Zu Beginn der Musiktage ließ ich verlauten, dass die Großform wohl am ehesten als ein Monstrum verstanden werden kann; ein Monstrum der inneren Bezüge, des totalen Zusammenhangs, aus einem Denken entstehend, das das Atom, die kleinste Einheit über mehrere Ebenen und Bedeutungshierarchien, auf das ganze musikalische Netz eines Werkes ausweitet.
Im Anschluss an das Abschlusskonzert kann man dazu nur sagen, Monstren waren die Werke sicher - auf den ersten Blick. Auf einen zweiten Blick sah man dann die Geste des Vaters, der seinem Kind mit ausgebreiteten Armen, ein Dinosaurier imitierend, einen kleinen Schrecken einjagen will; das meiste, was es zu hören gab, waren Hülsen, leere, vielleicht irgendwann mal bedeutsam gewesene Gesten.
Vorne an natürlich, und da hat sich niemand, den ich gesprochen habe, anders geäußert, Herr Mantovani, zu recht ausgebuht für einen dermaßen unkultivierten Umgang mit den wahllos zusammengestellten Schillerschen Texten und vollen Fanfarencluster der Bläser, die den träg-komponierten Chor irgendwie aufpeppen sollten. "Cantate Nr. 3", erstmal ist sie überhaupt keine Kantate und dann aber eine Musik, bei der mit den ersten Takten das Metier so unglaublich klar abgesteckt ist, dass es sofort anfängt zu langweilen.
Den Orchesterpreis hätte auch jemand anderes gewinnen können
Posadas konnte man zumindest anhören, auch wenn die vielen hohen Cluster (irgendwie waren alle Konzerte voll mit Clustern, ich habe kaum ein anders Wort zur Beschreibung der Musiken an diesem Wochenende genutzt) zu häufig an eine düstere Unterwasserdoku erinnerten. Leider war in "Kerguelen" auch die Rolle des Holzblastrios, die er im Programmheft als die gleichnamige Hochebene beschrieben hatte, völlig unklar. Manchmal klärten sie den Matsch der Tiefsee und man meinte ein paar schillernde Fischchen zu entdecken. Was das aber mit dem fulminanten Beethoven-Ende zu tun hatte, den endlosen Wiederholungen, die immer noch einen drauf peitschten, um schließlich mit einem bislang in dem Stück ungehörten Klang zu enden, weiß ich nicht. Manoury bot mit "In Situ" auch nicht vielmehr. Zumindest aber verbreitete er nicht allzu viele leere Hülsen großformatiger Werke, ein "white painting" war es jedoch auch nicht. Manoury gewann den Orchesterpreis, das hat man hingenommen, hätte auch jemand anderes sein können, aber sein Stück war wohl das beste Stück Musik an diesem Wochenende.
Die Lust am Monstrum
Überhaupt gab es an diesem schönen Oktoberwochenende im Schwarzwald so gut wie nur Musik um ihrer selbst Willen, die die Logik ihrer Gesten aus sich selber motivieren will, halt absolute Musik, Aphergis mal ausgenommen. Es wäre interessant gewesen, vielleicht gerade diesen Aspekt bei der Frage nach Großformen nicht aufzufahren. Doch die Lust am Monstrum steht da wahrscheinlich über dem Künstlerischen. Poppe erwähnte im Interview Morton Feldman, der ungefähr sagte: Umso länger ein Stück, umso weniger Material brauche ich. Diese Position, ungesehen der vielen Unentdeckten, hätte zumindest ein Gegengewicht gewährleistet (Nussbaumer zählt nicht). Es wäre die andere, vielleicht sympathischere Ideologie der Großformen.
Eine Frage zum Schluss: Auffällig war, dass viele Franzosen dieses Jahr aufgespielt haben, eine Tatsache, die mit dem Willen zur Großform zu tun hat?