Das Ziel der AfD lässt sich in einem sieben Sekunden langen Video erklären. Darin zu sehen: Miguel Klauß, AfD-Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, der die Tür eines Vans mit Parteiwerbung zuschlägt und dann auf die Kamera zuläuft. Was die wichtigste Aufgabe für eine AfD-Regierung wäre, wird er gefragt. "Ein Wort: Abschieben", sagt Klauß.
Das Video hat der Landtagabgeordnete aus Nagold (Kreis Calw) bereits im vergangenen September auf TikTok veröffentlicht. Es gehört mit rund 420.000 erreichten Accounts zu seinen reichweitenstärksten. Zum Durchbruch hat ihm aber der "AfD-Abschiebekalender" verholfen, wie er dem SWR gegenüber versichert. Klauß verloste unter seinen Followern zu Weihnachten einen Kalender, auf dem zwölf Abschiebeflugzeuge abgebildet sind. Mittlerweile folgen seinem Kanal rund 235.000 Menschen.
Andere Parteien können auf TikTok nur schwer mithalten
Der AfD-Abgeordnete erzeugt mit rechten Parolen viel Aufmerksamkeit auf TikTok - wie auch viele andere aus seiner Partei. Unter den bundesweit zehn bekanntesten TikTok-Accounts von Politikerinnen und Politikern sind neben Miguel Klauß fünf weitere AfD-Abgeordnete. Die Followerzahlen gehen bundesweit betrachtet nicht selten in den sechsstelligen Bereich, wie etwa bei den Bundestagsabgeordneten Alice Weidel (264.000) und Martin Sichert (155.000).
Andere Parteien können da nur schwer mithalten. Das zeigt der Blick nach Baden-Württemberg. Während der AfD-Landtagsfraktion rund 21.000 Menschen folgen, haben CDU, SPD, und Grüne entweder gar keinen Kanal oder einen, der nur sehr wenige Follower hat. Den Sozialdemokraten folgen beispielsweise gerade einmal 995 Accounts.
Dabei liegt TikTok voll im Trend. Die Nutzungszahlen in Deutschland steigen von Jahr zu Jahr. Immer öfter nutzen vor allem junge Menschen die Social Media-Plattform aus China, die mit Quatsch- und Tanzvideos bekannt wurde.
AfD wirbt auf TikTok für die Wählerstimmen von morgen
Mittlerweile zeigt die AfD aber, dass man auf TikTok auch politische Botschaften mit viel Reichweite vermitteln kann. Die Partei erreicht mit authentisch wirkenden Videos vor allem die jüngeren Generationen - und macht so Werbung für die Wählerstimmen von morgen: "Auf TikTok sind die jungen Leute. Wenn man die erreichen will, dann ist es schon wichtig für Parteien, Kandidatinnen und Kandidaten dort zu sein", sagt der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger von der Uni Hohenheim.
Der neueste BW-Trend zeigt: Die AfD käme aktuell auf 18 Prozent der Wählerstimmen. Das sind zwei Prozentpunkte weniger als im September 2023. Wie hoch der Anteil der jungen Wählenden ist, geht aus den Zahlen nicht hervor. Aber ein Blick in die Nachbarbundesländer lohnt sich, um einen Trend zu erahnen.
Bei den vergangenen Landtagswahlen in Bayern und Hessen verzeichnete die AfD deutliche Zuwächse bei jüngeren Altersgruppen. In Bayern gaben 16 Prozent der 18- bis 24-Jährigen ihre Stimme der rechtspopulistischen Partei. Das ist ein Anstieg von neun Prozentpunkten im Vergleich zur Landtagswahl 2018. In Hessen war der Zuwachs ähnlich: Dort gaben 18 Prozent der 18-24-Jährigen ihre Stimme der AfD, ganze acht Prozentpunkte mehr als 2018. Andere Parteien, vor allem die Grünen, haben in dieser Altersgruppe an Stimmen verloren. Zeitigt die Arbeit der AfD auf Plattformen wie TikTok also Erfolge?
TikTok und AfD: Einfache Botschaften verbreiten sich in Videos
Einen Zusammenhang zwischen dem Wahlerfolg und dem Engagement auf TikTok darzustellen, sei schwierig, sagt Schweiger. Klar sei, dass jüngere Menschen nicht weniger anfällig für populistische Aussagen seien als ältere. Deshalb spiele das durchaus eine Rolle. Und gerade weil die AfD eine populistische Partei sei, die mit "Sündenbock-Anschuldigungen" und "simplen Lösungsvorschlägen", arbeite, ist sie laut Schweiger sehr aktiv auf TikTok. "Solche einfachen Botschaften lassen sich über die kurzen Videos einfach sehr, sehr gut verbreiten."
Fragt man den AfD-Abgeordneten Miguel Klauß aus Nagold (Kreis Calw), was die AfD besser macht als die anderen Parteien, sagt er: "Die Altparteien reden fünf Minuten, sagen aber nichts. Wir von der AfD haben das besser im Blut." Nach diesem Prinzip schneide er seine Reden und andere Videos für TikTok.
"FDP, eine unnötige Partei", heißt beispielsweise ein Video auf dem Kanal von Klauß, in dem er darüber spricht, weshalb die Liberalen ihre Wählerschaft verraten hätten. Die meisten Videos sind recht simpel und ohne großen Aufwand gestaltet, oft prangt ein provokanter Titel auf dem Vorschaubild. Klauß spricht mal direkt in die Kamera, mal sieht man ihn im baden-württembergischen Landtag sprechen, wie er den "Grünen Verkehrsminister zerlegt". Ähnlich ist das bei seinem Parteikollegen und Landtagsabgeordneten Ruben Rupp (rund 32.000 Follower), der in seinen Videos oft vor einer Deutschland-Flagge sitzt.
Politische Botschaften mischen sich unter unterhaltsamen Content
Bedenklich findet der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler, dass TikTok - im Vergleich zu Facebook und Instagram - eine gewisse "Unbedarftheit" auszeichne. Im Grunde sei es eine Spaß-Plattform, die jungen Menschen zur Unterhaltung diene. Immer wieder werden im Feed aber auch politische Inhalte ausgespielt, beinahe "unauffällig", so Schweiger. "Das Beunruhigende auf TikTok ist, dass - etwas überspitzt gesagt - arglose junge Menschen mit populistischen Botschaften ständig erreicht werden und oft gar nicht wissen, wo diese herkommen."
Der Erfolg der AfD auf TikTok liegt nämlich nicht nur an der Partei selbst. Sogenannte Dritt-Accounts, die nicht von der AfD betrieben werden, reproduzieren die Inhalte. Oft ist unklar, wer hinter den Accounts steckt. Sie dienen als Multiplikatoren, die AfD-Inhalte tausendfach teilen und so immer weiter auf TikTok verbreiten. Auf diese Weise entstehe ein "Kosmos" an populistischen Aussagen, die sich aufeinander beziehen und überzeugend auf junge Leute wirken können, so Schweiger.
Dass die Partei zumindest Interesse daran hat, ihr Engagement auf der Plattform weiter auszubauen, ist spätestens seit einem Geheimtreffen in Potsdam bekannt. Bei dem Treffen zwischen hochrangigen AfD-Politikern und Rechtsextremen ging es laut einer "CORRECTIV"-Recherche auch um die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland. Demnach wurden auch Pläne für eine Agentur aus rechten Influencern diskutiert, die solche politischen Inhalte auf den sozialen Medien streuen. Vor allem auf die Wahlentscheidung junger Menschen soll so Einfluss genommen werden. Im Zentrum des Projekts: TikTok.