Vom 26. bis zum 30. Juni findet in Klagenfurt das Wettlesen um den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmannpreis statt. 14 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, der Schweiz und Österreich präsentieren ihre Texte live vor Publikum im ORF-Fernsehstudio. Dabei ist auch der in Sarajevo geborene und heute in Kaiserslautern lebende Tijan Sila, der zum Favoritenkreis zählt.
Neben dem Hauptpreis werden noch diverse weitere Auszeichnungen verteilt, wie den mit 7.000 Euro dotierten Publikumspreis. Den Vorsitz der Bachmann-Jury hat erstmals der Grazer Germanist Klaus Kastberger in der Nachfolge von Insa Wilke übernommen.
Ein literarischer Lebenslauf sticht heraus: Der Schriftsteller Tijan Sila
Viele Autorinnen und Autoren, die in diesem Jahr beim Bachmannwettbewerb in Klagenfurt teilnehmen, sind dem breiten Publikum wohl eher nicht bekannt. Ein literarischer Lebenslauf aber sticht heraus: Der in Sarajevo geborene und heute in Kaiserslautern lebende Tijan Sila war zehn Jahre alt, als er 1992 den tödlichen Beschuss und die Belagerung Sarajevos durch Einheiten der Serben erlebte.
Zur Buchkritik von „Radio Sarajevo“:
SWR2 lesenswert Kritik Tijan Sila – Radio Sarajevo
Der 1981 in Sarajevo geborene Tijan Sila kam 1994 als Kriegsflüchtling nach Deutschland. Heute arbeitet er als Lehrer in einer Berufsschule in Kaiserslautern.
In seinem vom Feuilleton hochgelobten Roman „Radio Sarajevo“ erzählt Sila dann auch vom Überleben in einer zerstörten Stadt, in der es galt, Habseligkeiten der Geflohenen und Gestorbenen zu sammeln, um sie auf dem Schwarzmarkt gegen Nahrung einzutauschen.
Sila kam 1994 als Kriegsflüchtling nach Deutschland, studierte Germanistik und Anglistik in Heidelberg. Inzwischen hat er sich zu einem Schriftsteller entwickelt, der präzise und eindringlich über den Krieg zu erzählen weiß, ohne sich in Pathos oder politischer Propaganda zu ergehen.
Tijan Sila sagt über seine Kindheit im Krieg: „Je weiter der Krieg voranschritt, desto mehr waren unsere Eltern eingebunden in diese ganzen Überlebensaufgaben. Die Väter waren an der Front, die Mütter standen stundenlang Schlange bei einer humanitären Organisation. Das bedeutete, dass wir Kinder über Stunden unbeaufsichtigt waren. Unsere Siedlung war gut geschützt. Das war ein Plattenbau-Karree. Vier Gebäude, die ein Rechteck bilden. Und innerhalb dieser Mauern war es relativ schwierig, uns zu beschießen, außer man stand in einer der Zufahrtsstraßen, da waren wir für Scharfschützen sichtbar.“
Der Schriftsteller Sila, der inzwischen auch als Lehrer an einer Berufsschule arbeitet, hat in diesen konfliktgeprägten Zeiten gute Chancen, einen der Preise beim Wettlesen am Wörthersee zu gewinnen.
Das wäre auch dem für die Klagenfurter Debatte inzwischen unverzichtbaren, weil immer diskussionsfreudigen Juror Philipp Tingler zu wünschen, der Sila zum Bachmannwettbewerb eingeladen hat.
Neuerungen in der Bachmannpreis-Jury
Neu in der Jury ist die 1981 in Zürich geborene Journalistin Laura de Weck, die den „Literaturclub“ des Schweizer Fernsehens moderiert.
Den Vorsitz der Jury übernimmt erstmals der Grazer Germanist Klaus Kastberger in der Nachfolge von Insa Wilke. Der wortgewandte und immer auch selbstironische Kastberger weiß um seine Rolle als langgedienter Juror und Akademiker an der Pensionsgrenze.
Er nimmt´s gelassen: „Ich bin mittlerweile fast das Fossil der Jury. Das bringt mich in eine spezielle Rolle. Ich werde auch zunehmend als Professor angesprochen, was mir im Kulturbetrieb sonst nie passiert. Das geht gerade noch, zu viel Ahnung von Traditionslinien zu haben. Wir treten langsam in das Zeitalter ein, wo wir uns nicht für das Nichtwissen, sondern wo wir uns für das Wissen schämen müssen.“
Ferdinand Schmalz hält Rede zur Literatur
Der österreichische Romanautor und Dramatiker Ferdinand Schmalz kennt sich in der literarischen Tradition ebenfalls gut aus, und er wird auf die für ihn typische, nämlich skurrile Art und Weise den inhaltlichen Auftakt des Wettbewerbs bestreiten. Der Bachmannpreisträger aus dem Jahre 2017 hält die „Rede zur Literatur“, auf die sich in den Jury-Diskussionen traditionell oft bezogen wird. „Hoppla, die Leberwurst“ lautet die Überschrift des Vortrags, über den ansonsten nichts bekannt ist.
Ob Schmalz es schaffen wird, mit seiner heiteren Rhetorik auch die Stimmung des Festivals zu prägen, ist eine spannende Frage. Zu befürchten ist aber, dass außerliterarische Ereignisse wie der Kampf Israels gegen die Hamas thematisiert werden und sich auch in Klagenfurt pro-palästinensische Aktivisten mit Störaktionen und Solidaradressen zu Wort melden.
Immerhin schickt das Jury-Mitglied Mithu Sanyal nahezu täglich äußerst einseitige Tweets in den ressentimentgeladenen Hallraum der sozialen Medien, um sich im bizarren Gefecht um die Deutungshoheit des Nahost-Konflikts auch im deutschsprachigen Kulturbetrieb zu positionieren.
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Kadmos Verlag, 214 Seiten, 14,90 Euro
ISBN 978-3-86599-216-1