„Olfas Töchter“ von der tunesischen Regisseurin Kaouther Ben Hania ist eine selbstreflexive und herzzerreißende Mischung aus Fiktion und Dokumentation. Erzählt wird die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter und ihrer vier Töchter, von denen sich zwei dem „Islamischen Staat“ angeschlossenen haben.
Die Regisseurin ergründet die Ursachen der Familientragödie
Das Verschwinden der beiden älteren Töchter der alleinstehenden Tunesierin Olfa liegt zum einen an der Erziehung der Mutter: Sie ist liebevoll, jedoch auch sehr streng. Den Töchtern fehlt der Freiraum und sie sehnen sich nach dem „Anderen“. Zum anderen liegt es an der Indoktrination durch den streng religiösen Islam und dessen Politisierung zum Islamismus.
Die verschwundenen Schwestern werden von Schauspielerinnen verkörpert
Die Regisseurin Kaouther Ben Hania engagierte zwei Schauspielerinnen, um die Abwesenheit der verschwundenen Schwestern auf der Leinwand zu kompensieren und nutzt dabei die Kraft des Kinos, um unsichtbare Wahrheiten zu enthüllen und sichtbar zu machen.
Schmerzhafter Prozess für die Beteiligten
So wechselt die Regisseurin zwischen den rekonstruierten Szenen und den Interview-Aussagen der realen Protagonistinnen. Auf eine Weise ist der Film darum auch Katalysator: Es geht ständig um das Problem, mittels des Films Situationen nachzustellen oder Menschen schmerzhafte Ereignisse wiedererleben zu lassen.
Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen
Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen im Verlauf des Films immer wieder: Es gibt Momente, die ohne Vorwarnung von den Figuren, die über eine Szene sprechen, zu der Szene selbst übergehen. Die Nachstellung ist so präzise, dass man manchmal vergisst, dass die beiden Schauspielerinnen nicht die Schwestern der Protagonisten sind.
Härte der Mutter ist Produkt eines patriarchalischen Systems
Der Film urteilt nie über Olfa und ihre Entscheidungen. Während die Töchter und Schauspielerinnen ihre Meinungen teilen, lässt Regisseurin Kaouther Ben Hania erkennen, dass die Härte der Mutter oft das Produkt jahrelanger Traumata sowie eines patriarchalischen Systems ist. Dadurch hat sie viele Werte und Verhaltensweisen entwickelt, die letztlich ihren Töchtern geschadet haben.
Die schwere Thematik wird mit Sensibilität behandelt
„Olfas Töchter“ ist großartiges und originelles Dokumentarfilmkino, das mit Hilfe des Films das Leben einer ganzen Familie rekonstruiert und versucht, die systemischen und sozialen Ursachen zu erklären, die zur Tragödie führen.
Trotz des schweren Themas behandelt die Regisseurin den Stoff ihres Films auf eine erträgliche und verdauliche Weise – mit viel Menschlichkeit, Sensibilität und sogar einer Dosis Humor.
Trailer zum Film „Olfas Töchter“:
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