"Zugehört" - Serie zur Kommunalwahl BW 2024

Warum der Windkraft-Ausbau in BW mancherorts gelingt - und andernorts nicht

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Autor/in
Philipp Pfäfflin
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Theresia Blömer
SWR-Redakteurin Theresia Blömer Autorin Bild

Windkraft polarisiert, auch im Wahlkampf in BW. Wir stellen zwei Beispiele vor: ein Projekt in Lauterstein, das läuft, und eines in Oberschwaben, gegen das vehement gekämpft wird.

Im Wald bei Lauterstein (Kreis Göppingen) steht einer der größten Windparks in Baden-Württemberg. 19 Windräder sind es, davon allein 16 auf der Gemarkung der Stadt Lauterstein. Eine Delegation von Politikerinnen und Politikern aus dem Kreis Böblingen will sich ein Bild vor Ort machen. Erste Frage: "Warum drehen sich die Windräder nicht? Sind sie kaputt?"

Warum sich die Windräder nicht immer drehen

Der Bürgermeister von Lauterstein Michael Lenz (parteilos) schüttelt den Kopf. Die Anlagen, die eine Nabenhöhe von 139 Metern haben, fangen erst bei einer Windgeschwindigkeit von etwa drei Metern pro Sekunde an. Pro Windrad kann bis zu 2,75 Megawatt Strom erzeugt werden. Das entspricht der möglichen Leistung von rund 5.000 Solarmodulen.

Die 16 Windräder in Lauterstein zusammen produzieren im Jahr durchschnittlich rund 100 Millionen Kilowattstunden. Das sei 25 Mal mehr als seine kleine Stadt Lauterstein mit ihren rund 2.600 Einwohnerinnen und Einwohnern benötige, sagt Bürgermeister Lenz und freut sich sichtlich.

Gruppe aus dem Kreis Böblingen besucht Windpark

Mit einer Gesamthöhe von 199 Metern ragen die Windkraftanlagen weit über die höchsten Baumwipfel hinaus. "Das muss so sein, denn am Boden und in der Nähe der Baumwipfel weht der Wind nicht so gleichmäßig und stark wie in der Höhe", erklärt Projektleiter Roland Jansen vom Unternehmen wpd aus Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) - das Unternehmen entwickelt und baut Windparks.

Windräder mitten im Wald: Müssen dafür nicht Bäume gefällt werden? Macht das nicht Lärm? Wie ist es mit der Naherholung? Die Besucherinnen und Besucher aus dem Kreis Böblingen haben viele Fragen. Denn bei ihnen fehlt seit vielen Jahren die Akzeptanz für Windkraft. Zuletzt scheiterte überraschend im vergangenen Sommer ein interkommunales Windpark-Projekt.

Wirtschaftsweg durch den Wald von Lauterstein: Diese Wege wurden für den Transport der Windräder genutzt.
Der Wald in Lauterstein ist seit langem ein Wirtschaftswald. Über die bereits existierenden Wirtschaftswege wurden die Windradteile angeliefert.

Der Wald in Lauterstein gehört zu einem großen Teil dem Grafen von Rechberg, ist also in Privatbesitz. Nach Informationen der Lautersteiner Stadtverwaltung handelt es sich um einen Wirtschaftswald mit überwiegender Fichtenmonokultur. Dort wird mit schwerem Gerät gearbeitet - das war schon lange so, bevor in Lauterstein über das erste Windrad nachgedacht wurde.

Sogenannte Harvester - Vollernter - sind im Betrieb, fällen und transportieren Langstämme aus dem Wald. Das kam laut Bürgermeister Lenz dem Bau des Windparks zugute. "Die Waldwirtschaftswege konnten für den Transport der Windradbauteile genutzt werden", erklärt er. Nur an vereinzelten Stellen wurde der Weg etwas ausgebessert. "Da war nicht mehr Bodenverdichtung als beim Holzernten."

Bürgermeister: Windkraftanlagen kann man nicht verstecken

Bürgermeister Lenz führt die Besuchergruppe in den Wald hinein. Dort ist der Windpark selbst als Ganzes nicht wahrnehmbar. Je nachdem, wo man sich im Wald aufhält, hört und sieht man kein Windrad. Dann wieder erhebt sich einer der fast 200 Meter hohen Giganten vor einem in die Höhe. Für jedes Windrad wurde eine 3.000 Quadratmeter große Fläche gerodet. Diese bleibt frei für Wartungsarbeiten.

Der Bau eines Windparks ist ein Eingriff in die Natur. Selbst wenn die Windräder nicht von überall gesehen werden können, verstecken kann man sie nicht. Der Bürgermeister formuliert es so: "Natürlich sieht man jedes Windrad. Die sind hoch, die werden immer hoch bleiben."

Leidet die Naherholung unter den Windrädern im Wald?

Der Wald, in dem der Windpark liegt, ist ein beliebtes Naherholungsgebiet. Viele Rad- und Fußwege führen über den Höhenzug. Der Wallfahrtsort Bernhardus liegt in der Nähe. Stört da nicht der Windpark? Diese Frage sei eine der ersten gewesen, mit denen sich die Stadt Lauterstein lange vor der Planung und dem Bau des Windparks beschäftigt habe, erzählt der Bürgermeister der Besuchergruppe.

Jetzt - acht Jahre nach Inbetriebnahme - sagt Michael Lenz: "Wind ist per se laut. Weht er stark, pfeift es oben auf der Albhochfläche genauso wie im Tal, in dem Lauterstein liegt." In diesem natürlichen Windgeräusch gehe der Lärm der sich drehenden Windradflügel aber weitgehend unter. Er sei nicht störend, sagt der Bürgermeister.

Besuchergruppe und Reisebus im Wald von Lauterstein. Dort informieren sich die Reisenden über den Windpark.
Wie laut sind Windräder? Stören sie? Wie verändern sie einen Wald? Davon wollte sich eine Besuchergruppe aus dem Kreis Böblingen selbst ein Bild machen.

Steuereinnahmen für die Stadt und ein Bürgerwindrad

Die Stadt Lauterstein profitiert finanziell aus mehreren Gründen von den Windrädern: Zahlungen für die Nutzung der Wirtschaftswege, die Kommunalabgabe nach § 6 EEG, Pacht von Waldboden und Gewerbesteuer. Unterm Strich kommen laut Stadtverwaltung so mehr als 200.000 Euro im Jahr zusammen.

Auch die Bürgerinnen und Bürger konnten sich an dem Windpark beteiligen. Eine Genossenschaft hat sich gebildet. 320 Privatpersonen haben insgesamt eine Million Euro angelegt. Das habe die Akzeptanz erhöht, sagt der Bürgermeister. Die Menschen vor Ort würden sich dadurch viel mehr mit ihrem Windpark identifizieren. Auch für die Privatpersonen scheint die Rechnung aufzugehen: Zuletzt habe die Rendite bei fünf Prozent gelegen, so Lenz.

Windpark Lauterstein
Bislang stehen 16 Windräder im Wald von Lauterstein. Bürgermeister Michael Lenz kann sich eine Erweiterung des Windparks vorstellen.

Rotmilan, Erdleitungen und Rückbau

Bürgermeister Lenz ist eigentlich studierter Verwaltungswirt, hatte früher - so sagt er es selbst - nichts mit Technik am Hut. Doch schnell wurde dem heute 47-Jährigen klar: Ein Windpark mit einer Gesamtinvestition von fast 80 bis 100 Millionen Euro ist ein Großprojekt. Dafür braucht es einen Ansprechpartner - für die beteiligten Unternehmen, die Behörden und vor allem für die Bürgerinnen und Bürger.

Lenz hat sich deshalb in die diversen Themen rund um einen Windpark eingearbeitet. Das beeindruckt Sabine Kober, die die Busfahrt aus dem Kreis Böblingen organisiert hat. Sie ist Fraktionsvorsitzende der Grünen im Gemeinderat von Sindelfingen und Regionalrätin beim Verband Region Stuttgart. Wie der Bürgermeister über die Verträglichkeit von Erdleitungen und Ackerbau, das Flugverhalten von Greifvögeln wie dem Rotmilan oder dem bereits jetzt geplanten und finanzierten Rückbau der Windräder nach 25 Jahren Laufzeit berichten könne, das beeindrucke sie, sagt Sabine Kober. Sie hätte sich gewünscht, dass noch deutlich mehr Personen mitgefahren wären, um sich selbst ein Bild von dem Windpark zu machen. 

Bürgermeister: Windpark Lauterstein ist keine Blaupause

So sehr Bürgermeister Lenz mittlerweile von dem eigenen Windpark überzeugt ist und sich selbst eine Erweiterung vorstellen kann, als Blaupause sieht er ihn nicht: "Jeder Standort hat andere Voraussetzungen." Deswegen sei es wichtig, sich selbst ein Bild zu machen. 2013/14 war es, da stand auch der Gemeinderat von Lauterstein vor der Entscheidung für oder gegen einen Windpark.

Bürgermeister Lenz organisierte eine Busfahrt zu einem Windpark in Bayern. Dort haben sich die Gäste aus Lauterstein vor Ort informieren können - so wie es jetzt die Delegation aus dem Kreis Böblingen in Lauterstein gemacht hat.

Windkraft im Altdorfer Wald: Gegner wehren sich
Im Gegensatz zu Lauterstein gibt es im Altdorfer Wald noch keine Windräder. Gegen die Planung eines Windparks gibt es massiven Protest.

Altdorfer Wald: Entsteht hier der größte Windpark in BW?

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Windpark-Gegner vermutet absichtliche Fällung

Die baden-württembergische Landesregierung hat entschieden: 39 Windräder sollen, wenn möglich, auf dem Höhenzug gebaut werden. Eine Vorstellung, die viele Bürgerinnen und Bürger entsetzt. So wie Helmut Fimpel. Der 72-jährige Rentner aus Wolfegg (Kreis Ravensburg) ist sportlich, er wandert gerne, und das sieht man ihm auch an. In Karohemd, Wanderhose und mit einem Rucksack auf dem Rücken klettert er durch unwegsames Gelände. Es geht steil bergauf.

Am Ende steht ein dicker Baumstumpf, ein neon-rosafarbenes X ist aufgesprüht. Fimpel vermutet, dass der Baum gefällt wurde, um die Milane loszuwerden. Zu viele dieser Vögel können zum Ausschlusskriterium für Windräder werden. Im Baum hatte ein Milan sein Nest. "Ein Unding", schimpft Fimpel, aber sagt auch, dass das nur eine Vermutung sei.

Emotionen und Spekulationen um einen gefällten Baum

Die Windräder im Altdorfer Wald lösen Emotionen und auch Spekulationen aus. Das Landratsamt in Ravensburg hat erklärt, der Baum sei aus Versehen gefällt worden, es stehe keine Absicht dahinter. Für Fimpel macht das keinen Unterschied. Wenn er durch "seinen" Wald geht, sieht er für die Zukunft schwarz. Er zeigt in alle Richtungen: "Hier ein Windrad, hier ein Windrad, dort eines, 300 Meter hoch." Die Vorstellung bereite ihm schlaflose Nächte.

Der Altdorfer Wald wird sich für immer verändern.

Gefällter Baum im Altdorfer Wald
Wurde dieser Baum absichtlich gefällt, weil dort ein Milan hauste? Das vermutet Windpark-Gegner Helmut Fimpel. Das Landratsamt Ravensburg weist das zurück.

39 Windräder sollen Strom für 170.000 Haushalte produzieren

Im Altdorfer Wald sollen 39 Windräder aufgestellt werden - auf einer Fläche von 2.000 Hektar. So hat es das Land beschlossen. Es wäre einer der größten Windparks in Baden-Württemberg und könnte 170.000 Haushalte mit Strom versorgen. Auch Fimpel ist nicht prinzipiell gegen Windräder. Klar, sagt er, Erneuerbare Energien seien wichtig. Er hat selbst eine Photovoltaik-Anlage auf dem Hausdach, fährt ein Elektro-Auto und hat vor kurzem eine Wärmepumpe einbauen lassen.

Doch die Windräder, die sollten dahin, wo sie hinpassen und bloß nicht in den Altdorfer Wald. Hier würde zu viel Natur zerstört, es würden Wasserquellen gefährdet, Vogelarten verschwinden.

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Baubeginn von Windpark frühestens 2027

Das ganze Windkraft-Projekt steckt noch in der Planungsphase. Es ist eine Gesellschaft gegründet worden, die Altdorfer Windpark GmbH. Beteiligt sind die Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm SWU. Derzeit werden Vermessungen durchgeführt. Die Genehmigung könnte 2025 beantragt werden. Mit einem Baubeginn wird frühestens 2027 gerechnet.

In den an den Altdorfer Wald angrenzenden Gemeinden (Baindt, Baienfurt, Schlier, Waldburg, Vogt, Wolfegg, Bergatreute) werden die Diskussionen immer hitziger. In Vogt etwa stehen am Straßenrand große Plakate von Bürgervereinen, auf denen steht: "Heimat oder Industrie? Bewahret euren Schatz, den Altdorfer Wald."

Gegner der Windkraftanlagen im Altdorfer Wald haben Plakate aufgestell. Auf ihnen steht "Bewahre... ", mit einem Foto des Altdorfer Walds im Hintergrund
Gegner der Windkraftanlagen im Altdorfer Wald haben Plakate aufgestellt.

Gemeinden entscheiden nicht mit

Verschiedene Gemeinderäte haben bereits Stellungnahmen abgegeben, auch die Bürgermeister werden an ihrer Haltung zum Windpark gemessen. Obwohl sie gar nicht mitentscheiden. Die ausgewählten Flächen gehören dem Land Baden-Württemberg und der Fürstlichen Forstverwaltung Waldburg. Die Behörde, die die Pläne auf Grundlage des Regionalplans genehmigen muss, ist das Landratsamt Ravensburg.

Doch kommunalpolitisch ist das Thema von Brisanz, das weiß auch der Bürgermeister von Wolfegg, Peter Müller (CDU). In seinem Gemeinderat wurde vor kurzem erst wieder das Thema Windkraft besprochen. Müller ist prinzipiell für die Windräder, auch im Altdorfer Wald: Alle müssten einen Einsatz für die Erneuerbaren Energien leisten, doch im derzeitigen Plan seien viel zu viele Windräder für den Altdorfer Wald vorgesehen.

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Also Windenergie ja, aber bitte nicht zu viel? Fürchtet Müller wegen dieser Haltung um Stimmen bei der Kommunalwahl für die CDU? Ja, sagt er, das könne schon sein. Aber auf der anderen Seite wären ja auch Bürgerinnen und Bürger für den Windpark im Altdorfer Wald, das halte sich die Waage.

Windkraft-Gegner Helmut Fimpel jedenfalls sagt, er habe bislang die Grünen gewählt, das würde er jetzt aber auf keinen Fall wieder machen. Die Windräder will er weiter bekämpfen. Auch für zukünftige Generationen, sagt er.

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