Donaueschinger Musiktage 2013

Mit fremden Stimmen sprechen

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Bastian Zimmermann und Christoph Haffter schreiben über ihre ganz persönlichen Eindrücke von den Donaueschinger Musiktagen. Ihre Texte geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Sind wir in einem Konzert oder in einem Wohnzimmer? Oder im Theater, ein Kammerstück, ein Familiendrama? Oder ist es vielmehr eine Kömödie? Sind wir im Dekor eines Films, in einer unauflösbaren Szenenreihe eines David Lynch, den Georges Aperghis so sehr schätzt?

Entstammt das Lied des Pianisten an der Celesta einer solchen Filmwelt, ist es in jener Sprache des Unbewussten red rooms gesungen? Und bleibt auch die Szenerie dieselbe, so findet die Montage in der Musik statt, Schnitt von einem Raum in den Nächsten, Schuss / Gegenschuss? Wenn die zwei Violinen zum zweiten Mal in der höchsten Lage zusammen und gegeneinander zwitschern, ist das dann eine Reprise oder vielmehr eine Rückblende?

Sprechen diese instrumentalen Stimmen im vertrauten Kreise? Lauschen wir einem intimen Gespräch? Hat Aperghis mit jedem einzelnen der Solisten eine Korrespondenz geführt, ihr Vorlieben, Lebensumstände, Gewohnheiten in Erfahrung gebracht um authentische Stimmen zu schreiben? Sodass die Musiker mit den Tönen sich selbst zum Ausdruck bringen? Oder sind es vielmehr phantasierte, fabulierte Charaktere? Fabulierte Selbstbilder, die Aperghis wie Jean Rouch in seinen Dokumentarfilmen sich selbst inszenieren lässt?

Ist der intime Raum denn der Ort der Ehrlichkeit, der Wahrheit?

Oder erlaubt Intimität nicht, sein zu können, was man nicht ist? Sind intime Gespräche nicht voller Unwahrheit, voller Täuschungen, voller Ironie? Denn verstehen die intimen Sprecher sich nicht über das "kostbare" und "besser bekannte", was man verschweigt, wie es der Pianist, ganz am Rande des Ensembles er, nach in den Worten Canetti sagt? Kann es sein, dass eine instrumentale Stimme lügt? Oder dass sie sich selbst nachäfft? Oder dass sie, im vertrauten Kreise, nur so tut, als ob?

Ein Lied, dass nicht das meine ist, singe ich es nicht erst wirklich, wenn ich singe, als ob ich es singend erfinden würde? Und wie kann man dann mitsingen, zusammen singen? Kann ich einen Text vorlesen ohne zu denken, was er sagt? Oder kann ich überhaupt denken, was der Text denkt oder ist es ein Geheimnis? Und wenn nur das Schweigen und dahinter kein Geheimnis gibt?

Kann man die musikalische Rede noch schöner in die Schwebe setzen, als Aperghis es mit seinen Situations?

Wie kann zeitgenössische Musik so berühren?

Ist ein Gespräch, mit Menschen, mit Instrumenten, mit mir selbst, ist ein solches Gespräch ein Hin und Her von Frage und Antwort? Gibt eine Frage Antwort? Was geschieht, wenn die Streichergruppe im selben schnellen Staccato, unregelmäßig von Pausen durchbrochen, eng um einen Ton mäandrieren, wie ein erhitzt deklamierender Sprechchor? Wer spricht da? Ist es das Gerede? Ein Verbot? Oder ist es die Stimme der vierten Person singular, das man der littérature mineure? Jenes Sprechen, das weder individuell noch kollektiv ist, jene Stimmen, die in eine Maschinerie geraten sind, wie die Beamten und Advokaten Kafkas? Wie gerät man in eine solche Maschine und vor allem, wie kommt man wieder aus ihr heraus?

Kann einer alleine ein Gespräch anfangen, und kann er es beenden?

Kann einer alleine einen Schlusston spielen? Kann man so spielen, dass keiner mehr was dazu sagen kann? Oder so, dass die andern mich imitieren müssen? Und was, wenn ein Werk eine Reihe falscher Schlüsse wäre? Ist jede Aussage ein Schluss und jede Frage ein Anfang? Oder umgekehrt?

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Autor/in
SWR