- „Eine geistlose Stadt“: Baden-Baden
- „Verwahrloste Idioten“ in Hirschhorn am Neckar
- „In gar keinem Geschmack gebaut“: Schloss Hohenheim
- „Die Straßen sind von dem vielen Mist äußerst unsauber“: Tübingen
- „Eine sterbende Stadt“: Worms
- „Zum Kotzen schön“: Der Bodensee
- „Nichts vom geistigen Leben Mannheims“: Ludwigshafen
„Eine geistlose Stadt“: Baden-Baden
Wer bissige und zynische Kommentare mag, der wird die Reiseaufzeichnungen von Mark Twain lieben. 1878 war der amerikanische Schriftsteller auf Europareise. Er besuchte Deutschland, die Schweiz und Italien, war unter anderem am Rhein und Neckar oder im Schwarzwald. 1880 erschienen seine Aufzeichnungen und Beobachtungen unter dem Titel „A Tramp Abroad“ („Bummel durch Europa“).
Das schon damals mondäne Kurbad Baden-Baden gefällt Twain einerseits gut: „Die natürliche und künstliche Schönheit seiner Umgebung vereinigt sich wirkungsvoll und reizend“, schreibt er.
Doch andererseits sind ihm die Menschen, die in der sogenannten „Sommerhauptstadt Europas“ anzutreffen sind, äußerst zuwider: „Es ist eine geistlose Stadt, voll von Schein und Schwindel und mickerigem Betrug und Aufgeblasenheit, aber die Bäder sind gut.“
Und doch verdankt Twain Baden-Baden etwas, wenn er mit einem Augenzwinkern schreibt: „Ich glaube voll und ganz, dass ich mein Rheuma in Baden-Baden gelassen habe. Es sei Baden-Baden gegönnt. Es war wenig genug, aber alles, was ich zu geben hatte. Am liebsten hätte ich etwas Ansteckendes zurückgelassen, aber es stand nicht in meiner Macht.“
Turgenew lästert über die feine Gesellschaft am Spieltisch
Die Ablehnung der Baden-Badener Kurgäste teilt Mark Twain mit dem russischen Schriftsteller Iwan Turgenew, dessen Roman „Rauch“ in Baden-Baden spielt: „Jeder“, so schreibt er darin, „hält es für seine angenehme Pflicht hier gewesen zu sein“ – womit er vor allem seine Landsleute meint, die den badischen Kurort seit der Hochzeit zwischen Zar Alexander I. und Luise von Baden im Jahr 1793 gern besuchten.
„Um die grünen Spieltische drängten sich wieder diese wohlbekannten Gestalten, mit dem gleichen stumpfen und gierigen, halb fassungslosen, halb erbitterten, doch im Grunde genommen habsüchtigen Ausdruck, den die Spielleidenschaft allen, selbst den aristokratischsten Zügen verleiht“, beschreibt Turgenew auf fiktive Weise ein reales Geschehen.
Gesellschaft Russisches Baden-Baden – Wie der Ukraine-Krieg die Kurstadt verändert
Seit mehr als 200 Jahren pflegen Baden-Baden und Russland eine besondere Beziehung. Viele Russen leben in der Kurstadt. Mit dem Ukraine-Krieg aber kippt die Stimmung in der Stadt.
„Verwahrloste Idioten“ in Hirschhorn am Neckar
Dass Mark Twain bisweilen wenig mit den Menschen vor Ort anfangen konnte, ist nach dem Reisebericht aus Baden-Baden wohl hinreichend ersichtlich – und wird auch bei seiner Beschreibung von Hirschhorn am Neckar deutlich. Hier konstatiert er: „Es war ein Viertel, das mit verwachsenen, schielenden, verwahrlosten und ungekämmten Idioten wohl versehen war.“
„In gar keinem Geschmack gebaut“: Schloss Hohenheim
Johann Wolfgang von Goethe, der heute vermutlich etliche Flugmeilen sammeln würde, war ein wahrer Vielreiser. Häufig voll des Lobes für die bereisten Orte, ließ er aber am Schloss Hohenheim kein gutes Haar.
Vier Jahre nach Fertigstellung nahm der Schriftsteller 1797 das Anwesen in Augenschein und schrieb in sein Reisetagebuch: „Man kann vom Äußern der Gebäude sagen, dass sie in gar keinem Geschmack gebaut sind, indem sie nicht die geringste Empfindung weder von Neigung noch Widerwillen erregen. Eher ist das völlig Charakterlose einer bloßen beinahe nur handwerksmäßigen Bauart auffallend.“
Es ist nicht das erste Mal, dass der Dichterfürst über ein Gebäude des württembergischen Herzogs Karl Eugen herzieht, der für seinen verschwenderischen Lebensstil und seine enorme Bautätigkeit über die Grenzen seines Herzogtums hinaus bekannt war.
„Die Straßen sind von dem vielen Mist äußerst unsauber“: Tübingen
Auf seiner Reise von Frankfurt nach Heidelberg gerät Goethe oft ins Schwärmen: Über die schöne Landschaft, die sogenannten ursprünglichen Menschen und die kulturellen Denkmale.
Doch sein Urteil über Tübingen, dem heute der Ruf als pittoreske Studentenstadt vorauseilt, fällt vernichtend aus: „Die Stadt selbst ist abscheulich, allein man darf nur wenige Schritte tun, um die schönste Gegend zu sehen“, schreibt er an seine spätere Frau Christiane Vulpius.
In sein Tagebuch notiert er: „Die Stadt an sich selbst hat drei verschiedene Charaktere, der Abhang nach der Morgenseite, gegen den Neckar zu, zeigt die großen Schul-, Kloster- und Seminariengebäude, die mittlere Stadt sieht einer alten, zufällig zusammengebauten Gewerbestadt ähnlich, der Abhang gegen Abend, nach der Ammer zu, sowie der untere flache Teil der Stadt wird von Gärtnern und Feldleuten bewohnt und ist äußerst schlecht und bloß notdürftig gebaut, und die Straßen sind von dem vielen Mist äußerst unsauber.“
„Hier kotzte Goethe“ – Warum sich der Dichterfürst in Tübingen nicht so wohl fühlte
„Eine sterbende Stadt“: Worms
Auch der französische Schriftsteller Victor Hugo zeigt sich eigentlich begeistert von seinem Reiseziel, dem Rhein, den er Mitte des 19. Jahrhunderts zwei Mal mit einem Dampfschiff bereist.
Doch in seinem Reisebericht „Le Rhin“ zeichnet er Worms als verfallende Stadt, wenn er schreibt: „Eine sterbende Stadt! Welch feierliches aber trauriges Bild! Die Straßen zerfallen langsam. (...) Überall Öde, Einsamkeit, Staub, Ruinen, kurz: die Vergessenheit.“ Als Romantiker ist Hugo der Verfall jedoch gar nicht zuwider, er sieht ihn auch als Teil eines Neubeginns.
Und so heißt es bei Hugo über die Nibelungenstadt weiter: „Trotz alledem, vielleicht gerade deshalb ist Worms, umschlossen von dem doppelten Horizont der Vogesen und des Taunus, umspült von dem wunderbaren Fluß mit seinen Inseln, umgeben von dem eingefallenen Mauerkranz und dem frischen Grün seiner Umwallung, eine wunderschöne, merkwürdige und sehenswerte Stadt.”
„Zum Kotzen schön“: Der Bodensee
Wesentlich weniger hoffnungsvoll mutet die Geschichte an, die sich hinter der neuen Heimat des Malers Otto Dix verbirgt. Nachdem die Nationalsozialisten Dix, der ihnen als „entarteter Künstler“ galt, 1933 als Kunstprofessor in Dresden entlassen hatten und sein Anwesen in Düsseldorf zwangsversteigert wurde, zog er mit seiner Familie an den Bodensee – zuerst ins Schloss Randegg und ab 1936 nach Hemmenhofen.
Bis zu seinem Tod 1969 blieb Dix am See, doch so richtig heimisch wurde der ostdeutsche Großstädter dort nie: „Ein schönes Paradies. Zum Kotzen schön. Ich gehöre doch nicht dahin, ich müsste in der Großstadt sein. Ich stehe vor der Landschaft wie eine Kuh“, lautet ein überlieferter Ausspruch des Malers.
„Nichts vom sogenannten geistigen Leben Mannheims“: Ludwigshafen
Ebenfalls kein klassischer Reisebericht ist vom Ludwigshafener Philosophen und Publizisten Ernst Bloch überliefert. 1933 flieht der Jude und Marxist vor den Nazis zunächst in die Schweiz und dann in die USA.
In einem 1928 publizierten Essay vergleicht er die Arbeiterstadt Ludwigshafen mit dem bürgerlichen Mannheim auf der anderen Rheinseite. Ludwigshafen sei „hässlich, geschichtslos, gegründet durch Chemie“ und habe „nichts vom sogenannten geistigen Leben“ Mannheims, lästert er.
Doch eigentlich schwingt in diesen bösen Zeilen eine gewisse Bewunderung mit, die Erfahrung, die er mit den städtischen Gegensätzen gemacht hat, bezeichnet Bloch als prägend.
Ludwigshafen, das rund 90 Jahre später vom Satiremagazin Extra3 zur „hässlichsten Stadt Deutschlands“ gekürt wird, bezeichnet Bloch im Vergleich zu Mannheim als „ehrlicher“: „Orte wie Ludwigshafen sind“, so Bloch, „die ersten Seestädte auf dem Land, fluktuierend, aufgelockert, am Meer einer unstatischen Zukunft“.
Hübsch hässlich hier – Die etwas andere Ludwigshafen-Führung von Helmut van der Buchholz
Bei aller Lästerei, sei es von Reisenden oder heimatlos Gewordenen, wird aber eines klar: Es muss nicht alles glänzen, was schön ist. Und es muss nicht alles gefallen, was glänzt.
Der Südwesten jedenfalls hat vieles zu bieten. Und am Ende liegt es immer im Auge des Betrachters, ob eine Stadt als schön oder hässlich wahrgenommen wird. Hauptsache, man macht sich davon selbst ein Bild.