Regisseur und queerer Aktivist

Der schwule Stachel im Fleisch der BRD: Rosa von Praunheim wird 80

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Autor/in
Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik

Als Rosa von Praunheim in einer Talkshow Hape Kerkeling und Alfred Biolek als schwul outet, verlangt die Presse erfolglos den Boykott des Regisseurs. Ein Glück, denn seinem kompromisslosen Streit für die Sichtbarkeit schwulen Lebens verdanken wir die Selbstverständlichkeit, mit der heute in Deutschland queeres Leben stattfindet.

Ein folgenreiches Promi-Outing in unruhigen Zeiten

„Ich wusste, es ist unanständig. Sowas machen nur Schweine“, sagt Rosa von Praunheim rückblickend über seinen Auftritt in der RTL-Sendung „Der heiße Stuhl“. Vor laufender Kamera outet er im Dezember 1991 Hape Kerkeling und Alfred Biolek als schwul, zwei der beliebtesten Fernsehgesichter der Bundesrepublik.

Deutschland befindet sich auf dem Höhepunkt der AIDS-Krise. In der breiten Bevölkerung haben gerade schwule Männer keinen Rückhalt. Zwar ist Sex zwischen volljährigen Männern in der Bundesrepublik seit 1969 nicht mehr strafbar, aber bis zur völligen Entkriminalisierung von schwulem Sex durch die Abschaffung von Paragraf 175 dauert es noch bis 1994. Bis sich mit Klaus Wowereit erstmals ein prominenter Politiker offen outet, gehen noch zehn Jahre ins Land.

SWR Zeitwort: Rosa von Praunheim outet schwule Promis

Zu schwul für die ARD: Von Praunheim holt den Kampf für Anerkennung ins Fernsehen

Mit „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ gelingt von Praunheim 1971 der Durchbruch. Der Film, gedreht im Auftrag des WDR, zeigt die Lebenswirklichkeit schwuler Männer Anfang der 1970er-Jahre zwischen heimlichen Sex auf öffentlichen Toiletten und der ewigen Angst vor der Enttarnung.

„Schwule wollen nicht schwul sein. Sie wollen nicht anders sein, sondern sie wollen so spießig und kitschig leben wie der Durchschnittsbürger.“

Praunheim provoziert, damit Schwule nicht übersehen werden. Er ist der schwule Stachel im Fleisch der gutbürgerlich-konservativen Bundesrepublik. Seine Forderung: Schwule Männer müssen sich zeigen, nur so bekommt die gefühlte Gefahr Homosexualität ein Gesicht. Zu viel für die ARD: Der Film verschwindet im WDR-Nachtprogramm. Auch Jahre später, bei der ersten bundesweiten ARD-Ausstrahlung, verweigert sich der Bayerische Rundfunk.

Auch heute zelebriert Praunheim Kitsch, Camp und das Anderssein

Seit mehr als fünfzig Jahren ist von Praunheim ein lauter, schriller und streitbarer Vorreiter der LGBTQI-Bewegung, der unermüdlich dafür kämpft, queeres Leben in die Mitte der Gesellschaft zu holen.

Vielleicht ist der Stachel nicht mehr so spitz wie in den 70ern, aber er sticht noch immer: Im September hat Rosa von Praunheim seinen neuesten Film, die Doku-Fiktion „Rex Gildo – Der letzte Tanz“, ins Kino gebracht. Fast zeitgleich feiert im Berliner Szene-Theater „Bar jeder Vernunft“ die Musical-Adaption seines Camp-Kultfilms „Die Bettwurst“ Premiere und schließt damit den Bogen zu seinen filmischen Anfängen.

„Dietmar, ich liebe dich!“ – Rosa von Praunheims „Bettwurst“ als Musical in der Berliner Bar jeder Vernunft

Den Karrieren von Kerkeling und Biolek schadete das unfreiwillige Outing schlussendlich nicht. Mit brachialer Methode hatte Praunheim schwule Männer ins bürgerliche Wohnzimmer geholt, sie damit ein Stück normaler, vielleicht sogar menschlicher, gemacht. Und dafür kann man ihm auch heute noch dankbar sein.

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Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik