Bastian Zimmermann und Christoph Haffter schreiben über ihre ganz persönlichen Eindrücke von den Donaueschinger Musiktagen.
Es ist erstaunlich, wie lange sich das Blattgrün in den Bäumen hält. Ist nicht vor Wochen schon die Kälte des Herbstes über den Sommer hereingebrochen? In Donaueschingen ist es in der Regel herbstlicher als anderswo. Dieser Ort sitzt in einer Hochebene des Schwarzwaldgebirges und mir kommt es so vor, als sei er mit seiner ganzen Ebene auch der Zeit ein Stück enthoben. Als ergieße sich von hier, von dieser Hochebene aus all das Rot und Gold des Spätjahrs über das ganze, ebene Deutschland. Als könne im Oktober erst das immerherbstliche Donaueschingen vor lauter Herbst nicht mehr an sich halten und schwappe über.
Goldener Oktober über Donaueschingen
An diesem Eindruck nicht ganz unschuldig ist, es sei erwähnt, das Fest der hiesigen Musiktage, wo man sich just in jener Zeit der späten Fülle daran zu machen pflegt, im Feld der zeitgenössischen Musik die schwere Süsse reifer Früchte zu ernten.
Donaueschinger Spätlese 2013: Bernhard Lang, Philippe Manoury, Georges Aperghis, Enno Poppe, Walter Zimmermann ...
Es hat sich im Betrieb der Neuen Musik ein Zeitmaß eingependelt, ein Richtwert jener Dauer, innerhalb der ein Komponist sich so gut wie alles erlauben kann ohne unanständig zu sein. Die Obergrenze liegt bei einer Viertelstunde und auch eine Untergrenze von fünf Minuten wird kaum unterschritten.
Musikalische Großformen im Zeitalter der Computerästhetik
Scheint Donaueschingen von Natur aus dem Wechselbad der Jahreszeiten enthoben, so entwinden sich nun die Musiktage den Zwängen dieser Zeitenregel und präsentieren dieses Wochenende Großformen, lange Stücke. So lautet zumindest die Ansage. Die hohe Kunst der langen Weile?
Für mich begann die erste dieser Großformen heute um sechs Uhr in der Früh am Berliner Hauptbahnhof, ein Werk von einer solch großen Gleichförmigkeit, dass ich, aus meinem Dösen aufgeschreckt nicht hätte sagen können, ob ich am Anfang noch oder schon am Ende meiner Reise, in Fulda noch oder schon in Biblis sei. Ein Feldman-Effekt eigentlich, kaum zu unterbieten!
So geht es bis Offenburg, und nach Offenburg ist alles anders: Den bewaldeten Hügelflanken entlang schraubt sich der Zug, vorbei am "Geheizten Freibad Hornberg" der gleißenden Sonne entgegen, die Luft ist wie verflüssigt und man entsteigt dem Jammertal, hoch zu St. Georgen, in die Ebenen des immerwährenden Herbsts.