SWR2 lesenswert Kritik

Marlen Hobrack – Schrödingers Grrrl

Stand
Autor/in
Jonathan Böhm

Mara Wolf, Schulabbrecherin und Hartz-IV-Empfängerin, bekommt das Angebot, eine Autorin zu mimen und wird dabei zu einer Hochstaplerin wider Willen. In ihrem Debütroman erzählt Marlen Hobrack von einem veritablen Buch-Betrug.

Das Cover ist schlicht: ein pinkes Leopardenmuster, darauf der Titel »Schrödingers GRRRL« mit drei R. So als sollte gleich doppelt auf die Raubkatze als Symbol für den Widerstand und die feministischen Riot Grrrls angespielt werden, eine Bewegung, die in den späten 80er und frühen 90er Jahren ihren Protest vor allem gegen die Männerdominanz in der Musikwelt richtete.

Marlen Hobracks Hauptfigur Mara Wolf ist allerdings alles andere als ein Riot Girl: Sie wohnt in Dresden, ist Anfang zwanzig und depressiv. Seit ihrem Schulabbruch lebt sie von Hartz-IV und verbringt ihre Tage mit Online-Shopping, mit dem Daten von Männern und dem Posten von Modebildern auf Instagram. Sie träumt davon, eines Tages eine berühmte Influencerin zu sein.

Unterbrochen wird ihre phlegmatische Routine nur von gelegentlichen Besuchen beim Jobcenter, wo sie den Sachbearbeitern glaubhaft zu machen versucht, warum sie auf keinen Fall einer geregelten Arbeit nachgehen kann. Ansonsten tut sich in ihrem Leben nichts. Ähnlich wie Schrödingers Katze, auf die der Titel ja anspielt, ist sie zur selben Zeit lebendig und gleichzeitig wie tot.

Bis sie auf einer Party den PR-Agenten Hanno kennenlernt. Der ist von Maras phlegmatischer Art so begeistert, dass er sie überredet, sich als Romanautorin auszugeben. Denn Benjamin Richter, ein alter weißer Mann und eben auch Schriftsteller, glaubt nicht mehr daran, dass sein neuester Roman so erscheinen kann und Erfolg haben wird, wenn er ihn unter seinem eigenen Namen veröffentlicht. Man will dem Literaturbetrieb ein Schnippchen schlagen und erfindet für Mara eine komplette Autorinnenbiographie, die gerade deshalb besonders authentisch wirken soll, weil die Fake-Autorin scheinbar von ganz unten kommt.

Anfangs ist Mara noch zögerlich und sehr skeptisch gegenüber dem Mittfünfziger Hanno, seinen Eitelkeiten und seiner Art, Mara zwar einerseits zu vermarkten, aber auch immer wieder zu demütigen. Nach und nach jedoch arbeitet sie sich immer mehr in ihre Rolle ein und findet am Ende sogar Gefallen daran. Nicht nur dass sie plötzlich über viel mehr Geld verfügt, sie ist nun vor allem eines: endlich berühmt, wenn auch bloß als Autorin und nicht als Instagram-Star.

Was zunächst wie eine Klischeegeschichte erscheint, erweist sich im Laufe der Lektüre als ziemlich intelligent konzipiertes Spiel. Denn Marlen Hobrack siedelt die Erzählung auf zwei Ebenen an: In einigen Kapiteln spricht Mara Wolf selbst, also aus der Ich-Perspektive, dann wieder schauen wir ihr bloß über die Schulter. Beide Perspektiven ergänzen sich und spielen auch darauf an, dass die Sicht Maras vielleicht nur eine Erzählung verschachtelt in einer anderen ist, weil das Mara-Ich schließlich auch die von Benjamin Richter erfundene Autorin sein könnte.

Und dann ist da noch der Umstand, dass dieser Roman, der von einem Fake-Debüt handelt, in Wirklichkeit ja Marlen Hobracks eigenes Debüt ist. So wird die Handlung immer noch einmal aus einer anderen Position betrachtbar. Die klischeehafte Überzeichnung ist dabei ein ausgezeichnetes Mittel, um Fragen aufzuwerfen: Wie wichtig ist Authentiziät eigentlich? Was bedeuten so flüchtige Trends, wie zum Beispiel der aktuelle Hype um die »Autofiktion«, das Schreiben über sich selbst, worauf Hobrack hier satirisch anspielt.

Souverän ist es, wie die Autorin die verschiedenen Fäden der Handlung entspinnt und zusammen hält: Die Psychotherapie, die Mara beginnt, um den Ursachen ihrer Depression auf die Spur zu kommen, Maras »amour fou« mit dem Engländer Paul, der zur Obsession wird, Mara als gefeierte Newcomer-Autorin, ihre Beziehung zu ihrer Mutter, die von Entfremdung und einem vorsichtigen Sich-wieder-Finden geprägt ist, und nicht zuletzt die Beziehung zu ihren Freunden, die alle von dem Buch-Betrug nichts wissen.

Erzählt ist das alles in einem sehr angenehmen Tempo, in einer unauffälligen, aber präzise gearbeiteten Sprache, die nur an wenigen Stellen ein besseres Lektorat hätte vertragen können. Dennoch: Man möchte das Buch fast nicht aus der Hand legen, so eine Sogwirkung entfaltet es beim Lesen, weil Hobrack bis zum Schluss geschickt und wohldosiert offenlässt, wie es denn jetzt weitergeht und ob Mara nicht doch noch auffliegt.

Stand
Autor/in
Jonathan Böhm