"Zugehört" - Serie zur Kommunalwahl BW 2024

Wie die Unterbringung von Flüchtlingen Kommunen herausfordert - und Integration dennoch gelingen kann

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Autor/in
Julia Klebitz
Julia Klebitz Reporterin SWR Aktuell Studio Tübingen Regionalbüro Albstadt
Nathalie Waldenspuhl
Nathalie Waldenspuhl ist Reporterin für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen.

Notunterkünfte, Platznot, Proteste: Die Unterbringung von Geflüchteten fordert Kreise und Kommunen in BW. Es gibt viele Probleme, aber auch Beispiele für gelungene Integration.

Drei Stockbetten aus dunkelgrauen Stahlrohren stehen eng nebeneinander. Es gibt einen kleinen Kühlschrank, Stromanschluss und Internetzugang über WLAN. So sieht eine Kabine in einer Notunterkunft für Geflüchtete in Friedrichshafen (Bodenseekreis) aus. Mehrere dieser Kabinen reihen sich in der Sporthalle des Friedrichshafener Berufsschulzentrums aneinander, getrennt durch dünne Messewände. Knapp 60 Menschen leben dort.

Drei Stockbetten aus dunkelgrauen Stahlrohren stehen eng nebeneinander in einer Kabine aus dünnen Messewende - so werden Geflüchtete in einer Sporthalle in Friedrichshafen untergebracht
Bis zu 234 Menschen können in der Notunterkunft in Friedrichshafen unterkommen.

Der Bodenseekreis betreibt laut Landratsamt 26 reguläre Gemeinschaftsunterkünfte für geflüchtete Menschen. In dieser vorläufigen Unterbringung wohnen die Geflüchteten in Mehrbettzimmern. Es gibt Gemeinschaftsbäder und -küchen. Weil der Platz in den Unterkünften aber nicht ausreicht, hat der Bodenseekreis Notunterkünfte eingerichtet - vor allem in Gewerbe- und Sporthallen, wie der in Friedrichshafen. Knapp 200 Menschen sind in solchen Hallen untergebracht.

Halle als Notunterkunft: Sportunterricht muss teilweise ausfallen

Eine Situation, mit der niemand glücklich ist. Die Geflüchteten leben auf engstem Raum, haben nur wenig Privatsphäre. Und: Flüchtlinge in der Sporthalle bedeuten auch: Kein Sport. Vereine können kaum noch trainieren und betroffene Schulen müssen für ihren Sportunterricht regelmäßig nach anderen Hallen im Stadtgebiet suchen.

Wegen der Fahrtzeiten ist der Sportunterricht viel kürzer als sonst, manchmal fällt er sogar ganz aus. Das ist ein Problem für die Schulen, vor allem, weil manche Schülerinnen und Schüler ihre Abiturprüfung im Fach Sport machen und sich dementsprechend vorbereiten müssen. So zum Beispiel in der Claude-Dornier-Schule in Friedrichshafen.

Stefan Oesterle, Schulleiter der Claude-Dornier-Schule Friedrichshafen, berichtet dem SWR über die Probleme durch die Belegung der Schulsporthalle:

Hallen sind schnellste Lösung bei Wohnraummangel

In den zuständigen Behörden der Landratsämter weiß man schon lange nicht mehr, wo man die Geflüchteten, die neu in die Kreise kommen, unterbringen soll. "Wir sind ein kleiner Landkreis, der dicht besiedelt ist. Wohnraum ist insgesamt knapp", heißt es aus dem Bodenseekreis.

Und weil Wohnraum nicht nur schwer zu finden ist, sondern auch schnell gebraucht wird, greift der Kreis laut Landratsamt-Sprecher dann eben auf Immobilien zurück, die ihm selbst gehören. "Ungern und mit dem Ziel sie schnellstmöglich wieder freizugeben". Die Sporthalle in Friedrichshafen ist mittlerweile seit eineinhalb Jahren eine Notunterkunft.

Flüchtlingsunterbringung: Kommunen sind in der Pflicht

Das Thema Flüchtlingsunterbringung ist seit Jahren ein "Dauerbrenner" in der Kommunalpolitik: Klamme Kassen verhindern oft eine gute Unterbringung, Platzmangel schürt Konflikte in der Bevölkerung, die Integration stößt immer wieder an Grenzen.

Darauf, wie viele Geflüchtete in einen Landkreis und später in eine Stadt oder Gemeinde kommen, haben die Kreise und Kommunen selbst keinen Einfluss. Verteilt werden die Menschen über eine Quote, die sich nach dem Bevölkerungsanteil der Stadt- und Landkreise richtet. Sie sind dazu verpflichtet, die ihnen so zugewiesenen Menschen unterzubringen. Das ist keine leichte Aufgabe und sorgt vielerorts zunehmend für Protest.

Hinweis: Geflüchtete aus der Ukraine werden hier nicht aufgeführt, weil sie keinen Antrag auf Asyl stellen müssen und einen besonderen Schutzstatus genießen.

Flüchtlingsunterkünfte lösen teils heftige Proteste aus

Das 600-Einwohner-Dorf Killer bei Burladingen (Zollernalbkreis) steht seit vergangenem Jahr für einen besonders erbitterten Protest gegen Flüchtlingsunterkünfte. Der Fall ging durch die Medien. Im Juli 2023 kündigte das zuständige Landratsamt an, dass rund 30 Geflüchtete in den ehemaligen Gasthof "Lamm" in Killer einziehen sollen.

Eine Petition gegen die Flüchtlingsunterbringung wurde ins Leben gerufen. Das Hauptargument: In Killer gebe es schon eine Unterkunft. Bei einer Bürgerinformationsveranstaltung wollte sich das Landratsamt den Fragen und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger stellen. Zu einem Austausch kam es aber nur bedingt: Landrat Günther-Martin Pauli (CDU) wurde vom Publikum niedergebrüllt. Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) thematisierte den Vorfall in einem Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und warnte vor weiteren Protesten aus der Bevölkerung.

Zu sehen ist das ehemalige Gasthaus "Lamm" in Burladingen Killer
Das ehemalige Gasthaus "Lamm" im Burladinger Stadtteil Killer: Hier sind mittlerweile die ersten Flüchtlinge eingezogen.

Über die angespannte Stimmung in Killer berichtete "Zur Sache Baden-Württemberg!" im September 2023:

Das Beispiel Killer ist ein extremes. Abseits des lauten Protests gab es laut Landrat Pauli auch konstruktive Diskussion. Pläne für eine Flüchtlingsunterkunft in der eigenen Nachbarschaft lösen dennoch andernorts ebenfalls heftige Reaktionen aus.

Protestzug vor Privathaus in Bodelshausen

In Bodelshausen (Kreis Tübingen) beispielsweise will ein Unternehmer sein altes Firmengebäude als Flüchtlingsunterkunft an den Landkreis vermieten. Das hat Teile der Bevölkerung aufgebracht. So sehr, dass im vergangenen Dezember rund 300 Menschen vor das Privathaus des Mannes zogen, um dort zu demonstrieren. Die Unternehmerfamilie fühlte sich bedroht. Noch immer steht nicht fest, ob in dem Gebäude Geflüchtete unterkommen können.

Bilderbuchbeispiel für Integration in Hechingen: Das "Refugio"

Das Integrationsprojekt "Refugio" von außen.
Im "Refugio" - einem ehemaligen Hotel in Hechingen (Zollernalbkreis) - leben, arbeiten und lernen Geflüchtete unter einem Dach.

Dass es auch anders gehen kann, zeigt sich einige Kilometer weiter. In Hechingen (Zollernalbkreis) hat das Landratsamt gemeinsam mit dem örtlichen Arbeitskreis Asyl eine besondere Unterkunft mitten in der Stadt geschaffen. In einem ehemaligen Hotel leben seit Januar Asylbewerberinnen und -bewerber. Und nicht nur das: Sie arbeiten dort auch in einem Café und Restaurant, das der AK Asyl für diesen Zweck wiederbelebt hat.

Sechs Mal die Woche hat das "Refugio" für Gäste geöffnet, mittags wird schwäbische und internationale Küche serviert. Im Gemeinschaftsbereich finden regelmäßig Deutschkurse statt. Rund 30 Ehrenamtliche engagieren sich. Das "Refugio" sei nicht einfach nur eine Unterkunft, sagt Almut Petersen vom AK Asyl, sondern ein "Mitmach-Haus" für alle.

Landrat Pauli: Flüchtlingen eine Arbeit geben

Eine weitere Besonderheit: Die Geflüchteten haben im "Refugio" eine Aufgabe - arbeiten in der Restaurantküche oder im Service mit. Hier können sie sich einbringen, so Petersen, das sei gut für ihre Psyche. Das Projekt ermöglicht Begegnungen zwischen Geflüchteten und den Hechingerinnen und Hechingern und gilt als Bilderbuchbeispiel für gelungene Integration. Wenn auch nur im Kleinen: Zurzeit leben rund 25 Asylbewerberinnen und Asylbewerber in den Zimmern des ehemaligen Hotels. Klar ist: Nicht alle Geflüchteten können in Modellprojekten wie dem "Refugio" unterkommen. Dafür sind es zu viele.

Zwei Geflüchtete kochen in der Küche des Refugio in Hechingen (Zollernalbkreis).
Im "Refugio" in Hechingen (Zollernalbkreis) kochen Geflüchtete für Gäste. Das Integrationsprojekt in dem ehemaligen Hotel Klaiber ist gut angelaufen.

Geflüchteten schnell eine Arbeit geben: Das setzt der Zollernalbkreis aber nicht nur im Hechinger Hotel um, sondern bald auch gemeinsam mit dem Burladinger Textilunternehmen Trigema. Der Plan: Die Geflüchteten sollen in Containern auf dem Firmengelände leben und dafür im Unternehmen mitarbeiten. Auch viele andere Kommunen im Land sind kreativ, wenn es um die Unterbringung und Integration Geflüchteter geht. Und sie sind damit erfolgreich.

Rottenburg baut eine neue Flüchtlingsunterkunft

Die Stadt Rottenburg am Neckar (Kreis Tübingen) hat im April 2023 beschlossen, eine neue Unterkunft für Geflüchtete zu bauen. 3,5 Millionen Euro kostet das Projekt. Ende 2024 sollen die ersten Geflüchteten einziehen.

Ursprünglich war laut einer Stadtsprecherin am Rottenburger Stadtrand eine Obdachlosenunterkunft geplant. Dann habe die Stadtverwaltung aber von einem Förderprogramm erfahren: Das Land Baden-Württemberg fördert den Neubau, wenn er zehn Jahre lang als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird. Deswegen habe der Gemeinderat sich dazu entschieden, in dem Haus Geflüchtete unterzubringen.

Neubau einer neuen Flüchtlingsunterkunft am Stadtrand von Rottenburg am Neckar
Noch ist es eine Baustelle, bald sollen in zwei Neubauten in Rottenburg am Neckar (Kreis Tübingen) aber Geflüchtete einziehen.

Kein akuter Platzmangel also, sondern "vernünftige Vorausplanung", sagt die Stadt. Und trotzdem ist Rottenburg unter Oberbürgermeister Stephan Neher (CDU) in der Vergangenheit durch ihre Willkommenskultur aufgefallen.

Direkt nach dem russischen Angriff auf die Ukraine richtete die Stadt ganz unbürokratisch eine Betreuungsmöglichkeit für geflüchtete Kinder ein. Und das, ohne zu wissen, ob der Bund oder das Land die Kosten übernehmen würden. Man habe einfach gehandelt, sagte Neher später dem SWR. Und durch das schnelle Handeln habe man die Lage gut im Griff behalten.

Über die Flüchtlingspolitik in Rottenburg am Neckar hat "Zur Sache Baden-Württemberg" im November 2023 berichtet.

Lage im Bodenseekreis entspannt sich

Einen Neubau für Geflüchtete, das plant mittlerweile auch der Bodenseekreis. Drei Gebäude sollen in den nächsten zwei Jahren neben dem Polizeirevier entstehen, für rund 8,5 Millionen Euro. Doch schon jetzt entspannt sich die Lage in Friedrichshafen, die Notunterkunft in der Sporthalle am Berufsschulzentrum soll bald aufgelöst werden.

Der Kreis könne alle Bewohnerinnen und Bewohner in anderen Gebäuden unterbringen, heißt es vom Landratsamt. Ab Herbst sollen dann wieder Schulen und Vereine in der Sporthalle trainieren können. Ob die Lage allerdings entspannt bleibt und wie sich die Flüchtlingszahlen entwickeln werden, das weiß keine der Kommunen.

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