"Zugehört" - Serie zur Kommunalwahl BW 2024

Bürgermobile, Radwege oder Busse: Wie ÖPNV auf dem Land funktionieren kann

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Autor/in
Dennis Bechtold
SWR-Aktuell Redakteur Dennis Bechtold
Stefanie Assenheimer
Stefanie Assenheimer
Elisabeth Marx

In der Stadt funktioniert der Nahverkehr oft schon sehr gut. Auf dem Land hingegen gibt es in manchen Orten durchaus noch Nachholbedarf. Wo es hakt und welche Alternativen es gibt.

Entspannt mit dem Bus in gut 20 Minuten von Erbach-Dellmensingen (Alb-Donau-Kreis) nach Ulm pendeln - ohne Umsteigen und ohne Sorgen, dass ein Anschlussbus verpasst wird. Das ist die Linie 12 und die ist in dieser Form vielleicht bald Geschichte. Denn für 2027 steht eine Umgestaltung dieser Busverbindung im Raum, die das rund 15 Kilometer entfernte Dellmensingen nicht mehr berücksichtigen soll. Das will eine Interessengemeinschaft verhindern.

Busverbindung wurde bereits gekürzt - fällt sie bald ganz weg?

Claudia Heinrich war fassungslos, als sie vor wenigen Monaten zum ersten Mal davon hörte. Sie nutzt die Linie 12 regelmäßig, hat hierfür extra ein Deutschlandticket gekauft. Dass für die Verkehrswende einerseits kräftig geworben wird, gleichzeitig aber eine attraktive Verbindung auf der Kippe steht, passt für sie nicht zusammen. "Es wäre schön, wir würden nicht abgehängt", bangt Claudia Heinrich. Denn sollte es die Direktverbindung nach Ulm tatsächlich nicht mehr geben, würde es für sie und andere ÖPNV-Nutzerinnen und -Nutzer künftig umständlicher werden, an ihr Ziel zu kommen.

Vor drei Jahren schon wurde die Verbindung gestutzt und die Taktung von 30 Minuten auf eine Stunde reduziert. Nun reicht es Claudia Heinrich endgültig. Sie hat sich mit Evi Ott und Steffi Timmermann zu einer Interessengemeinschaft (IG) zusammengeschlossen. Sie gestalteten Flyer und Poster, machten so in Dellmensingen auf die Pläne der Stadt Ulm aufmerksam.

Claudia Heinrich (links) und Evi Ott warten in Dellmensingen auf den Bus. Gemeinsam kämpfen sie für den Erhalt "ihrer" Buslinie und einen besseren ÖPNV auf dem Land.
Warten vielleicht bald vergeblich auf die Linie 12 in Dellmensingen: Claudia Heinrich (li.) und Evi Ott kämpfen für den Erhalt "ihrer" Buslinie und einen besseren ÖPNV auf dem Land.

Entscheidung für Dellmensingen steht noch aus

Innerhalb kürzester Zeit sammelte die IG bei einer Onlinepetition mehr als 1.000 Unterschriften. Der Rückhalt vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger sei da. Zur Stadt Ulm selbst gab es in der ganzen Zeit aber nur "sparsamen Kontakt", wie es Heinrich formuliert.

In einer E-Mail wurde ihr erklärt, dass die Verbindung unwirtschaftlich sei, es kaum Fahrgäste gebe und eine Verschlechterung für Dellmensingen gar nicht zu erwarten sei. Argumente, die die IG nicht wirklich nachvollziehen kann. Es sei klar, dass die Umstellung auf eine geringere Taktung vor drei Jahren weniger Fahrgäste anziehe. "Die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs fällt komplett hinten runter", beschwert sich Evi Ott.

Im Vordergrund das Schild einer Haltestelle in Dellmensingen. Im Hintergrund die gegenüberliegende Haltestelle samt Wartehäuschen. In Dellmensingen hält der Bus an vier verschiedenen Orten. Fällt die Linie 12 weg, ist der Erbacher Teilort vom ÖPNV größtenteils abgeschnitten.
Wartehäuschen und speziell für den Nahverkehr angepasste Gehwege. In Dellmensingen halten die Busse an vier Orten. Fällt die Linie 12 weg, ist der Erbacher Teilort vom ÖPNV größtenteils abgeschnitten.

Die Stadt Ulm selbst will sich auf SWR-Nachfrage noch nicht konkret zum Thema äußern. Sie sei aktuell im Austausch mit dem Alb-Donau-Kreis zum Nahverkehr. Das Ziel: ein möglichst tragfähiges und effektives Gesamtnetz aufstellen. "Die zukünftige Anbindung von Dellmensingen sowie des Ulmer Südens an den Stadtteil Wiblingen ist dabei ein Thema", heißt es in einer E-Mail an den SWR.

Weniger ÖPNV auf dem Land - was nun?

Was die Lage möglicherweise erschwert: Mit seinen rund 2.700 Einwohnerinnen und Einwohnern liegt Dellmensingen zwar mit vielen Schülern und Pendlern im direkten Einzugsgebiet der Großstadt, gehört aber als Erbacher Teilort nicht zu Ulm. Die Stadt Ulm möchte aber vermutlich zunächst die eigenen Stadtteile bestmöglich versorgen.

Nahverkehr im öffentlichen Raum soll für alle da sein. Ohne Verbindung geht's nicht. Die Leute auf dem Land bleiben auf der Strecke.

Fällt die Direktverbindung nach Dellmensingen weg, wäre Ulm nur noch durch Umsteigen in anderen Orten erreichbar. Damit wäre der ÖPNV nicht mehr so attraktiv. Anderswo in Baden-Württemberg gibt es in solchen Fällen Bürgerbusse oder Bürgermobile. Die Landesregierung in Stuttgart gibt dafür auch Geld. Die Idee: Lücken schließen, wo es keine gute Anbindung gibt. Die Arbeit machen Ehrenamtliche. 

Bürgermobil Gomaringen kann einfach gebucht werden 

Wie Bürgerbusse oder das Bürgermobil genau funktionieren und was sie tatsächlich leisten können, zeigt ein Beispiel aus Gomaringen (Kreis Tübingen). Dort teilen sich 14 Ehrenamtliche von der Bürgerstiftung Gomaringen den Fahrdienst. Um 8 oder 8:30 Uhr geht die Schicht los. Das Bürgermobil fährt immer werktags.

Ingrid Spickermann von der Bürgerstiftung Gomaringen sitzt hinter dem Steuer des Bürgermobil Gomaringen.
Ingrid Spickermann fährt ehrenamtlich das Bürgermobil Gomaringen und freut sich, dass sie anderen Menschen damit helfen kann.

Seit 2015 gibt es das Angebot in Gomaringen. Ingrid Spickermann ist als Fahrerin von Anfang an dabei. Bevor sie sich auf den Weg macht, schaut sie sich ihren Fahrplan an, der täglich von zwei Bürokräften der Bürgerstiftung erstellt wird und jeden Tag anders ist - je nach vorbestellten Fahrtwünschen. "Das läuft ganz einfach", sagt Spickermann, "die Leute rufen an, sagen, wann sie wo hinwollen und die Frauen im Büro schauen dann, dass alles passt." 

Alternative zum ÖPNV ist in Gomaringen gefragt 

Ihr erster Fahrgast an jenem Tag, an dem der SWR sie begleitet, ist eine ältere Frau, die am Rand der ländlichen Gemeinde wohnt. Sie muss zum Arzt und wartet bereits vor ihrem Haus. Das Bürgermobil sei eine tolle Einrichtung für Gomaringen, sagt sie. 

Ich nutze es oft. Also bestimmt drei, vier Mal im Monat. Und das klappt immer wunderbar. Bin heilfroh, dass es das gibt, weil, wenn man älter ist, dann wird es schwierig, wenn man ein bisschen außerhalb vom Ortskern wohnt.

Die Frau trifft pünktlich beim Arzt ein. In einer Stunde holt sie Ingrid Spickermann wieder ab. In der Zwischenzeit fährt sie den nächsten Fahrgast. Ein Mann, der schlecht zu Fuß ist, muss einkaufen. Es geht zum Supermarkt. "Da fährt ja kein Bus hin. Und den Berg hoch- und runterlaufen schaffe ich nicht mehr." Er wäre ohne den Bürgerbus aufgeschmissen, meint er.

Keine Konkurrenz zum klassischen Nahverkehr - aber eine gute Ergänzung 

In Gomaringen ist der Service kostenlos. Andere Bürgerbusse verlangen einen Euro oder mehr pro Fahrt. Spenden und Geld unter anderem vom Land machen das möglich, sagt Johannes Rothmund von der Bürgerstiftung Gomaringen.

Johannes Rothmund von der Bürgerstiftung Gomaringen steht neben einem Kleinbus, dem Bürgermobil.
Johannes Rothmund von der Bürgerstiftung Gomaringen sieht das Bürgermobil als gute Ergänzung zum Busverkehr.

"Wir sehen, dass da Lücken gestopft werden können, und zwar vor allem für die Leute, die so wenig mobil sind, dass sie schon Schwierigkeiten hätten, an die Bushaltestelle zu kommen", bilanziert Rothmund. So oder so ähnlich wie in Gomaringen funktionieren die Bürgerbusse in Baden-Württemberg. Laut Verkehrsministerium unterstützen sie den ÖPNV vor allem auf dem Land.

Fahrerin Ingrid Spickermann sieht aber noch einen sozialen Pluspunkt. Für viele sei das Bürgermobil die einzige Möglichkeit "mal rauszukommen" und was anderes zu sehen. So geht die ein oder andere Fahrt in Gomaringen auch einfach mal zu einer Kaffee-Einladung.

Langstrecken-Alternativen gesucht: Ausbau der Radwege als Möglichkeit

Nun ist der Bürgerbus in Gomaringen hauptsächlich auf kurzen Strecken unterwegs, meist innerorts oder zu den nahen Nachbargemeinden. Bleibt für Pendelnde und Kinder, die eine Schule in einem anderen Ort besuchen, also nur noch das Auto? Nein - zumindest wenn es nach Freiburg geht. Die Großstadt im Breisgau setzt im Nahverkehr ganz klar auf das Fahrrad - auch für die umliegenden Gemeinden.

In den vergangenen vier Jahren hat Freiburg bereits rund 26 Millionen Euro in den Radverkehr investiert. Vor mehr als zehn Jahren fing die Stadt an, diesen gezielt zu fördern: zum Beispiel mit rotmarkierten Fahrradstreifen, schmaleren Autospuren oder Fahrradstraßen.

  

Eine Säule in Freiburg, die die Fahrradfahrenden zählt. Im Hintergrund ein Bus und Autos.
An Zählstationen und Messpunkten im Boden misst die Stadt Freiburg, wie viele Räder auf den Radwegen unterwegs sind.

"Wir wollen, dass das Rad immer die schnellste und beste Möglichkeit ist", erklärt Frank Ueckermann, Leiter des Garten- und Tiefbauamtes. Und das wirkt: Seit 2015 hat sich auf dem neuen Radschnellweg FR2 die Anzahl der Radfahrenden vervierfacht.

Pendeln mit dem Rad liegt im Trend 

Dank immer mehr E-Bikes lassen Pendlerinnen und Pendler öfter ihr Auto stehen und radeln zur Arbeit. Und das auch immer weiter: Bis zu 16 Kilometer pro Strecke fahren die Menschen vom Tuniberg oder aus Waldkirch (Kreis Emmendingen) in die Stadt. Für sie gibt es überregionale und ausgebaute Radwege. Drei von acht geplanten "Radschnellwegen" in der Stadt verbinden schon West und Ost entlang der Dreisam oder Nord und Süd.

Ein Fahrradfahrer fährt auf dem Radschnellweg FR1. Er führt entlang der Dreisam und ist breit und vom Fußgängerweg abgetrennt, worauf gerade zwei Personen joggen.
Eine Alternative zum ÖPNV? Der Radschnellweg FR1 führt entlang der Dreisam. Er ist breit und vom Fußgängerweg abgetrennt.

Wichtig dabei: Es gibt keine Ampeln oder Hindernisse, dafür nachts Beleuchtung und in der kalten Jahreszeit einen Winterdienst. Damit ist Freiburg ein Vorbild für die "Rad-Vorrang-Routen" des Landes. Diese verbinden nicht nur Freiburgs Stadtteile, sondern Gemeinden im gesamten Regionalverband Südlicher Oberrhein (RSVO). Davon profitieren auch die zahlreichen Wochenendausflügler.

Wie gehts in Dellmensingen weiter?

Bevor Alternativen wie Bürgerbusse und Radschnellwege in Erbach-Dellmensingen diskutiert werden, will die Interessengemeinschaft von Claudia Heinrich und Evi Ott erst einmal die Entscheidung der Stadt Ulm abwarten. "Ich würde mir wünschen, dass wenigstens die Verbindung aufrecht erhalten bleibt", so Heinrich. Sie hofft außerdem, dass die Busse langfristig wie früher wieder jede halbe Stunde fahren. Eine Entscheidung über die Linie 12 könnte bereits Anfang Juni fallen, kurz vor den Kommunalwahlen.

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