusste, reiche Besitzbürger, der sich für Kunst interessiert.
Die neue Freiheit der Kunst, die unabhängiger von Adel und Kirche wird. Und die Nation: Zur Gründungszeit entscheidend – Kunst ist schließlich auch identitätsstiftend.

Alle Konstellationen sind als offenes Arrangement angelegt, zwischen Ausstellung, Archiv und Werkstatt. Der erste Aufschlag kommt sehr historisch daher und mutet damit verkopft an.
Wer sich hier nur berieseln lassen will, muss scheitern. Aber wer Zeit mitbringt, kann spannende Überraschungen erleben.
Blick auf unschöne Kapitel
Es gibt auch einen Blick zurück in die unschönen Kapitel des Württembergischen Kunstvereins, erklärt Kuratorin Iris Dressler:
„Das eine ist die NS-Geschichte, auch der Kunstverein hat sich gleichschalten lassen. Und eine Geschichte, die bislang wenig erforscht ist, in der Auseinandersetzung mit Kunstvereinen, die Verbindung zum Kolonialismus.“
Ambitioniertes Unterfangen
Fast vergessen die Geschichte der ersten Direktorin des Kunstvereins direkt nach dem 2. Weltkrieg, Alice Widensohler. Alte Plakate erinnern an ihre zum Teil visionären Ausstellungen.
Von Giacometti bis Baumeister – die Schauen fanden zum Teil in den Ruinen eines alten Kaufhauses statt, das Kunstmuseum wurde im Krieg zerstört.

Fotografien und Kataloge aus den 70-ern dokumentieren die zaghafte Auseinandersetzung mit dem kunsthistorischen Erbe, den Kunstwerten, aus der NS-Zeit - unter dem damaligen Direktor Tilman Osterwold.
Der Württembergische Kunstverein reflektiert sein Erbe und blickt in die Zukunft – ein Konzept, das nur aufgeht, wenn Perspektiven von außen dazu kommen, also ein Weiterdenken stattfindet. Ein ambitioniertes Unterfangen.
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