Mainzer Bürger hatten Angst vor einem wilden Rockfestival
Ohne die Beharrlichkeit der Gründungsväter hätte es das Open Ohr Festival wohl nie gegeben. Die Bürgerinnen und Bürger in Mainz hatten anfangs wenig Sympathie für die Idee, so der frühere Mainzer Jugendpfleger und Mitbegründer Uli Holzhausen.
Man befürchtete ein wildes Rockfestival mit Drogenexzessen und Vandalismus. Mehr als 30 Leserbriefe seien im Vorfeld in der Lokalzeitung erschienen, die meisten davon negativ.
Macher sahen sich in der Tradition der Burg-Waldeck-Festivals
An Pfingsten 1975 ging das erste Open Ohr Festival dann friedlich über die Bühne – damals noch auf dem Mainzer Hartenberg, ein Jahr später zog es auf das Zitadellen-Gelände um.
Als Vorbild und Inspiration dienten den Machern die legendären Burg-Waldeck-Festivals im Hunsrück (1964-69), aber auch die Internationalen Essener Songtage (1968).
Schlagersänger Janosch Rosenberg wurde ausgepfiffen
„Hits und Antihits“ lautete das Motto des ersten Open Ohr Festivals. „Wir wollten das ganze musikalische Spektrum auf die Bühne bringen“, sagt Uli Holzhausen, „vom linken Liedermacher Dieter Süverkrüp über die Ludwigshafener Straßensängerin Hemshof-Friedel bis hin zum Schlagersänger Janosch Rosenberg.
Der Bruder von Marianne Rosenberg wurde allerdings von der Bühne gepfiffen, so dass Marianne Rosenberg auf ihren eigenen Auftritt verzichtete.
Veranstalterin des Open Ohr Festivals ist die Stadt Mainz
Ziel des Gründungsteams war es, ein alternatives, nicht-kommerzielles Jugend-Festival auf die Beine zu stellen, mit Musik, Kabarett, Theater, Lesungen und Workshops.
Das viertägige Alternativ-Event wird bis heute von der Stadt Mainz veranstaltet. Der frühere Sozialdezernent Karl Delorme (SPD) setzte sich dezidiert für das Festival ein, erinnert sich Uli Holzhausen, auch wenn es immer wieder Kritik von den politischen Gegnern hagelte
Freie Projektgruppe gestaltet das Festival-Programm
Seit 1975 Jahren steht das Open Ohr jedes Jahr unter einem neuen Motto, mit dem ein gesellschaftsrelevanter Diskurs angeregt werden soll.
Motto und Inhalt des Festivals werden von einer freien und unabhängigen Projektgruppe erarbeitet, die aus Ehrenamtlichen besteht und sich immer wieder erneuert. Dieses Konzept soll dafür sorgen, dass das Festival sowohl inhaltlich als auch musikalisch jung bleibt.
Skandal um Thesenpapier von Dieter Dehm
Das Open Ohr sei ganz klar ein politisches Festival, sagt Gründungsmitglied Uli Holzhausen. Schmunzelnd erinnert er sich an das Jahr 1977, in dem der Musiker Dieter Dehm alias Lerryn für einen Skandal sorgte.
Die Organisatoren hatten ein Thesenpapier für einen Workshop von Dehm im Programmheft abgedruckt. Dass er darin zur Enteignung der Banken aufrief, ging dem damaligen Mainzer Oberbürgermeister Jockel Fuchs definitiv zu weit: Die betreffenden vier Seiten mussten aus dem Programmheft herausgerissen werden.
Auch Maria Farantouri und José Afonso spielten beim Open Ohr
Von 1975 bis 1979 war Uli Holzhausen als Geburtshelfer des Festivals aktiv. Persönliche Highlights aus den ersten fünf Jahren zu benennen, fällt ihm schwer.
Besonders beeindruckt haben ihn die griechische Sängerin Maria Farantouri und der portugiesische Sänger José Afonso, dessen Lied „Grândola, Vila Morena“ zum Startsignal der Nelkenrevolution 1974 wurde. Aber auch der Auftritt der Puhdys, einer der bekanntesten Rockbands der DDR, ist ihm in Erinnerung geblieben.
Nach wie vor erfolgreiches Festival-Konzept
Uli Holzhausen ist nach wie vor von der Idee des Open Ohr-Festivals, das eine Alternative zum Mainstream sein will, überzeugt. Die ursprünglichen Macher wollten einen Ort der Begegnung schaffen, des gemeinschaftlichen Erlebens und der Diskussion.
Dieses Konzept scheint auch nach 50 Jahren immer noch aktuell zu sein: Jahr für Jahr strömen an die 11.000 Besucherinnen und Besucher auf die Mainzer Zitadelle, um dort alternative Kultur in familiärer Atmosphäre zu erleben.