In vielen ihrer vorangegangenen Romane hat die 1954 geborene Louise Erdrich bereits die Geschichte ihrer Familie literarisch verarbeitet. Ihr Großvater war Häuptling der Chippewa in North Dakota, arbeitete in einem Reservat als Lehrer; dort wuchs auch Erdrich auf, deren Familie väterlicherseits aus Deutschland stammt. Für ihren neuen Roman „Der Nachtwächter“ erhielt Erdrich in diesem Jahr den Pulitzer-Preis für fiktionale Werke.
Die Hauptfigur, die dem Buch seinen Titel gibt, heißt Thomas Wazhashk und ist in ihrer Anlage stark an die Biografie des Großvaters der Autorin angelehnt. Er arbeitet als Nachtwächter in einer Fabrik in der Nähe eines Indianerreservates, in der tagsüber hauptsächlich indigene Frauen Arbeit für die Industrie und den Staat verrichten.
Es sind die frühen 1950er-Jahre. Thomas Wazhashk hat sich selbst für die Ansiedlung der Fabrik stark gemacht, kämpft in Petitionen und Briefen an politische Entscheidungsträger darum, im Reservat für bessere und modernere Lebensbedingungen zu sorgen.
Vorangetrieben wird die Handlung von einem Gesetzgebungsprozess, wie Erdrich in ihrer Vorbemerkung schreibt: Die „House Concurrent Resolution 108“, verabschiedet im August 1953, soll dafür sorgen, dass sämtliche indigene Nationen aufgelöst, enteignet und assimiliert werden.
Als Vorsitzender des Stammesrates kämpft Thomas gegen diese Bestrebungen, gegen alles Unverständnis von außen und gegen die Borniertheit der politischen Akteure. Es ist eine bis heute offene Wunde der amerikanischen Geschichte, die Erdrich beschreibt.