„Wie lässt sich die Gegenwart erfassen und erzählen in einer Zeit, in der jeder Tag von globalen Umbrüchen und Gewalt geprägt ist?“ Diese Frage hat sich Anna Sailer, Kuratorin und Direktorin am Tomi Ungerer-Museum in Straßburg, gestellt und vier internationale Künstler*innen eingeladen, deren Werke sich mit zeitgenössischen Themen beschäftigen.
Politisches und Privates untrennbar miteinander verwoben
Mounira Al Solh, Nino Bulling, Neïla Czermak Ichti und Mazen Kerbaj zeigen ihre ganz unterschiedlichen künstlerischen Arbeitsweisen und Strategien, die Gegenwart einzufangen. Mal in gezeichneten Tagebüchern, mal in Wolkenbildern. Ihre Kunst bewegt sich zwischen dokumentarischen, fiktiven und fantastischen Ansätzen, aber alle Werke zeigen wie Politisches und Privates untrennbar miteinander verwoben ist.
Was machen die täglichen Krisen-Meldungen mit uns?
Auf der Schwarz-Weiß Zeichnung der Künstlerin Neïla Czermak Ichti steht eine Frau einsam in einem Zimmer, mit dem Handy am Ohr. Ihr Blick geht ins Leere. Der Mond scheint ins kahle Zimmer. Und in diesem Zimmer steht Wasser – es reicht der Frau schon bis zur Brust.

Anna Sailer hat diese Arbeit als Plakatmotiv für die Ausstellung ausgewählt. Für die Kuratorin macht es den Kerngedanken ihrer Ausstellung deutlich: wie gehen wir mit den täglichen Nachrichten über Krisen um, was macht das mit uns? Und wie verarbeiten Zeichnerinnen und Zeichner diese Erfahrungen in ihren Arbeiten.
Mit Post-Its der Informationsflut Herr werden
Der libanesische Künstler Mazen Kerbaj versucht zum Beispiel der ständigen Informationsflut Herr zu werden, indem er eine Art Tagebuch verfasst. Nicht im klassischen Sinne, sondern er füllt seit dem Jahr 2020 täglich bunte Post-Its, die er dann fein säuberlich zu großen Wandgemälden gruppiert:

Tagebücher voller Zeichnungen kleiner Alltagsszenen
Auch Nino Bulling verfasst seit letztem Jahr eine Art Tagebuch. Privates und Politisches ist für den Berliner Künstler nicht zu trennen. Und so finden sich in seinen Tagebüchern Zeichnungen kleiner Alltagsszenen im Schwimmbad oder Skizzen von Treffen mit Freunden im Café neben Szenen aus einer Bundepressekonferenz oder abgezeichnete Fernsehbilder vom Sturz des syrischen Diktators Assad, manchmal ergänzt mit Sprechblasen oder kleinen Texten. Angefangen hat Nino Bullinger seine künstlerische Laufbahn mit gezeichneten Reportagen, vor Ort und live:

Wandteppiche mit Portraits arabischer Frauenrechtsaktivistinnen
Auch wenn das Medium der Zeichnung schnell ist: manchmal überschlagen sich die Ereignisse geradezu. Die libanesische Künstlerin Munira Al Solh wollte eigentlich in der Ausstellung ihre neusten Porträtskizzen syrischer Geflüchteter zeigen, als plötzlich das Assad-Regime fiel.

Daraufhin wollte sie ein Zeichen der Hoffnung für die Zukunft der Frauen in Syrien setzen. Sie hat den Zeichenstift gegen Nadel und Faden getauscht und lauter Portraits arabischer Frauenrechtsaktivistinnen auf Wandteppiche gestickt, um an ihre Gedanken und Taten zu erinnern und daran anzuknüpfen.

Die Ausstellung zeigt eindrucksvoll, wie unterschiedlich die vier ausgewählten Künstlerpersönlichkeiten das Medium Zeichnung nutzen, um Zeitgenossenschaft zu bekunden – mal poetisch, mal kraftvoll, mal mit Humor, mal in tiefer Trauer – aber immer mit großem Engagement und beeindruckender Intensität.
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