Analyse zeitgenössischer Musik für Einsteiger
Den ganzen Abend die gleichen Gesten
Zu Beginn der Musiktage ließ ich verlauten, dass die Großform wohl am ehesten als ein Monstrum verstanden werden kann; ein Monstrum der inneren Bezüge, des totalen Zusammenhangs, aus einem Denken entstehend, das das Atom, die kleinste Einheit über mehrere Ebenen und Bedeutungshierarchien, auf das ganze musikalische Netz eines Werkes ausweitet.
Im Anschluss an das Abschlusskonzert kann man dazu nur sagen, Monstren waren die Werke sicher - auf den ersten Blick. Auf einen zweiten Blick sah man dann die Geste des Vaters, der seinem Kind mit ausgebreiteten Armen, ein Dinosaurier imitierend, einen kleinen Schrecken einjagen will; das meiste, was es zu hören gab, waren Hülsen, leere, vielleicht irgendwann mal bedeutsam gewesene Gesten.
Vorne an natürlich, und da hat sich niemand, den ich gesprochen habe, anders geäußert, Herr Mantovani, zu recht ausgebuht für einen dermaßen unkultivierten Umgang mit den wahllos zusammengestellten Schillerschen Texten und vollen Fanfarencluster der Bläser, die den träg-komponierten Chor irgendwie aufpeppen sollten. "Cantate Nr. 3", erstmal ist sie überhaupt keine Kantate und dann aber eine Musik, bei der mit den ersten Takten das Metier so unglaublich klar abgesteckt ist, dass es sofort anfängt zu langweilen.
Den Orchesterpreis hätte auch jemand anderes gewinnen können
Posadas konnte man zumindest anhören, auch wenn die vielen hohen Cluster (irgendwie waren alle Konzerte voll mit Clustern, ich habe kaum ein anders Wort zur Beschreibung der Musiken an diesem Wochenende genutzt) zu häufig an eine düstere Unterwasserdoku erinnerten. Leider war in "Kerguelen" auch die Rolle des Holzblastrios, die er im Programmheft als die gleichnamige Hochebene beschrieben hatte, völlig unklar. Manchmal klärten sie den Matsch der Tiefsee und man meinte ein paar schillernde Fischchen zu entdecken. Was das aber mit dem fulminanten Beethoven-Ende zu tun hatte, den endlosen Wiederholungen, die immer noch einen drauf peitschten, um schließlich mit einem bislang in dem Stück ungehörten Klang zu enden, weiß ich nicht. Manoury bot mit "In Situ" auch nicht vielmehr. Zumindest aber verbreitete er nicht allzu viele leere Hülsen großformatiger Werke, ein "white painting" war es jedoch auch nicht. Manoury gewann den Orchesterpreis, das hat man hingenommen, hätte auch jemand anderes sein können, aber sein Stück war wohl das beste Stück Musik an diesem Wochenende.
Die Lust am Monstrum
Überhaupt gab es an diesem schönen Oktoberwochenende im Schwarzwald so gut wie nur Musik um ihrer selbst Willen, die die Logik ihrer Gesten aus sich selber motivieren will, halt absolute Musik, Aphergis mal ausgenommen. Es wäre interessant gewesen, vielleicht gerade diesen Aspekt bei der Frage nach Großformen nicht aufzufahren. Doch die Lust am Monstrum steht da wahrscheinlich über dem Künstlerischen. Poppe erwähnte im Interview Morton Feldman, der ungefähr sagte: Umso länger ein Stück, umso weniger Material brauche ich. Diese Position, ungesehen der vielen Unentdeckten, hätte zumindest ein Gegengewicht gewährleistet (Nussbaumer zählt nicht). Es wäre die andere, vielleicht sympathischere Ideologie der Großformen.
Eine Frage zum Schluss: Auffällig war, dass viele Franzosen dieses Jahr aufgespielt haben, eine Tatsache, die mit dem Willen zur Großform zu tun hat?
Massaker! Yah! Huozah! Azah!
Das Kampfgeschrei ost-asiatischer Martial-Arts-Filme wird im Kanon gesungen, die jugendlichen Kämpfer stehen in Reihe, exerzieren Kampfposen, hinter dem Publikum röchelt es, gurgelt das Blut in der Lunge und es stöhnt einer vor Schmerzen bis der letzte Atem ausgehaucht.
Die Grünstädter Gymnasiasten gaben eine schöne KungFuPerformance in der Kästner-Halle, die Annesley Black fein akustisch einbettet hat: Natürlich mit den entsprechenden Tonspurelementen, die sie aber gekonnt zu einer Atmosphäre verfremdet und etwa mit dem Quietschen der Gummisohlen auf dem Turnhallenboden mit der Performance verschmelzen lässt.
Mitfiebern und hoffen
Solche Jugendprojekte sind ja sowieso immer eine lustige Angelegenheit, mal fiebert man mit, hofft, dass keiner aus der Reihe tanzt, und wenn einer in die falsche Ecke läuft, dass er doch wieder den Anschluss finden wird. Mal entstehen überraschend starke Momente, etwa wenn jeder in irgendeiner Tonhöhe summen soll und plötzlich unheimlich spannende Harmonien sich einstellen.
Ganzes Orchester hört auf ein Mädchen
Und manchmal sind die jungen Leute einfach unnachahmlich witzig: Da musste zum Schluss das ganze Orchester auf die Bewegungen eines Mädchens mit einem roten Schirm reagieren und die wiederum lässt ihre Mitschüler natürlich geradewegs in die Falle tappen. Stolz verlässt sie die Bühne durch die Glastür. Einige von den Performern strahlen eine solche verschmitzte Unsicherheit aus, und wie sie das Kampfgestöhne instinktsicher am Rande des Ulks imitieren oder den Titelsong von Lady Snowblood gnadenlos massakrieren, ist es eine wahre Freude!
Linz und Lunz auf sicheren Wegen
Lenz ließ einstmals verlauten, nennt mich doch Linz oder Lunz, unterschrieben hat er mit Lanz. Reinhard Ermen moderierte in gekonnt holperndem Witz die diesjährige Verleihung des Radiopreises: "Nun steht schon auf, Kinder."
Der Dichter Oswald Egger und die Klangregisseurin Iris Drögekamp sowie der Förderpreisträger Rafael Nassif nehmen den Preis in Empfang, die Laudatio wird verlesen.
Es folgt das Preisstück
Ein Umkreisen und ineinander Übergreifen von Sätzen, Worten und den von den Autoren sogenannten "Geräuschverbwurzeln" durch drei verschiedene Sprecher, im Hintergrund die Maulwerkerinnen absurde Silben sprechend. "Mitunter sind es Wörter, die eigentlich Wolken sind. - Zick, zick!" Die Geschichte spinnt sich fort.
Erschlagen wird das Ich des Protagonisten aufgefunden, die Kopffleischwarte hackfleischartig zerhackt...artig zerhackt. Glun...glunk. Phasenweise übernehmen die Stimmkünstlerinnen den Vorsitz, es erklingen auf- und abschwellende Lautcluster. Dann setzt wieder ein Erzähler ein. Ein Spiel mit den Hörspielkonventionen.
Gewagt wurde nichts
Ja, "Linz und Lunz" beinhaltet kleine Erzählungen, unterschiedene Räume und Ebenen der Erzähler, die dem Hörer ein Fundament geben, ihn bei der Stange halten. Und tatsächlich, mit der Grundlage konnte man als aufmerksamer anfangen, sich den Sprachbildern, aber auch einfach der Sprache und ihrem Klang hinzugeben. Keine ergänzende Musik, keine Jingles, nur die Konzentration auf das Gesprochene; eine Rückführung auf das Wesentlichste eines Poeten. Das passt immer, ist sicheres Terrain. Gewagt wurde mit "Linz und Lunz" nichts.
Schnapsideen
Georg Nussbaumers Ringlandschaft mit Bierstrom – ja, was soll man dazu sagen...
Würde sich das Geschmacklose mit Geschmacklosigkeit bekämpfen lassen, ja dann mal gute Nacht! Mit Schnapsideen und Schenkelklopfen, mit ein bisschen Trash und ein bisschen obergäriger Stimmung versucht Nussbaumer ein bisschen Spektakel nach Donaueschingen zu bringen und er und das Kaleidoskop Ensemble hatten sicher einen großen Spaß dabei, was ja immer zu begrüßen ist.
Wenn schon Bierfest, dann richtig
Die Installation sieht ein bisschen aus wie der interaktive Education-Teil eines progressiven Heimatmuseums, mit dem Unterschied, dass es nach Bier und Spinat riecht und man nicht laut Witze machen darf, was wiederum gar nicht zu begrüßen ist. Wenn schon Bierfest, dann richtig oder?
Mit fremden Stimmen sprechen
Sind wir in einem Konzert oder in einem Wohnzimmer? Oder im Theater, ein Kammerstück, ein Familiendrama? Oder ist es vielmehr eine Kömödie? Sind wir im Dekor eines Films, in einer unauflösbaren Szenenreihe eines David Lynch, den Georges Aperghis so sehr schätzt?
Entstammt das Lied des Pianisten an der Celesta einer solchen Filmwelt, ist es in jener Sprache des Unbewussten red rooms gesungen? Und bleibt auch die Szenerie dieselbe, so findet die Montage in der Musik statt, Schnitt von einem Raum in den Nächsten, Schuss / Gegenschuss? Wenn die zwei Violinen zum zweiten Mal in der höchsten Lage zusammen und gegeneinander zwitschern, ist das dann eine Reprise oder vielmehr eine Rückblende?
Sprechen diese instrumentalen Stimmen im vertrauten Kreise? Lauschen wir einem intimen Gespräch? Hat Aperghis mit jedem einzelnen der Solisten eine Korrespondenz geführt, ihr Vorlieben, Lebensumstände, Gewohnheiten in Erfahrung gebracht um authentische Stimmen zu schreiben? Sodass die Musiker mit den Tönen sich selbst zum Ausdruck bringen? Oder sind es vielmehr phantasierte, fabulierte Charaktere? Fabulierte Selbstbilder, die Aperghis wie Jean Rouch in seinen Dokumentarfilmen sich selbst inszenieren lässt?
Ist der intime Raum denn der Ort der Ehrlichkeit, der Wahrheit?
Oder erlaubt Intimität nicht, sein zu können, was man nicht ist? Sind intime Gespräche nicht voller Unwahrheit, voller Täuschungen, voller Ironie? Denn verstehen die intimen Sprecher sich nicht über das "kostbare" und "besser bekannte", was man verschweigt, wie es der Pianist, ganz am Rande des Ensembles er, nach in den Worten Canetti sagt? Kann es sein, dass eine instrumentale Stimme lügt? Oder dass sie sich selbst nachäfft? Oder dass sie, im vertrauten Kreise, nur so tut, als ob?
Ein Lied, dass nicht das meine ist, singe ich es nicht erst wirklich, wenn ich singe, als ob ich es singend erfinden würde? Und wie kann man dann mitsingen, zusammen singen? Kann ich einen Text vorlesen ohne zu denken, was er sagt? Oder kann ich überhaupt denken, was der Text denkt oder ist es ein Geheimnis? Und wenn nur das Schweigen und dahinter kein Geheimnis gibt?
Kann man die musikalische Rede noch schöner in die Schwebe setzen, als Aperghis es mit seinen Situations?
Wie kann zeitgenössische Musik so berühren?
Ist ein Gespräch, mit Menschen, mit Instrumenten, mit mir selbst, ist ein solches Gespräch ein Hin und Her von Frage und Antwort? Gibt eine Frage Antwort? Was geschieht, wenn die Streichergruppe im selben schnellen Staccato, unregelmäßig von Pausen durchbrochen, eng um einen Ton mäandrieren, wie ein erhitzt deklamierender Sprechchor? Wer spricht da? Ist es das Gerede? Ein Verbot? Oder ist es die Stimme der vierten Person singular, das man der littérature mineure? Jenes Sprechen, das weder individuell noch kollektiv ist, jene Stimmen, die in eine Maschinerie geraten sind, wie die Beamten und Advokaten Kafkas? Wie gerät man in eine solche Maschine und vor allem, wie kommt man wieder aus ihr heraus?
Kann einer alleine ein Gespräch anfangen, und kann er es beenden?
Kann einer alleine einen Schlusston spielen? Kann man so spielen, dass keiner mehr was dazu sagen kann? Oder so, dass die andern mich imitieren müssen? Und was, wenn ein Werk eine Reihe falscher Schlüsse wäre? Ist jede Aussage ein Schluss und jede Frage ein Anfang? Oder umgekehrt?
Das müssen wir mal ausprobieren
Wie auch in den letzten Jahren, beherbergt das obligatorische Jazzkonzert am Samstagabend auch dieses Mal ein Sprengungs- oder Befreiungspotential für die Donaueschinger Zeit. Weg mit den Partituren, die Bühne als Schauplatz direkter künstlerischer Prozesse.
Diese Tatsache kann man zunächst einmal dem ganzen Genre oder Arbeitsfeld der "Freien Improvisation" attestieren. Wer aber gestern Shelley Hirsch zusammen mit dem deutschen Trio Koch/Schütz/Studer erleben durfte, muss sich wahrscheinlich noch einmal ein paar Unterklassifikationen überlegen, möglichst viele Stufen und Hierarchien, die klar machen, wie weit entfernt die vier Musiker vom Gros der Anderen sind.
Ideen aufzugreifen und weiterzuentwickeln
Hirsch, die das Quartett als Ideengeber anführte, gelang es auf der Bühne - und das kommt tatsächlich selten vor - ihre, oft wohl irgendwo aus dem halbbewussten, hervorplatzenden Ideen selbst aufzugreifen, weiterzuentwickeln, und das instantan mit den anderen drei Musikern. Nichts wurde verschont: Deutsche Floskeln wie "Heute habe ich schon was gelernt" wurden in die Improvisationen eingesponnen, gingen über in Oldschool-Hiphop, Hirsch legte Listen mit deutschen Begriffen an, die sie im selben Moment vortrug, imitierte Highschool-Mädchen.
Zum Schluss rockten sie noch einmal los
Die Musiker Hans Koch an der Bassklarinette, Saxofon und Laptop, Martin Schütz am Cello und Laptop und der Schlagzeuger Fredy Studer brillierten durch ihr kongeniales Zuarbeiten dieser Ausnahmesängerin. Zum Schluss rockten sie noch einmal los, Hirsch konstatierte, dass nur noch sieben Minuten zu spielen seien, der Bass setzte an, das Schlagzeug drückt die Stöcke durch und wuummmm...! Ein Wunder, dass Shelley Hirsch schon 61 Jahre alt ist.
Einfach guter Jazz
Das Sextett von Tobias Delius hingegen bot, musikalisch gesehen, einfach guten Jazz. Es fiel aber dadurch auf, dass eine Köchin namens Ciska Jansens mit auf der Bühne platziert wurde, die ein fünfgängiges indonesisches Gericht zeitgleich zur Performance fertigte. Matthew Herbert gelang genau dieses Dispositiv letzte Jahr während der Tournee zu "One Pig", bei der ein Koch, immer aus der Region des Konzertabends, Filets und Bratwürste auf der Bühne in die Pfanne warf, deren Sounds dann schließlich direkt weiter verarbeitet wurden.
Zum Schluss wurde das Publikum verköstigt
Herbert vollzog also die Ambivalenz im Umgang mit Schweinen direkt auf der Bühne, bei Delius war es nun die Kochaktion an sich, denn musikalisch brachte die Szenerie nicht viel ein. Es kamen Stimmen auf wie, da spielen fünf weiße Musiker und die lassen sich einfach jedes Konzert von einer indonesischen Frau bekochen (Achtung: Sie ist Belgierin!). Angekündigt wurde Delius damit, dass er das Leben auf die Bühne holen will. Und irgendwie - man muss wohl diese nicht sehr geradlinige, verschrobene Free-Jazz-Manier mögen - hat es für mich funktioniert, nicht musikalisch, aber als Happening, das einfach mal zu machen, das zu behaupten, es hinzustellen, weil man irgendwie verspürt hatte, da kommt eine Spannung auf, das müssen wir mal ausprobieren.
Improvisation und Happening
Die eigentliche Entwicklung findet bei Improvisationsmusikern oft auf der Bühne statt: Man setzt sich immer neuen Konstellationen an Musikern und Künstlern, Orten und Situationen aus und man schaut, wie man darin zurechtkommt, nicht mit dem Ziel, dass es am Ende geschmiert läuft, eher dass man diese Spannung, die Ambivalenz oder Differenz, die sich dort auftut, austrägt. Das äußerste Extrem des Abends: Links außen der junge, extrovertierte und narzisstische Schlagzeuger Christian Lillinger, bei dem jeder Schlag auf sein Zeug ein Drama in sich bedeutete, das Publikum amüsierte sich offensichtlich darüber. Und rechts außen die Köchin Jansen, etwas unbedarft Klänge mit der Rührschüssel produzierend und ein indonesisches Liedchen trällernd.
Zwei Welten, die sich in ihrer Gegenläufigkeit kaum miteinander vereinbaren lassen, die man vielleicht auch beide für sich gar nicht will. Und trotzdem waren sie da und triggerten das kulturelle Selbstverständnis jedes einzelnen im Saal an.
Also, Hut ab, auf diesen Abend. Danke Shelley Hirsch und Tobias Dibelius!
Der Großmeister des Kleinen
Enno Poppe hat mit seinem Speicher-Zyklus ein Meisterwerk hingelegt. Der Applaus wogte gestern Abend durch den Mozart Saal, immer wieder muss Poppe auf seinen langen Beinen vor das Dirigentenpult zurückstaken, wo noch seine marionettenhaften Armschlenkern ein 70-minütiges Stück angeleitet hatten.
Wie an Fäden geknotet, zuckten seine Gelenke zu Taktschwüngen in die Höhe, dass es eine Freude war zuzuschauen, und noch kaum habe ich jemanden mit solcher Prägnanz und Leichtigkeit Musiker wie Publikum durch ein Stück Neuer Musik manövrieren sehen.
Plastisch und lebendig
Das Klangforum spielte atemberaubend auf, unter Hochspannung und mit echter Beteiligung, als hätten ein jeder von ihnen gleichermaßen Teil an der kompositorischen Arbeit. Welch Kontrast zur gestrigen Zangengeburt von Bernhard Lang! In Speicher sah man die Musiker von jeder Form der Notenhörigkeit befreit das einzulösen, was eine echte Interpretation verlangt: Ein Werk plastisch, ja lebendig werden zu lassen.
Ein Spiel der Verwandlung
Poppe ist gelungen, was man sich von den diesjährigen Musiktagen erhofft hat. Er hat ein langes, großes Werk geschrieben, das nicht auseinanderfällt. Ein Werk, dem der Hörer gespannt folgen kann, weil er die musikalischen Elemente wiedererkennt und das Spiel ihrer Verwandlungen mitmachen kann, weil er mit den Spannungsverläufen erst vertraut gemacht wird, bevor sie ihn mit unvorhersehbaren Wendungen überraschen, weil er mit einer Vielfalt von Tongestalten und Atmosphären konfrontiert wird, die sich ihm als eine Einheit präsentieren – nicht dass erkenntlich geworden wäre, wie sie alle aus demselben Prinzip abgeleitet wurden, sondern lediglich, dass ihre Differenzen nachvollziehbar ineinander vermittelt sind.
Immer neuen Konstellationen
Die einzelnen Klangeinheiten fügen sich im Verlauf des Stückes zu immer neuen Konstellationen, die in ein Spiel treten, make up the rules as you go along – Vorbereitungen, Auftakte, Überleitungen, Gegensätze, Melodieergänzungen, Begleitschichten und Solokaskaden sind solche Übergangsgefüge, in die sich die Ausgangsfiguren eingesogen werden, um noch bevor eine Spielform ausgereizt wäre, aus ihm herausspringen und in ein neues überzugehen. Das erinnert an George Perecs Poetik der kleinen Momente – etwa La Vie mode d‘emploi, das ganz wie Poppes Werk sechs Teile in sechs sechsteilige Teile gliedert etc. Ein Speicher, ein strukturiertes Ganzes, das aber innerlich vibriert, und aus dem ganz unverhofft so innige Miniaturen hervorspringen, wie jene unvergesslich einsame Bratsche im dritten Speicher.
Stimmungsvoll und vielfältig
Enno Poppe arbeitet mit den konkreten Klanggestalten, mit den hörbaren Figuren und nicht im Abstrakten; das ist wohl der entscheidende Grund weshalb sein Werk zugleich das klarste und komplexeste, zugleich das virtuoseste und das stimmungsvollste, in einem das vielfältigste und doch stringenteste war, das wir bisher an diesen Musiktagen gehört haben. Eine ganz tiefe Verbeugung vor diesem Großmeister des Kleinen!
Die Gewitterwolken ziehen wohl nie vorüber
Heute erst um 12 Uhr versammelte sich die Gemeinde in den Donauhallen zu Donaueschingen. Der Saal ausverkauft. Der Applaus blieb gemäßigt, die Musiker der musikFabrik aber wurden gefeiert. Nun aber zu den Stücken.
Hector Parra, "I have come like a butterfly into the hall of human life" von 2009:
Von 2009? Ich dachte es gäbe nur Uraufführungen? Da muss ich gleich mal nachfragen...nun gut, das Licht wurde abgedunkelt, Parra bereitete den Zuhörern vier elektroakustische Szenen vor, angeregt durch den letzten Text von Chlebnikov, den man aber auch gleich wieder vergessen konnte. Geboten wurden 20 Minuten elektroakustische
Materialitäten, in den Raum über etliche Lautsprecher projizierte Klangwelten, unterstützt durch das Ircam aus Paris. Tiefe Bässe und flirrende Klänge, die sich irgendwo zwischen Zwitschern, Wabern, Schwabern, Klitschern, Sirren und Säbelgeklirre aufhielten, allein die Intensitäten der Klänge, ihrer Verdichtung und Zerstäubung forderten den Fortgang des Stückes. Desöfteren befand ich mich in einem elektronischen Dschungel, nicht etwa aufgrund unklarer Narration, sondern aufgrund der vielen Tiere. Feenhafte Stimmen stieben durchs Dickicht (...kurz zuvor erinnerte mich Christoph an die Tatsache, dass französische Komponisten, Parra ist zwar Spanier, aber schon länger in Paris lebend, gerne sehr direkt auftragen, feenhafte Stimmen inklusive).
Massage der Sinne
Kurz nach Beginn der ersten Bassdrones flammte zudem auf der dunklen Bühne ein beleuchtetes Seil auf, von Decke bis zum Boden. Erst blau, später rot, dann bunt, schließlich flackernd. Die leuchtende Linie folgte einer Narration, die mir fremd blieb, die mir fremdelte. Sie verblieb mir zur Massage meiner Sinne. Eindrücke empfangen, aufnehmen und nicht weiter verarbeiten...plötzlich schlug das auf die Klänge zurück und ich verblieb - "I have come like a butterfly..." veränderte sich nicht merklich in Zustand und Stimmung - in dieser Haltung, die Klänge kamen und gingen und dann war schon auch das Stück vorbei. Wie viele elektroakustische Werke, ist auch dieses eins, das beeindrucken will und damit immer in der Ambivalenz stecken bleibt, der Idee oder den Möglichkeiten und ihrer Demonstration zu folgen.
Raphael Cendo, "Registre des lumieres":
Dieses Werk beanspruchte im Vorfeld der Programmlektüre wohl das höchste Maß an Vollendung der Großform, die ja eine des Lebens ist. Geburt und Tod. Oder besser noch eine Form, die noch nicht abgeschlossen wurde, das Universum! Boaahh...
Genug der Ironie. Es ist ja wirklich faszinierend und unbegreiflich das Universum. Cendo nennt die Markierungen dieser Geschichte Lichter. Von Schöpfung und ähnlichem spricht er zum Glück nicht. Der Knall kommt zu Beginn trotzdem, und ab da beginnt die 50tägige, mmh, -minütige Tournee durch die Geschichte des Universums: Anfang, Erster Mensch, Zivilisation. Und auch hier tritt ein, was Christoph verlauten ließ: Cendo greift zu allen Unfassbarkeitsmetaphern der neuen Musik, die man kennt. Grollen, enge Cluster des Chores, das Hervortreten einer einzelnen Stimme, Glissandi und Geschrabbel der Streicher, eine gesamtträge Clustermasse mit Tendenz nach oben.
Keine Überforderung
Spannend bleibt es trotzdem, denn die Musiker der musikFabrik sind unglaublich bei der Sache, involvieren sich in das Stück. Das liegt sicherlich auch an den von Cendo sehr sparsam verteilten Einsätze, die den Musikern - so schien es zumindest - auch in der Notation diesen Freiraum zur Hingabe bereit stellten. Das Repertoire an Spieltechniken war für jedes Instrument sehr klar und begrenzt, keine Überforderung, jeder trägt nach und nach zu dem Hörspiel bei. Das kann auch Nachteile haben. Unterdessen bekam man den Eindruck, dass die Kunst dieses Stückes darin bestand, den gemäßigten Bestand an Spieltechniken möglichst spannend und variationsreich so zu verteilen, dass man nach nichts Neuem greifen musste.
Die Kapitel oder Akte unterschieden sich durch ein Ausfaden nach den jeweiligen Höhepunkten. Das eigene Gemüt beruhigte sich mit ihnen, doch das Donnergrollen, das Gewitter hebt sich wieder aus dem Hintergrund, es ist noch nicht vorüber.
Die einzige, bleibende Frage: Ist es das, was unserem Universum bleibt? Wird das Gewitter niemals vorüberziehen?
Formlose Formen
Große, lange Formen – das Eröffnungskonzert hat gestern gezeigt, dass das Motto dieser Musiktage kein Witz war. Walter Zimmermann, aber vor allem Bernhard Lang haben mit der Größe ernst gemacht und auch einen entsprechenden Klangkörper auffahren lassen. Was erst einmal Grössenwahn andeutet, ist allem voran sehr mutig, denn wer sich so weit aufbläst, bietet viel Angriffsfläche. Vor allem eine Frage stellt sich dann sofort: Ist das alles, was du aus dieser Wahnsinnsmaschine rausholst?
Walter Zimmermann sieht sich von dieser Frage nicht bedrängt, wie es sich dem Interview mit Armin Köhler entnehmen lässt. Es sei ja gerade seine ästhetische Position, das Filigrane, fein Durchdachte anstelle des ideologieverdächtigen Pomps zu suchen, selbst wenn er große Formen und Apparate gestaltet. Diese altbackene Gleichsetzung von Expressivität und Propaganda sei ihm verziehen, doch wer einige Minuten seines sechsteiligen Suave Mari Magno – Clinamen I-VI verfolgt hat, weiß, dass hier eine ganz eigene Ideologie herrscht, vielleicht eine, die viel mit jenem Denker zu tun hat, der für das Stück Pate steht: Es herrscht eine Indifferenz, wie sie Epikur sich nicht hätte wünschen können. Das Stück kennt über weite Teile keine dynamische Entwicklung, die wohl als Kanon konstruierten Kurzfiguren kenne nur eine Lautstärke – vielleicht filigranes mezzopiano – und so trägt das Ganze eine Zögerlichkeit, eine Richtungslosigkeit, eine Ungelenkheit zur Schau, die selbst das Schillern der engen Akkordik nicht zu verzaubern mag.
Manche Stücke müsse man mehrfach hören
Ulrich Mosch hat in seinem Programmhefttext zurecht darauf hingewiesen, dass man zwischen der geschriebenen Form, die sich in der Partitur analysieren lässt, und der hörend vernommenen Form einer Musik unterscheiden muss. Dabei sei es jedoch klar, dass sich komplexe Formen nicht auf Anhieb hörend nachvollziehen lassen. Man müsse manche Stücke eben mehrfach hören um überhaupt erst ihre Gestalt zu erfassen. Das scheint zuerst als Kompliment an jene unausschöpfbaren Stücke gedacht, aber es heißt auch, dass diese Stücke nicht für den Konzertsaal taugen, ihr eigentlicher Ort ist die beliebig reproduzierbare Aufnahme. Walter Zimmermanns Kanonstrukturen sind in dieser Weise unübersichtlich und hielten vielleicht noch jahrzehntelangen Hörerkundungen stand, aber im Konzert erlebt man diese Komposition einfach über weite Strecken als differenzloses Stottern, vielleicht mal Wabern, bestenfalls als Teppich. Daran ändert auch die Verteilung der Musiker in sechs Gruppen nichts, die das Publikum sozusagen umfassen – selbst diese räumliche Projektion der sechs kanonischen Stimmen macht die Strukturen nicht transparent, geschweige denn die Banalität des kanonischen Motivs, dass in Momenten an die alptraumhafte Umkehrung eines Kinderlieds erinnert.
Das Moment des Zufalls
Erst in der radikalen Reduktion, etwa wenn im zweiten Satz alle sechs Gruppen nur den Tonraum einer kleinen Sekunde bespielen, entfaltet sich eine spannende Hörstruktur, erst in dieser Einfachheit wird die Verwobenheit und die Bewegung zwischen den Gruppen erfahrbar. Zimmermann wählte sich das Clinamen zum Leitbild seiner Komposition; das Moment des Zufalls, der minimalen Abweichung von der geordneten Bewegung, das die epikureische Theorie braucht, um der Freiheit des Denkens und der Spontaneität des Lebens Raum zu geben, in ihrem durch und durch regelgeleiteten Bild der Welt. Geschähe alles den Regeln gemäß, so bliebe alles unbewegt an seinem rechten Platze. Erst weil ab und zu etwas nicht gerade fällt, sich von Zeit zu Zeit selbst zwei Parallelen berühren und die Ordnung verwirbeln, ist unsere Welt in lebendiger Bewegung.
Alles Abweichung?
Bei Zimmermann hingegen ist scheinbar alles Abweichung! Doch das Clinamen ist ein genetisches Prinzip: Es erklärt die Entstehung der Formen, aber beschreibt in keiner Weise deren erfahrbare Gestalt. Wenn Komponisten von Form sprechen geht es vielfach um genau solche genetischen Prinzipien, um die Regeln der Formung. Sie haben aber mit der erscheinenden Form eines Werks mit der erfahrbaren Gliederung in Abschnitte, in Spannungsbögen und Instrumentengruppen letztlich nichts zu tun. Genausowenig sind sie mit jener funktionellen Differenzierung gleichzusetzen, von der Ulrich Mosch spricht und die auf so etwas wie die Grammatik eines Werks abzielt, die Signalwirkung von Instrumenten, die Verarbeitung von Motiven, die Beziehung von Akkorden etc.
Intransparenz der Konstruktionen
Im Schlusssatz versucht Zimmermann die Intransparenz seiner Konstruktionen mit einer verzweifelten Geste wieder wettzumachen, indem er nicht nur die Musiker sprechen lässt: Hört ihr nicht das Rad der Zeit – also seinen im Kreis umgehenden Kanon – und Glück hatte er, dass niemand ehrlich antworten wollte. Da auch dieser Anruf nichts half, versuchte er mit letzter Deutlichkeit zumindest einen Trommelschlag ums Publikum wirbeln zu lassen: Aber nicht einmal das funktioniert richtig und man sehnt sich nach der Klarheit und sicheren Gestaltungskraft eines Iannis Xenakis, wie er in Pleiades die sechs Gruppen bespielt oder in den Retour-Windungen die Klänge ums Publikum jagen lässt; was hätte er mit einer solchen Anlage anzufangen gewusst!
Ein überwältigender Anfang
Auch Bernhard Langs 13. Monadologie bezieht ihre Einheit aus dem Prinzip ihrer Hervorbringung, aus den Regeln, nach der sie geformt wurde, aber keineswegs aus der Form, als welche sie erscheint: Eine völlig maßlose, ausufernde Dekonstruktion der ersten Symphonie Bruckners. Immerhin: An Radikalität fehlt es diesem Stück nicht, was nach der epikureischen Mittelmäßigkeit Zimmermanns geradezu eine Wohltat ist: Ein überwältigender Anfang mit kleingliedrigen Wiederholungen der zwei um einen Viertelton verschobenen Orchester, die im Saal einander gegenüber aufgestellt waren. Ein Klangerlebnis, wie ich es noch nie hatte: Das ganze Orchester ist seltsam virtualisiert, in einen unwirklichen Raum gehoben, als hätte sich die Zusammensetzung der Atmosphäre schlagartig verändert.
Vertrackten Rhythmen der Partitur
In den besten Momenten gelingt es Lang das aufbäumende Pathos oder die süß-schmerzenden Melodiefragmente der gesprengten Brucknersymphonie hervorscheinen zu lassen um sie dann, vor dem Publikum sozusagen aufzubrechen und in neue, in sich stockende Gestalten zu verwandeln, in denen etwas von der Energie weiterwirkt, die sie in ihrer ursprünglichen Form besaßen. Über weite Teil gelingt das jedoch nicht, was wohl vor allem an der praktischen Unspielbarkeit des Stücks liegt. Man hatte ja schon gehört, dass es in den Proben zu Spannungen gekommen sei und nun weiß man auch wieso: Die Musiker des SWR Sinfonieorchesters waren derart damit beschäftigt, einigermaßen den vertrackten Rhythmen der Partitur zu folgen – und weil unglaublich viel unisono gesetzt ist, konnten sie auch nicht einfach pfuschen – dass wohl keiner von ihnen noch den Kopf hatte, irgendetwas zu gestalten.
Beziehung zwischen Orchesterteilen bleibt unklar
Lang verstand es nicht, seine Dekomposition so zu instrumentieren, dass die Musiker das Material präzise und überzeugend hätten darbieten können, was im Werk angelegt ist. Auch die Beziehung zwischen den beiden Orchesterteilen bleibt erstaunlich unklar, meist verstimmt unisono gedacht, waren sie nie zusammen aber auch nie richtig auseinander, und nach der ersten Überwältigung erweist sich diese gigantische Anlage doch letztlich als Effekthascherei, die völlig unausgestaltet bleibt. In dieser Form kann man das Stück nur grob und monoton herunterspielen. Ein Orchester ist keine Filmspur, die sich schneiden und montieren ließe. So hingen zuletzt alle, im Publikum wie auf der Bühne, in ihren Stühlen, hielten in völliger Ermattung den tosenden Brei aus, der sich über sie ergoss und hofften auf das Ende, die Ohren wie Matsch, ein Tanz mit eingeschlafenen Füssen.
Aber man muss dem Stück zu Gute halten, dass mir der Abend unvergesslich bleiben wird, und das ist schonmal nicht zu verachten.
Es ist an der Zeit die Stimme zu erheben
Live aus dem hölzernen Plenarsaal des Rathauses: acht Lautsprecher, einer davon ein Megaphon, das Publikum scharrt sich um die Sitzungsrunde, den vertäfelten Wänden oder in den gemütlichen blaubezogenen Sesseln der Politiker.
Geboten wird heute im Kongress: eine Debatte, nicht zu einem bestimmten Thema, sondern eine Debatte an und für sich. Eine Vielzahl von Personen und auch Klängen, die etwas in den Raum hinein sagen, mal so unglaublich klar, dass man auf den Boden blickend, einen wirklichen Menschen zu verspüren glaubt, mal vermittelt durch ein älteres Medium, wie dem Radio oder eben dem Megaphon. Auch das Fernsehen ist gerade hinein geschlichen, gefilmt werden die Disputanten, die schwarzen Lautsprecher.
Ein Markstein in der parlamentarischen Geschichte
Ich mache gerade den Vorsitz, sitze eben am Zenit der Rundung und schreibe in diese Maschine hinein, das Protokoll dieser, meiner, Sitzung. Da, ich höre gerade noch ein "Amen". "Der heutige Tag ist ein Markstein in der parlamentarischen Geschichte Deutschlands", "Herr Bürgermeister, wären sie bereit sich der Vertrauensfrage zu stellen? - Diese Frage wird zu entscheiden sein..." Herr Bürgermeister steigert sich hinein.
Jetzt wird es gut
Die Beiträge vorher waren eher belehrend, hinweisend, das und jenes kann besser sein, so sollte man es machen. Jetzt aber eine echte Debatte im echten Sitzungssaal. Hier erfüllt sich die Zielsetzung Reeses und Stolzenburgs, weniger den Inhalt, als vielmehr die Art und Weise zu sprechen in den Mittelpunkt zu stellen. Die dem Körper entrissene Stimme wird bloßgestellt.
Es bleiben die Stimmen und die Klänge
Die Mittel von "Debatte" sind simpel, vielleicht zu sehr. Die dem Programmheft entnommene Notiz die Metainformationen von Gesprochenem über das Bearbeiten der Klangaufnahmen heraus zu destillieren, kennt man und löst sich eher weniger ein. Es bleiben die Stimmen und die Klänge, getrennt...oh, ich unterbreche diese Liveberichterstattung für einen Moment, Herr Stolzenburg ist mit dem Megaphon hereingetreten, unterbricht die Installation. Kirsten Reese und er lesen Parlamentsreden: Herr Fürst von Fürstenberg lädt ein Berliner Ensemble zur Unterhaltung ein. Brillante Reden unterbrechen nicht das Denken, sondern stiften es an...
Eine Debatte
Man weiß nicht recht, welchen Status der Inhalt dieser Reden einnimmt. Gesprochen wird nicht auf besondere Weise. Und es werden Wahrheiten gesagt, denen jeder zustimmen würde. Viel passiert da mit dem Denken tatsächlich nicht. Gut aber bleibt die Setzung der Stimmen in diesen Plenarsaal, und gerade dann, wenn das eintritt, was man am ehesten dort erwarten würde: eine Debatte.
Neue Musik braucht die Finanzierung
...so die einhellige Meinung aller am gestrigen Abend auf dem Podium versammelten ProtagonistInnen zeitgenössischer Kulturproduktion.
Die Stifter, namentlich Gabriele Forberg-Schneider von der gleichnamigen Stiftung und Michael Roßnagl von der Ernst-von-Siemens-Stiftung, beglaubigten ihr Gutmenschentum auf überzeugende Weise. Frau Forberg-Schneider konterkarierte sogar ihre Stellung mit einer äußerst sympathischen verschrobenen und direkten Art, indem sie von ihren Kindheitserinnerungen erzählte, von St. Martin und der geschwisterlichen Suppenaufteilung im Internat, sowie der Kraft die Freundschaftskreisen innewohnt, Dinge auf den Weg zu bringen. Als junger Komponist konnte man da erstmal gar nicht mehr aufmucken und seinen Unmut konstatieren, dass doch diese Auswahlverfahren von Stiftungen monopolistisch und hierarchisch seien. Roland Diry, der Geschäftsführer vom Ensemble Modern mokierte, dass ein Ensemble mit dieser über dreissigjährigen Tradition immer noch keine feste Förderung erhalte. Derzeit mache die Basisförderung 13 Prozent ihres Gesamtetats aus.
Stichwort des Abends: Projektförderung
Ein Thema unserer Zeit, das erst in der zweiten Hälfte, nun mit neuen Gästen, ins Zentrum gerückt werden sollte. Volker Hormann vom Solistenensemble Kaleidoskop konstatierte, dass eine Arbeit, die das Ensemble, ohne einen Text im Vorhinein für einen Förderantrag formulieren zu müssen, angegangen sei, sowohl von den Künstlern als auch den Zuhörern als gelungener empfunden wurde. Nicken allerseits. Aber was soll man dazu sagen. Abschaffen möchte man die privaten Stiftungen ja nun auch nicht. Sehr präzise und ehrlich war in dieser Hinsicht auch Christina Weiss, ehemals Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, eine Politikerin, die sich mit dem Ausscheiden aus der Politik auch jeglicher Legitimationszwänge entledigt hat, und die Missstände beim Namen nannte; dass es drei Opern in Berlin gibt und das meiste Geld vom Bund in solche oder noch größere repräsentative Institutionen fließt, ist klar und wird sich nicht ändern.
Blick ins europäische Ausland
Nur kurz wurde der Blick ins europäische Ausland geworfen, nach Belgien, einem Land, das die Förderung nicht nach Sparten trennt, oder Schweden, wo der Staat Unmengen mehr an Kulturförderung von freien Szenen betreibt. Diese realen Möglichkeiten, Dinge anders anzugehen, wurden leider nur am Rande gestreift. Schweden ist aber tatsächlich ein Land, das bei der Förderung von Musikszenen exemplarische Arbeit leistet. Kulturförderung kann nämlich auch gelingen: Ich erinnere mich an einen popmusikalischen Auftrag, vom Staate Schweden ausgehend, an einzelne Musiker der Elektronik-Jazz-Band Jaga Jazzist und dem Singer-Songwriter Thomas Dybdahl, die perfekte Popband zu formieren und ein Album zu produzieren. Heraus kam "National Bank" mit dem gleichnamigen Album, in Schweden groß gefeiert, zwei Jahre später folgte das nächste Album. Und ich muss sagen, ich habe selten so gut gesetzten und so gut produzierten Pop gehört.
In Deutschland noch unvorstellbar
Ein solches Projekt ist in Deutschland noch vollkommen unvorstellbar, wo derzeit den Privatsendern die "Förderung" popmusikalischer Inhalte überlassen wird. Und diese Trennung der Sparten führt wohl auch zu den Phänomenen, denen sich junge Komponisten heute ausgesetzt sehen. Die Regeln sind eng gefasst, man benötigt einen gewissen elaborierten Code, um seine Projekte an die Stiftung zu bringen. Eine prinzipielle Förderung einer Gruppe oder einer Person für zum Beispiel vier Jahre, aus der Überzeugung heraus, da muss was Gutes bei rauskommen, unabhängig der Sparten, ist in Deutschland nicht vorstellbar.
Der neuen Musik die Nabelschnur abschneiden?
Oder sollte man da doch, wie Konrad Boehmer zitiert wurde, der neuen Musik die Nabelschnur abschneiden? So dass die Komponisten ins Moloch der Gesellschaft gestürzt, trunken von Alkohol und Drogen, die neuen Beatniks werden? Doch das bleibt jedem Künstler selbst überlassen, ob er sich fördern lässt oder nicht. So wie aber derzeit die Oberfläche der deutschen Festivals für neue Musik und ihre Protagonisten in Erscheinung treten, muss man sagen, da hat sich etwas eingefahren, eingeschliffen (Dekor Experiment), das so auf Dauer der Kreativität wenig Raum lässt. Vielleicht wäre da tatsächlich mal ein Stifter an der Reihe, nicht nur etwas zu fördern, sondern etwas zu fordern, das nicht den derzeitigen Maßstäben folgt, das die Sparten für nichtig erklärt und damit künstlerische Anliegen in den Mittelpunkt stellt, die offen für jedwedes Künstlertum sind. Denn dann müssten einige Neue-Musik-Komponisten mal ihren Blick öffnen und sich mit mehr als der Tradition und Förderrichtlinien und dem Status-Quo auseinandersetzen und könnten trotzdem gefördert werden. (Die Verrohung der Sinne, nach dem eigentlichen Alt-68er Theo Geißler, ist eine Unmöglichkeit, eine Un-Kategorie)
Das perfekte Maß an Klanginszenierung
Achso, wirklich bemerkenswert waren die musikalischen Beiträge vor und nach den Diskussionen. Hier insbesondere "Finito ogni gesto" von Francesco Filidei, ein Werk mit einer wunderbaren Redundanz der Mittel, die zum Ende sogar ironisch gewendet, unter dem mehrmaligen synchronen Wenden der Notenblätter, das perfekte Maß an Klanginszenierung und -narration darboten.
In Donaueschingen ist immer Herbst
Bastian Zimmermann und Christoph Haffter schreiben über ihre ganz persönlichen Eindrücke von den Donaueschinger Musiktagen.
Es ist erstaunlich, wie lange sich das Blattgrün in den Bäumen hält. Ist nicht vor Wochen schon die Kälte des Herbstes über den Sommer hereingebrochen? In Donaueschingen ist es in der Regel herbstlicher als anderswo. Dieser Ort sitzt in einer Hochebene des Schwarzwaldgebirges und mir kommt es so vor, als sei er mit seiner ganzen Ebene auch der Zeit ein Stück enthoben. Als ergieße sich von hier, von dieser Hochebene aus all das Rot und Gold des Spätjahrs über das ganze, ebene Deutschland. Als könne im Oktober erst das immerherbstliche Donaueschingen vor lauter Herbst nicht mehr an sich halten und schwappe über.
Goldener Oktober über Donaueschingen
An diesem Eindruck nicht ganz unschuldig ist, es sei erwähnt, das Fest der hiesigen Musiktage, wo man sich just in jener Zeit der späten Fülle daran zu machen pflegt, im Feld der zeitgenössischen Musik die schwere Süsse reifer Früchte zu ernten.
Donaueschinger Spätlese 2013: Bernhard Lang, Philippe Manoury, Georges Aperghis, Enno Poppe, Walter Zimmermann ...
Es hat sich im Betrieb der Neuen Musik ein Zeitmaß eingependelt, ein Richtwert jener Dauer, innerhalb der ein Komponist sich so gut wie alles erlauben kann ohne unanständig zu sein. Die Obergrenze liegt bei einer Viertelstunde und auch eine Untergrenze von fünf Minuten wird kaum unterschritten.
Musikalische Großformen im Zeitalter der Computerästhetik
Scheint Donaueschingen von Natur aus dem Wechselbad der Jahreszeiten enthoben, so entwinden sich nun die Musiktage den Zwängen dieser Zeitenregel und präsentieren dieses Wochenende Großformen, lange Stücke. So lautet zumindest die Ansage. Die hohe Kunst der langen Weile?
Für mich begann die erste dieser Großformen heute um sechs Uhr in der Früh am Berliner Hauptbahnhof, ein Werk von einer solch großen Gleichförmigkeit, dass ich, aus meinem Dösen aufgeschreckt nicht hätte sagen können, ob ich am Anfang noch oder schon am Ende meiner Reise, in Fulda noch oder schon in Biblis sei. Ein Feldman-Effekt eigentlich, kaum zu unterbieten!
So geht es bis Offenburg, und nach Offenburg ist alles anders: Den bewaldeten Hügelflanken entlang schraubt sich der Zug, vorbei am "Geheizten Freibad Hornberg" der gleißenden Sonne entgegen, die Luft ist wie verflüssigt und man entsteigt dem Jammertal, hoch zu St. Georgen, in die Ebenen des immerwährenden Herbsts.
Erklären und verklären
Es scheint ein entspannteres Donaueschingen dieses Jahr zu werden. Nur 14 statt 26 Werke stehen auf dem Programm.
Das Jazzkonzert ist am Samstag schon um 20 Uhr ("Die Jazzhörer werden auch immer älter") und selbst die morgendlichen Konzerte beginnen erst um 11 oder 12 Uhr. Das gründet sicher in der Großform, in den Großformen, die in diesem Jahr Thema sind. Ein Konzert, ein Werk, so ungefähr. Das verspricht, ja, behauptet einiges. Zuallererst einmal, dass der/die KomponistIn etwas grundlegender verstanden haben muss, dass er/sie irgendeinen Zusammenhang unter den Musiken, Instrumenten, Klängen oder Gesten gefunden haben muss, der in sich funktioniert, der in einer solchen Großform einen Abschluss findet, der einmal komplett umrundet wird. Warum auch sonst begehrt man das Monströse...!
Was beinhaltet eine Großform noch?
Es scheint eine rein musik-o-logische Formulierung zu sein. Wer sie behauptet, muss wohl mehrere syntaktische oder semantische Schichten entwerfen, eventuell über diverse Referenzen zur Lebenswelt, die dann zu einer Narration geformt werden. Denn letztlich wird es wohl immer um ein angemessenes oder gelungenes Verhältnis von Komplexität (der Einzelteile) und Einfachheit (des Ganzen) gehen, etwas, das der Experimentalpsychologe wohl über ein jedes Werk behaupten wollen würde, ich aber meine so etwas wie die "Große Einfachheit": Motivisch-thematische Arbeit bei Bruckner, die "unendliche Melodie" bei Wagner - und das in neu! Mal schauen, was kommt. Unter anderem eine Zeitreise vom Beginn des Universums bis heute!
Wie reagieren, kritisieren?
Großformen sind ihrer Tendenz nach Monster, Monstren des Absoluten, die alles erklären, verklären oder das Unaussprechliche in Form von gewaltigen Welten des Dies- und Jenseits auffangen. Auch wir können nur versuchen, dies alles zu erklären, minutiös auf die letzte Note, oder zu verklären, mit neuen, dem Werk unbewussten Seinsebenen, oder es eben den Werken gleichtun und das Unfassbare, Globale ästhetisch einfangen. In Donaueschingen natürlich in Form von gewaltigen Schwarzwaldlandschaften, denn irgendeine Verbindung muss es ja zu dem verwunschenen Ort am Donau-Ursprung geben!
Neue Geschichten erfinden
Wir versuchen all dies. Wir suchen nach dem Dispositiv des Werkes, wir erfinden neue Geschichten dazu, und ein Bild zu jedem Werk kann auch schaden.
Kleiner Exkurs: Anfangs dachte ich ja, Donaueschingen wäre Wacken gleich, beides Dörfer, die einmal im Jahr von tausenden illustren und obskuren Gestalten heimgesucht und in Beschlag genommen werden, jedes natürlich auf seine Weise, hier die Hochkultur mit Kaffeekränzchen, da die Subkultur mit Bierkränzchen. Dieses Jahr ähneln die Musiktage eher Bayreuth...