Ein Großteil der Kliniken in Baden-Württemberg ist in finanzieller Not. Allein im Jahr 2024 erwarten die Krankenhäuser im Land nach Angaben der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft ein Defizit von mindestens 900 Millionen Euro. Gründe sind gestiegene Kosten beim Personal, im Betrieb und durch die Inflation. Es kommt zu Insolvenzen wie bei der Rotkreuzklinik Wertheim im Main-Tauber-Kreis.
900 Millionen Euro Defizit im laufenden Jahr Kliniksterben befürchtet - Krankenhäuser in BW rufen erneut um Hilfe
Ein Loch von 900 Millionen Euro klafft in den Büchern der Kliniken in BW allein im laufenden Jahr. Ohne Hilfe droht laut Krankenhausgesellschaft vielen Häuser das Aus.
Die Landkreise sind zuständig, wenn es darum geht, die Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Sie gehen dabei unterschiedliche Wege. Der Landkreis Biberach zum Beispiel hat seine Krankenhäuser vor zwölf Jahren privatisiert, andere halten sie in kommunaler Hand, wie zum Beispiel in den Kreisen Konstanz und Ravensburg.
Ravensburger Landrat: "Krankenhauspolitik emotional, herausfordernd, teuer"
"Es gibt für die Landkreise nichts Herausforderndes als die Krankenhauspolitik." So fasst es der Ravensburger Landrat Harald Sievers (CDU) zusammen. Es sei ein fachlich komplexes Thema und hoch emotional. Von der kommunalen Trägerschaft ist er überzeugt, weil Krankenhäuser für ihn zu den Pflichtaufgaben der Gemeinden gehören.
"Die Gesundheitsversorgung ist sehr wichtig für das Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger, für die Lebensqualität im Landkreis", sagt auch der Konstanzer Landrat Zeno Danner (parteilos). Die Klinikverbünde in den Kreisen Konstanz und Ravensburg befinden sich allerdings in finanzieller Schieflage. Die Oberschwabenklinik machte laut dem Ravensburger Landrat Sievers im vergangenen Jahr einen Verlust von mehr als 30 Millionen Euro - so hoch wie noch nie.
Der Landkreis Konstanz schießt seinen Kliniken jährlich zehn bis 20 Millionen Euro hinzu. Das schlägt sich stark auf den Kreishaushalt nieder, der über die Kreisumlage von den Städten und Gemeinden finanziert wird.
Landkreise als "Rückfallebene" für Krankenhausversorgung
Für den Konstanzer Landrat Zeno Danner (parteilos) ist dennoch klar, dass der Gesundheitsverbund in kommunaler Hand bleibt. Er sieht keinen Sinn in einer Privatisierung. "Wir sind die Rückfallebene für die medizinische Versorgung. Das heißt, der Landkreis muss diese sicherstellen."
Außerdem seien Krankenhäuser in kommunaler Hand beliebter beim Personal, fügt der Geschäftsführer des Gesundheitsverbunds Landkreis Konstanz, Bernd Sieber, hinzu. Aufgrund der tariflichen Situation und der Altersversorgung, und weil diese besser vor Insolvenzen geschützt seien.
Klinikmitarbeiter sehen Vorteile bei kommunalen Krankenhäusern
Die Klinikmitarbeiterin Laura Haase hat von einem privaten Krankenhaus zum Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz gewechselt. "In den aktuell schwierigen Zeiten ist die kommunale Trägerschaft für mich ein Anker", sagt die ehemalige Krankenschwester, die jetzt die Krankenpflegeschule in Singen (Kreis Konstanz) leitet. Das gebe ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen mehr Sicherheit als bei einem privaten Träger. Die Lage der Kliniken sei aber ein Dauerthema bei den Beschäftigten.
In Zeiten, in denen die Kliniken mit Personalknappheit zu kämpfen haben, sei das ein Vorteil der kommunalen Häuser, so Klinikleiter Bernd Sieber. In privaten Kliniken, die an Dividenden orientiert sind, müssten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihrer Arbeit die Renditebedürfnisse der Aktionärinnen und Aktionäre befriedigen, so Sieber. Das sei den Mitarbeitenden nach seiner Erfahrung in der Branche nicht zu vermitteln.
Unbeliebte Entscheidungen aufgrund der finanziellen Lage musste aber auch der Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz treffen. Die Krankenhäuser in Stühlingen (2020) und Radolfzell (2023) wurden geschlossen. Das Personal für diese Häuser fehlte und die Gebäude hätten umfangreich saniert werden müssen. In Radolfzell hätte das rund 100 Millionen Euro gekostet, so Klinikgeschäftsführer Sieber. Mit der Schließung würden nun jährlich 4,5 Millionen Euro eingespart. Für die Zukunft der Gesundheitsversorgung hat man im Landkreis andere, größere Pläne.
Privatisierung im Kreis Biberach
Ganz anders hat der Landkreis Biberach die Gesundheitsversorgung organisiert. Er gab seine Krankenhäuser bereits vor Jahren aus der Hand. 2012 wurde die Privatisierung des Klinikverbundes beschlossen. Damit wurde die stationäre Gesundheitsversorgung, die eigentlich in der Zuständigkeit der Landkreise liegt, einem privaten Unternehmen übergeben. Betreiber ist seither die Sana Klinik AG. Der Kreis Biberach hält ein Viertel der dafür gegründeten Sana Landkreis Biberach GmbH und sitzt im Aufsichtsrat.
Landkreis Biberach muss Klinik nicht unterstützen
Der Biberacher Landrat Mario Glaser (parteilos) war während der Entscheidung zur Privatisierung noch nicht im Amt. Er denkt heute, dass der Entschluss des Kreistags damals richtig war. "Die Kliniklandschaft war defizitär und auch Ärztemangel war ein großes Thema. Der Kreistag kam zu dem Schluss, dass man durch diese Krise besser durchkommt, wenn man es in die Hände eines privaten Unternehmens gibt", so Glaser.
Mit diesem Schritt sei der Kreis ein Vorreiter gewesen. "Wenn ich mir das heute anschaue, muss ich sagen, dass wir im Kreis Biberach mit unseren Hausaufgaben durch sind. Andere Kreise kämpfen bis zum heutigen Tag mit den Strukturen", so Glaser: "Wir müssen über den Kreishaushalt nicht unsere Klinik stützen."
Medizinische Versorgung und Wirtschaftlichkeit
Die Übernahme durch die Sana AG im Kreis Biberach sei wie jede Klinikübernahme damals eine große Herausforderung gewesen, so die Geschäftsführerin der Sana Kliniken Landkreis Biberach AG, Beate Jörißen. Prozesse, Strukturen und Dienstleister wurden auf den Prüfstand gestellt, um Klinikabläufe zu optimieren. "Dies immer vor dem Hintergrund, beste medizinische Versorgung und Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen."
Viele Kliniken in finanzieller Not
Ob es durch die Privatisierung vor mehr als zehn Jahren gelungen sei, das Krankenhaus besser aufzustellen - personell und finanziell - lasse sich schwer beantworten. Die Rahmenbedingungen hätten sich seither stark verändert, so Jörißen. Die Herausforderungen in der deutschen Gesundheitsversorgung würden sich immer weiter verschärfen. Tatsächlich verschlechtert sich die finanzielle Situation der meisten Krankenhäuser im Land, unabhängig von der Trägerschaft, zusehends. Nach einer Umfrage der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft befürchten 85 Prozent der Kliniken im laufenden Jahr hohe Defizite.
In anderen Regionen gelingt das nicht immer. So zieht sich beispielsweise die Sana AG, zu der das Krankenhaus in Biberach gehört, aus dem Raum Stuttgart zurück. In Wertheim im Main-Tauber-Kreis hat jüngst die dortige Rotkreuzklinik in gemeinnütziger Trägerschaft Insolvenz angemeldet.
Klinik in Wertheim in der Insolvenz
Dort ist nach der Übernahme der Klinik durch einen Fachklinikbetreiber noch offen, wie es weitergeht mit der Notfallversorgung. Im September 2023 wurde die finanzielle Schieflage der Klinik bekannt, die Schwesternschaft München wollte als bisheriger Träger aussteigen. Bisher steht nur fest: Eine Grund- und Regelversorgung wird es mit dem neuen Betreiber nicht mehr geben, aus dem Standort wird eine Fachklinik für Amputationsnachsorge und Schmerztherapie.
Oberbürgermeister enttäuscht und frustriert Wertheimer Rotkreuzklinik wird Amputations-Fachklinik
An der Wertheimer Rotkreuzklinik soll es keine Grund- und Regelversorgung geben. Stattdessen soll sie zu einer Fachklinik für Amputationsnachsorge und Schmerztherapie werden.
Stadt Wertheim kann Klinik nicht allein tragen
Und dass trotz Protesten von Wertheimer Bürgerinnen und Bürgern, der hiesigen Ärzteschaft und Bemühungen der Stadt, das Land und den Kreis für die Beteiligung einer Trägerschaft zu gewinnen. Denn die Stadt alleine könne die finanzielle Belastung, würde man die Klinik übernehmen, nicht tragen, erklärte Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez (SPD). Bis 2030 rechnet man dort mit einem Defizit von 49 Millionen Euro für den Betrieb. Zwar war die Stadt am Ende bereit, 60 Prozent davon zu tragen. Doch für den Rest hätte es den Kreis gebraucht.
Krankenhausversorgung im Landkreis nicht gesichert
Die Schließung bedeutet für 75.000 Menschen eine längere Fahrzeit von rund einer halben Stunde in die Krankenhäuser nach Tauberbischofsheim oder Bad Mergentheim (beide Main-Tauber-Kreis), warnt die Ärzteschaft. Zwei Häuser, die bereits jetzt voll ausgelastet sind. Landrat Christoph Schauder (CDU) kündigte an, sich für eine angemessene Notfallversorgung im Raum Wertheim einzusetzen. Die Gespräche mit dem neuen Betreiber sollen so schnell wie möglich beginnen, heißt es.
Privatisierungen von Kliniken sind umstritten
Wenn Kliniken schließen müssen, stehen mittlerweile nicht mehr viele private Investoren Schlange, um diese zu übernehmen, sagen Klinikverantwortliche im Interview mit dem SWR. Krankenhäuser in kommunaler Hand seien besser vor Insolvenzen geschützt. Auch im Landkreis Biberach sei die Privatisierung damals nicht unumstritten gewesen. "Man kann immer darüber streiten, ob eine medizinische, stationäre Gesundheitsversorgung in die Hand eines Privaten gehört. Das wurde auch im Kreis Biberach kontrovers diskutiert", so Landrat Mario Glaser (parteilos). Denn der Kreis gebe dadurch Mitspracherecht aus der Hand.
So zum Beispiel auch bei Entscheidungen wie der Konzentration auf den Klinikstandort in Biberach und der Schließung der Krankenhäuser in Riedlingen (2020) und Laupheim (2022). Das Krankenhaus in Ochsenhausen wurde bereits 2011 vor der Übernahme geschlossen.
Empfehlung der Grundstückskommission Neues Krankenhaus im Kreis Konstanz soll in Singen gebaut werden
Das neue Krankenhaus im Landkreis Konstanz soll in Singen Nord gebaut werden. Das empfiehlt die Grundstückskommission. Zur Auswahl standen mehrere Grundstücke in Radolfzell und Singen.
Krankenhaus der Zukunft: Klinikneubau im Kreis Konstanz
Der Landkreis Konstanz mit seinem kommunalen Klinikverbund hat zuletzt eine weitreichende Entscheidung getroffen. In Singen soll ein neues Klinikum entstehen, gebaut nach den neuesten Standards. Der Spatenstich ist für 2027 anvisiert. Die Strukturen der alten Krankenhäuser passten nicht mehr zur heutigen medizinischen Behandlung, so der Klinikgeschäftsführer im Landkreis Konstanz, Bernd Sieber. Beispielsweise habe sich die Verweildauer der Patientinnen und Patienten verkürzt, so Sieber. "Wir tragen mit dem Neubau eine historische Verantwortung, das Krankenhaus von morgen zu bauen."
Ziel ist, dass sich das neue Krankenhaus langfristig finanziell selbst trägt. In den neuen Strukturen soll das gelingen, so die Erwartung von Landrat Zeno Danner (parteilos). Deshalb lohne sich ein Neubau. Der ganze Prozess sei aber sehr anstrengend. "Wir müssen sehr viele unangenehme Entscheidungen treffen, wie die Schließungen in Radolfzell und Stühlingen. Aber es ist eigentlich ein großes Glück, dass wir damit befasst sind und die Entscheidungen für die Zukunft treffen können", sagt Danner.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Kreis Ravensburg
Auch im Landkreis Ravensburg suchen Landrat Harald Sievers (CDU) und der Geschäftsführer des Oberschwabenklinikverbunds neue Wege, um die Gesundheitsversorgung in Zukunft zu gewährleisten und finanziell zu stabilisieren. Es wird derzeit eine mögliche Zusammenarbeit mit den Kliniken in Lindenberg und Lindau diskutiert, die im angrenzenden Bayern liegen. Ein Novum.
Auch die Rotkreuzklinik im bayerischen Lindenberg (Kreis Lindau) musste Insolvenz anmelden. Wegen der räumlichen Nähe gibt es Überlegungen ein neues gemeinsames Krankenhaus im Westallgäu zu bauen. Ein Gutachten wurde in Auftrag gegeben. "Die Schwierigkeit wäre, dass man es mit zwei Landesregierungen mit unterschiedlichen Gesetzen zu tun hätte, aber es wäre eine gute regionale Perspektive", so der Ravensburger Landrat. "Dass wir gemeinsam Denken und unsere Kräfte bündeln, ist ein großer Fortschritt."
SWR Aktuell Wahl-Special Kommunalwahl 2024
In unserem Online-Special finden Sie alle Informationen rund um die Kommunalwahl am 9. Juni 2024 in Baden-Württemberg.