Carpaccio beobachtet das Treiben in Venedig
Vittore Carpaccio war ein genauer Beobachter. Die Fachliteratur spricht bei seinen Bildern gar gerne vom „Augenzeugenstil“. Der Künstler scheint oft in den Straßen Venedigs unterwegs gewesen zu sein, wo er die Menschen in ihrem Alltag zeichnete.
„Carpaccio war bestrebt, etablierte Motive immer weiterzuentwickeln und sie in der damaligen Lebenswelt zu verorten“, beschreibt eine der beiden Stuttgarter Ausstellungskuratorinnen, Dr. Christine Follmann, die künstlerische Handschrift des venezianischen Malers. Bei ihm sind auch Figuren aus der Bibel nach der neuesten venezianischen Mode gekleidet und frisiert.
Auftragsarbeiten für Venedigs Scuole
Über Vittore Carpaccios Ausbildung ist wenig bekannt. Kunsthistoriker nehmen an, dass sein Stil im Umfeld des Malers Giovanni Bellini geprägt wurde, einem der Begründer der venezianischen Malerschule der Frührenaissance.
Carpaccio wird einer der meistbeschäftigten Maler seiner Zeit. Sein ganzes Leben lang steht er im Dienst der sogenannten „Scuole“ – geistliche und karitative Bruderschaften, die im gesellschaftlichen Leben Venedigs eine bedeutende Rolle spielen. Vor allem die acht „großen Schulen“ (scuole grandi) wetteifern dabei für ihre Versammlungshäuser um die prunkvollste Ausstattung.
Sein bedeutendster Bildzyklus erzählt von der heiligen Ursula
Zwischen 1490 und 1500 malt Carpaccio für die heute nicht mehr existierende Scuola di Sant’Orsola seinen ersten und zugleich bedeutendsten Gemäldezyklus: Die Gemälde erzählen die Vita der heiligen Ursula, die sich mit 11.000 Jungfrauen auf eine Pilgerreise nach Rom begibt und auf dem Rückweg mit ihnen in Köln durch die Hand der Hunnen den Märtyrertod stirbt.
In dieser neunteiligen Bilderfolge bezieht sich Carpaccio auf die Stationen der Heiligengeschichte, die den Betrachtern vertraut war. Darunter befindet sich auch ein Bild mit der Seefahrt in der Lagunenstadt.
Alte Musik Carpaccios Soundtrack. Musik im Venedig der Renaissance
Mit dem Sound der Renaissance durch eine Ausstellung flanieren und das Zusammenspiel der Künste erleben - diese Idee hat SWR Kultur mit der Staatsgalerie Stuttgart verwirklicht.
Fleischrot als Markenzeichen
Ein weiteres Schlüsselwerk ist das „Martyrium des heiligen Stephanus“. Carpaccio malt es als Teil eines Stephanus-Zyklus für die Stephanus-Bruderschaft in Venedig. Deutlich zu sehen ist, welche Faszination die Kulturen des östlichen Mittelmeerraums auf den Renaissance-Künstler und seine Zeitgenossen ausübten.
Großzügig verwendet Carpaccio in diesem Bild sein kräftiges Rot, gerne als Fleischrot beschrieben, das er aus getrockneten Schildläusen gewinnt. Für Carpaccio wird diese Farbe zum Markenzeichen: Solche beeindruckend kräftigen Farben herzustellen, galt im 15. Jahrhundert als eigene Kunst, die nur große Maler beherrschten. Ihre Rezepturen hielten die Künstler geheim.
Carpaccio zeigt belesene Frauen
In Carpaccios Werken ist der Geist der noch jungen Renaissance an vielen Stellen spür- und sichtbar. Ganz eindeutig spricht er auch aus den Frauenporträts, die in der Stuttgarter Ausstellung zu sehen sind. „Sie waren zum Teil als Identifikationsfiguren für weibliche Betrachterinnen gedacht“, weiß die Stuttgarter Kuratorin Christine Follmann.
Bildung wird in den Stadtstaaten der Renaissance auch für Frauen von Stand als wichtig erachtet. Vittore Carpaccio setzt die Frauen in seinen Porträts und Marienbildern mit Büchern als Teil der wissensdurstigen venezianischen Gesellschaft in Szene.
In die Szene eintauchen
Ein bisschen ist es wie mit den Wimmelbildern: Carpaccio hatte die Fähigkeit, biblische und historische Themen so lebendig und detailreich zu gestalten, dass man als Betrachter auch heute noch direkt in die Szene eintauchen und sich mit dem Geschehen identifizieren kann.
Sein Sinn für Farbe und Bildkomposition hat die venezianische Malerei maßgeblich beeinflusst. Carpaccios Werke werden in wichtigen Museen und Sammlungen auf der ganzen Welt ausgestellt. Bis heute werden sie für ihre Schönheit und ihre erzählerische Ausdruckskraft geschätzt.