Wenn der Dirigent Reinhard Goebel über Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium spricht, dann nicht mit Kniefall und Weihrauch. Der Alte-Musik-Experte nähert sich dem Notentext mit Lupe und unstillbarem Forscherdrang. Für SWR2 beleuchtet er in sechs Folgen die sechs Kantaten – humorvoll und hintergründig und mit unfrisiertem Zugriff aufs scheinbar Vertraute.
Warum Bach eine schmerzlich-dissonante Hirtenmusik komponierte
Die Kantate zum zweiten Weihnachtsfeiertag eröffnet mit einer instrumentalen Hirtenmusik. „Doch bei aller Freudigkeit komponiert Bach herbe Dissonanzen“, betont Goebel. Er zeigt, wie schon Bachs Vorläufer Locatelli und Corelli ihre Weihnachtskonzerte „schmerzlich-dissonant“ komponierten: „Bevor Jesus kommt, werden bereits die Aspekte seines Scheiterns klar gemacht.“ Man sehe, wie das auch in manchen bildlichen Darstellungen der Fall sei, bereits die Marterwerkzeuge des Karfreitags vor sich, so Goebel.
Am Beispiel der Arie „So geht denn hin, ihr Hirten!“ zeigt Goebel, wie Bach dem Bedürfnis der Gläubigen nach etwas Kitsch nachgekommen sei. Bachs Tenorarien wiederum seien „immer das Allerschwerste, was Bach überhaupt geschrieben hat“. Und wie Bach am Ende der Kantate die Hirtenmusik des Anfangs im Schlusschoral unterbringt, ist für Goebel „ein Musterbeispiel von Geschlossenheit und weiser Vorausplanung“.
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