Vom TikTok-Trend zum Feindbild

Wie die AfD „Talahon“ zum Jugendwort des Jahres pushen könnte

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Autor/in
Lydia Huckebrink
Lydia Huckebrink, Autorin SWR Kultur

AfD-nahe Aktivisten rufen auf Social Media dazu auf, für „Talahon“ als Jugendwort des Jahres zu stimmen. Die Neue Rechte hat längst erkannt, dass der Begriff zum Codewort für ausländerfeindliche Propaganda taugt. Doch was meint der Begriff und was sagt der Langenscheidt-Verlag dazu?

"Talahon" auf TIkTok
Markenbewusst und angriffslustig: So zeigen sich „Talahons“ auf TikTok.

Blitzkarriere für den „Talahon“

Kein Zweifel: Die Redaktion des Langenscheidt-Verlags hat ins Schwarze getroffen, als sie „Talahon“ für das Jugendwort des Jahres nominierte.

Schließlich dominiert der Begriff seit Monaten die For-You-Pages der TikTok-Generation, sorgt für Schlagzeilen in den Feuilletons aller großen Medien und schafft es sogar mit dem KI-generierten Song „Verknallt in einen Talahon“ in die Deutschen Singlecharts.

AfD-Strategen raten zur Abstimmung

Auch die AfD ist über die Wahl begeistert. Erik Ahrens zum Beispiel. Der TikTok-Chefstratege der Partei jubelt, als er die Nominierungsliste sieht.

Noch am selben Tag mobilisiert er auf Social Media seine Follower, für „Talahon“ als Jugendwort des Jahres abzustimmen. Er findet: Der Trend ist ein Glücksfall für die Neue Rechte.

Gucci-Cap, Skinny Jeans, süßes Parfüm

Warum interessiert sich die AfD für das Jugendwort des Jahres? Dafür muss man verstehen, was ein „Talahon“ überhaupt ist. Wer die letzen Wochen medial im Sommerurlaub verbracht hat: Auf TIkTok finden sich unzählige Videos, die genau das erklären.

Zu sehen sind junge Männer, meist mit Migrationshintergrund, die mit Markenklamotten, engen Jeans und dicken Silberketten durch deutsche Großstädte laufen und auf Gangster machen.

Talahon, das ist eine bestimmte Art, sich zu kleiden und in der Öffentlichkeit zu verhalten. Es gibt keine feststehende Definition. Accessoires, die man dem Talahon gerne zuschreibt: Gucci-Cap, Luis-Vuitton-Bauchtasche und der tiefe, fein ausrasierte Seitenscheitel.

Hassan zeigt uns seine Welt

„Talahon, ich geb dir ein Stich, bin der Patron“: Mit dieser Line aus einem Song des dann noch unbekannten Hagener Rappers Hassan fing der Trend an. Das Wort Talahon ist dem Arabischen entlehnt und heißt: „Komm her.“

Ganz harmlos eigentlich, doch Hassan deutet den Satz zur Drohung um. Im Videoclip zeigt er seine Großstadt-Gang, gibt sich kriminell, flext mit seinen Waffen: Wer ein Problem hat, der soll nur herkommen.

Selbstironisch bis satirisch

Seitdem dient dieser Songschnipsel als Hintergrundmusik für unzählige Schattenbox-Choreografien junger Männer auf TikTok, die sich, mal voller Stolz, mal selbstironisch, mit dieser sozialen Figur identifizieren.

Das ist nicht alles ernst gemeint. Vieles ist Satire. Es gibt genauso viele Inhalte, die sich über den Trend lustig machen.

Der Begriff beschwört ein Feindbild

So schwankt der Begriff Talahon ständig zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung. Der Trend suggeriert, einen Einblick zu geben in eine marginalisierte, migrantische, urbane Subkultur. Auf die einen wirkt das verbindend.

Andere jedoch fühlen sich bedroht. Denn mit seiner Gewaltverherrlichung und der überzogenen Maskulinität triggert der Trend Ängste – ob nun ironisch gemeint oder nicht.

„Ist Talahon ein Synonym für Vollassi?“

Auf den Boden spucken, mit Waffen flexen, frauenfeindliche Sprüche klopfen: „Ist Talahon ein Synonym für Vollassi?“, fragt jemand in den Kommentarspalten von TikTok.

„Talahon ist das neue K*-Wort“, warnen TikToker*innen, ein neuer Freifahrtsschein für Rassismus. Denn: Jeder ausländisch gelesene Jugendliche der auf Markenklamotten steht und Gangsterrap mag, kann in diese Schublade gesteckt werden.

Talahon
Social-Media-Experten warnen, dass „Talahon“ der neue Kampfbegriff für Ausländerhass werden könnte.

Ein gefundenes Fressen für die Neue Rechte. Sie hat den Begriff längst für ihre fremdenfeindlichen Ziele gekapert und zum Kampfbegriff für Ausländerhass gemacht.

Gefundenes Fressen für Rechtsextreme

In Propagandavideos wird „Talahon“ mit Begriffen wie „Remigration“, „Deportation“ oder „Mediterranisierung“ in Verbindung gebracht  – Vokabular der rechten Überfremdungs- und Abschiebefantasien. In Kommentarspalten tummeln sich fremdenfeindliche Sprüche, oft gepaart mit blauen Herzen – das Symbol der AfD-Sympathisanten.   

Rechtskonservative Kanäle fordern die Abschiebung aller Talahons, die AfD-Fraktion Hamburg führt in ihren Social-Media-Kanälen Jugendliche als „Talahon-Prachtexemplare“ vor. Rechtsextreme Influencer posten „Ausländer raus“-Videos aus Sylt - unterlegt mit Hassans „Talahon“-Rap.

Langenscheidt-Verlag verfolgt die Diskussionen

Die Entwicklung ist auch dem Langenscheidt-Verlag nicht entgangen, der den Begriff ins Rennen um das Jugendwort des Jahres geschickt hat. „Wir verfolgen die Diskussionen um kontroverse Begriffe selbstverständlich in allen Medien, vor allem in den Social Media“, sagt Marketingchef Nikolas Hoenig. Die Nominierung hält der Verlag nach wie vor für berechtigt.

Schließlich entwickle sich Jugendsprache schnell und dynamisch und die Bedeutung des Begriffs Talahon sei noch nicht eindeutig abgeschlossen, „was sich auch daran zeigt, dass er auch weiterhin zur Selbstbeschreibung genutzt wird.“

„Talahon“ ist für die AfD ein Glücksfall

Erik Ahrens jubelt. „Talahon ist das beste seit langem [sic]“, schreibt der rechtsextreme Aktivist auf X, als die Nominierungsliste zum Jugendwort des Jahres bekannt wird. „Wir haben jetzt das perfekte Wort, das alles zusammenfasst.“

Erik Ahrens hat die Social-Media-Strategie der AfD mit aufgebaut. Er hat wie kein zweiter in der Szene einen Riecher dafür, wie man TikTok nutzt, um rechtsexteme Botschaften in den Köpfen junger Wähler festzusetzen.

Die AfD ist auf TikTok der Platzhirsch

TikTok ist für die Neue Rechte das mit Abstand wichtigste Propagandainstrument. So war Erik Ahrens einer der Teilnehmer der geheimen Tagung Rechtsextremer in Potsdam, die in Januar im ganzen Land zu Schlagzeilen führte. Das zeigt: Die AfD nimmt die Bedeutung der Plattform für ihre Strategie sehr ernst.

Der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah
Von einer TikTok-Reichweite von AfD-Politikern wie Maximilan Krah träumen Politiker*innen aller anderen Parteien.

Um inhaltliche Zensur auf Social Media auszutricksen und Reichweite künstlich zu erhöhen, hat Ahrens die „TikTok-Guerilla“ ins Leben gerufen – eine Schar neurechter Aktivisten und AfD-Sympathisanten, die Videos mit AfD-nahen Inhalten auf TikTok gezielt viral gehen lässt.

Wie man Popkultur kapert

Ahrens weiß also, wie man erfolgreich orchestrierte Social-Media-Kampagnen führt. Auf X ruft er seine Follower*innen dazu auf, für „Talahon“ als Jugendwort des Jahres zu stimmen und den Slogan „Deutschland ohne Talahons“ zur künftigen Wahlkampfstrategie zu machen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Neue Rechte ein popkulturelles Produkt der Mehrheitsgesellschaft für ihre rechtsextremistische Propaganda vereinnahmt. Zuletzt geschehen mit Gigi D'Agostinos Partyhit „L'amour toujours“ von 1999, dessen eingängig-unschuldigen Refrain die Bewegung in wenigen Monaten zum unmissverständlichen Nazi-Code umgedeutet hat.

„Döp“ und „Stolzmonat“ ausgeschlossen

Übrigens, auch die Silbe „Döp“ stand zur Auswahl für die Jugendwort-Nominierungsliste 2024, wie der Verlag aus Transparenzgründen auf seiner Website bekannt gibt. Ebenso wie „Stolzmonat“, ein weiterer Begriff der Neonazi-Propaganda.

Der Langenscheidt-Verlag, der die Liste kuratiert, hat diese Begriffe ausgeschlossen. Begründung: unzulässige Kampagnenführung einzelner Personen.

Langenscheidt will nicht vorschnell zensieren

Denn die Nominierungsliste generiert sich aus der Summe der Vorschläge, die aus der Bevölkerung kommen. Außerdem hätten Ausdrücke mit rassistischem Bezug in der Liste nichts zu suchen.

Man behalte sich eine Streichung auch beim Begriff „Talahon“ vor, falls der Ausdruck klar in die rechte Ecke abdrifte, so Nikolas Hoenig vom Langenscheidt-Verlag, „eine Streichung zum jetzigen Zeitpunkt würde aber dem Vorwurf der Zensur Vorschub leisten.“

Bevor am 19. Oktober das Jungendwort des Jahres bekannt gegeben wird, wird ab dem 10. September erst noch über die Top-3 abgestimmt. Wie es für den „Talahon“ weitergeht, bleibt abzuwarten.

Zur TikTok-Strategie der AfD

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Fast ein Viertel der 14- bis 29-Jährigen würde laut einer Jugendstudie die AfD wählen – eine beunruhigende Erkenntnis, die viele Fragen aufwirft. Eine davon ist die Rolle von TikTok, wo zwei Drittel der jungen Wählerschaft aktiv sind.

Die Plattformlogik, die auf Dualismus, emotionalisierten Inhalten und komprimierten Botschaften basiert, könnte der AfD in die Hände spielen. Mit 400.000 Followern nimmt die Partei eine dominante Stellung auf TikTok ein, während andere Parteien versuchen, nachzuziehen. Doch wie kann man dort authentisch und überzeugend kommunizieren?

Diese und weitere Fragen diskutieren wir mit Marina Weisband. Sie ist Publizistin, Digitalpolitikerin, Psychologin und bekannt als ehemalige Sprecherin der Piratenpartei, Nun engagiert sie sich bei den Grünen.

Johannes Hilje, Berater für Politik und Kommunikation, betont die Wichtigkeit für andere Parteien, ebenfalls auf TikTok präsent zu sein. Ein Feld kampflos der AfD zu überlassen, sei riskant. Wichtig sei es, Emotionen zu wecken und demokratische Werte zu kommunizieren – eine Herausforderung.

Habt ihr bereits Inhalte der AfD auf TikTok gesehen? Was haltet ihr davon?
Schickt uns eure Meinungen per E-Mail an kulturpodcast@swr.de.

Host: Christian Batzlen
Showrunner: Stephanie Metzger

Links:
Marina Weisband https://marinaweisband.de/
Joannes Hilje: https://johanneshillje.de/blog/

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