Filmgeschichte

„Megalopolis“ von Coppola: Ein Streifzug durch die Filmgeschichte des Exzessiven

Stand
Autor/in
Rüdiger Suchsland
Onlinefassung
Dominic Konrad

„Cleopatra" von Joseph Mankiewicz war nicht nur der letzte jener „Monumentalfilme" über die römische Antike, sondern auch ein monumentaler Flop, der 1966 die 20th Century Fox an den Rand des Ruins brachte. Maßlos wie dieser waren Hollywoodfilme immer wieder, schon zur Stummfilmzeit. Ein Streifzug durch die Kinogeschichte des Maßlosen und Exzessiven fördert manche Überraschung zutage.

Hollywood wollte schon immer „Bigger than Life“ sein

„Megalopolis“ – wenn ein Film schon so heißt, dann muss er etwas ganz Besonderes und ganz Großes sein, Und tatsächlich ist der neue Film von Francis Ford Coppola, der am 26. September 2024 ins Kino kommt, so oder so ein unvergleichliches, einmaliges Stück Kino. Kino, das man, wie die Kritikerin von epd-film schreibt, vielleicht erst in 50 Jahren überhaupt verstehen wird.

Damit bewegt sich der italoamerikanische Regisseur in einer langen Tradition des Kinos, vor allem natürlich des US-amerikanischen in Hollywood. Denn Hollywood wollte schon immer „Bigger than Life“, größer als das Leben, sein. Und von Anfang an hat das diese amerikanische Traumfabrik auch geschafft. Schließlich sind Träume auch nichts anderes als gigantische, überlebensgroße Ausformungen unseres Unterbewusstseins.

Herzensprojekt nach 40 Jahren „Megalopolis” von Francis Ford Coppola: Die Rückkehr einer Ikone

Ohne Unterstützung aus Hollywood finanzierte Francis Ford Coppola sein Herzensprojekt „Megalopolis” aus eigener Tasche. Es könnte sein vielleicht letztes großes Werk werden.

Ungezügelter Größenwahn in der Stummfilmära

Alles fing an zu Stummfilmzeiten mit „The Birth of a Nation“ („Geburt einer Nation“, 1915), dem heute berüchtigtem Vier-Stunden-Film von David Wark Griffith über die Geburt der amerikanischen Nation aus Bürgerkrieg und Sklaverei.

„Birth of a Nation“ (1915): Abraham Lincoln (Joseph Henabery) sitzt betend an seinem Schreibtisch
„Birth of a Nation“ ist der finanziell erfolgreichste Film der Stummfilmära. Regisseur David Wark Griffith skizziert die Ära des amerikanischen Sezessionskriegs rund um Präsident Abraham Lincoln (Joseph Henabery). Schon Anfang des 20. Jahrhunderts werden die rassistischen Untertöne des dreistündigen Historienfilms kritisiert.

Bald darauf begann die Liebe Hollywoods zur Bibel und zu Stoffen von biblischem Ausmaß: Filme wie „Greed“ („Gier“, 1924) von Erich von Strohhalm oder „Intolerance“ („Intoleranz“, 1916) über die Geschichte der menschlichen Todsünden, wiederum von Griffith, sind Meilensteine der Kinogeschichte und unserer Erinnerung an Filmprojekte, die nicht weniger als die ganze Welt erzählen wollten und die sowohl in ihrer finanziellen wie künstlerischen Anstrengung von Maßlosigkeit geprägt waren.

Zuletzt setzte der Film „Babylon – Rausch der Ekstase“ von Damien Chazelle dieser Ära ein selbst megalomanes Denkmal

Lust am Megalomanen

Das Kino damals wollte alles und noch viel mehr. Letzte Spuren dieser Stummfilmriesen finden sich noch in David O Selznicks Bürgerkriegsepos „Vom Winde verweht“ (1937).

 „Vom Winde verweht“ (1937): Scarlet O'Hara (Vivien Leigh) in den Armen von Rhett Butler (Clark Gable)
Auch das Südstaatenepos „Vom Winde verweht“ nach dem Roman von Margaret Mitchell spielt zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs. Scarlett O'Hara (Vivien Leigh) kämpft gegen den Niedergang ihrer Plantage Tara und findet sich in einem Liebesdreieck zwischen Rhett Butler (Clark Gable, im Bild) und Ashley Wilkes (Leslie Howard) wieder.

In dieser Lust am Megalomanen und in der übermenschlichen Anstrengung und Machart, die vielen dieser Filme – Riesenerfolgen wie Riesenflops – zugrunde liegt, ist Hollywood nicht nur das Modell für das globale Kino, sondern natürlich auch ein Ausdruck der amerikanischen Seele. Des Unterbewusstseins eines Landes, das letztendlich daran glaubt, dass immer einfach alles möglich ist – wenn man nur richtig will.

Regisseure, die zuviel wollten, und deren Schaffen eine exzessive Note hat, prägen die US-Filmgeschichte. Das Filmgenre dazu heißt „Americana“. Es sind, wie jetzt „Megalopolis“, große Epen, die die Gesellschaft als Ganze fassen wollen.

Orson Welles' „Citizen Kane“ (1941) natürlich, „Stadt der Illusionen“ („The Bad and the Beautiful“, 1952) von Vincente Minelli, „There Will Be Blood“ (2007) von Paul Thomas Anderson, die Figuren des selbst megalomanen durchgeknallten Milliardärs oward Hughes bei Martin Scorsese und Jack Fincher („Aviator“, 2004) , und als neuestes Beispiel: „The Brutalist“ von Brady Corbet, der gerade in Venedig den Regiepreis bekam.

„Citizen Kane“ (1940): Charles Foster Kane (Orson Welles) steht inmitten seiner Zeitungen
Zeitungsmagnat Charles Foster Kane stirbt in seinem Privatschloss Xanadu und hinterlässt mit seinem letzten Wort „Rosebud“ ein Rätsel. Orson Welles' „Citizen Kane“ sucht in einem biografischen Abriss des Zeitungsmachers nach der Antwort.

„Cleopatra“ beendete die Ära der Monumentalfilme

Doch immer wieder rissen maßlose Projekte ganze Studio in den Abgrund, und Karriereleichen pflasterten den Weg der US-amerikanischen Filmgeschichte. Am berühmtesten ist hier natürlich „Cleopatra“ von Joseph Mankiewicz, der letzte jener „Monumentalfilme“ über die römische Antike, von denen „Ben Hur“ mit seinen elf Oscars der erfolgreichste ist, und „Cleopatra“ der größte Flop. 1966 brachte er die 20th Century Fox an den Rand des Ruins und steht heute zumindest symbolisch für den Zusammenbruch des alten Studiosystems Mitte der 1960er-Jahre.

Auch Francis Ford Coppola, in dessen neuem Film ist übrigens offene Anspielungen sowohl auf „Ben Hur“ wie auf „Cleopatra“ gibt, kann ein Lied davon singen. Schon mit „Apocalypse Now“ sprengte er 1979 jeden möglichen Etat und läutete trotz vieler Preise und Kritiker-Lob das Ende von „New Hollywood“ ein.

„Cleopatra“ (1963): Kleopatra (Elizabeth Taylor) in ihrem Pharaoninnenornat, im Hintergrund eine pyramidenartige Prunkkutsche für den Triumphzug der Monarchin.
Heute Kult-Klassiker, zur Zeit der Veröffentlichung aber ein Desaster an den Kinokassen: Elizabeth Taylor spielt 1963 die Rolle der letzten ägyptischen Pharaonin Kleopatra. Bis zum Erscheinen von „Avatar“ (2009) galt „Cleopatra“ als der teuerste Film aller Zeiten.

Coppola: Letzter lebender Vertreter des alten Hollywood-Geistes

Kurz darauf dann machte seine eigene Firma Zoetrope mit technisch progressiven aber überkandidelten Projekten wie „Einer mit Herz“ („One from the Heart“, 1982) Bankrott. Coppola rettete Firma und Karriere nur mit Auftragswerken und seinem hocherfolgreichen Weinhandel.

Vielleicht ist Coppola, ein Regisseur zwischen Genie und Wahnsinn, tatsächlich der letzte lebende Vertreter des alten Hollywood-Geists mit seiner Lust am Ausufernden und am Größenwahnsinn. Zumindest er weiß: In die Filmgeschichte kommt man nur hinein, wenn man übertreibt.

„Megalopolis“, ab 26. September 2024 im Kino

Megalopolis I Offizieller Trailer

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