Rechtsmediziner sind im Tatort oft die Sidekicks, die ihre Nebenrolle spielen und ansonsten nicht weiter ins Geschehen eingreifen. Bei den Stuttgarter Kommissaren Lannert und Bootz hat sich ihr Kollege Dany Vogt dagegen in den letzten Fällen mehr und mehr freigeschwommen und wird jetzt sogar zum Protagonisten. Der Fall „Vergebung“ wirft ihn auf die eigene Vergangenheit zurück und sorgt für ein echtes Zerwürfnis mit den beiden Ermittlern.
Flashback des Rechtsmediziners in die eigene Jugend
Der schwäbelnde Rechtsmediziner Daniel Vogt aus dem Stuttgarter Tatort ist eigentlich ein Mustermediziner: sehr genau, nicht zu schnellen Schlüssen neigend, ein Ausbund an Menschlichkeit und Integrität. Auch diesmal tut er scheinbar nur seine Arbeit. Was er verschweigt: Der Tote, der da aus dem Neckar gefischt wurde, ist ein alter Jugendfreund – Matthias Döbele. Der hatte ihm mal einen Liebesbrief geschrieben und nun kurz vor seinem Tod wieder angerufen.
Von der Vergangenheit eingeholt
Man rätselt, warum Dr. Vogt die beiden Kommissarskollegen so hängen lässt. Jedenfalls scheint ihn die Vergangenheit irgendwie einzuholen. Rückblenden in die 80er-Jahre: Friedensmärsche, Basketball, Baden im Neckar in der schwäbischen Provinz. Landleben zwischen Idylle und Identitätskrisen. Döbele hat später die gemeinsame Freundin Sandra geheiratet.
Alte Schuld und neue Gefühle
Thorsten Lannert und Sebastian Bootz sind vom Kollegen ziemlich irritiert, zumal die Frau als Pflegeschwester mit Zugang zu Betäubungsmitteln als Tatverdächtige gilt. Das Versteckspiel aus alter Schuld und wieder entdeckten Gefühlen macht den Reiz des Tatorts aus, was den Rechtsmediziner aber ziemlich stresst, er läuft sogar Gefahr, sich irgendwann darin vollends zu verlieren. Die Mischung aus Sprachlosigkeit, Selbstzweifel und ein Stück weit schwäbischem Trotz bringt Schauspieler Jürgen Hartmann ziemlich gut auf den Punkt. Und dann ist da noch Conrad Ferdinand Meyer.
Bis zum nächsten Sprung in den Neckar
Sein Gedicht „Lethe“ umschreibt den Fluss des Vergessens aus der griechischen Mythologie. Und Wasser ist in diesem Film tatsächlich auch zentrales Element der Bildgestaltung: der Fundort der Leiche, die Spritzer einer angeschnittenen Grapefruit, die feinen Schweißtropfen an der Schläfe. In fast schon hyperrealistischen Aufnahmen kreist der Tatort um das Element – nicht des Lebens – sondern in diesem Fall des Vergessens als Vorstufe des Todes.
Ein Tatort, der in Erinnerung bleibt
Das Konzept des Drehbuchteams Katharina Adler und Rudi Gaul mag dem einen oder anderen als etwas zu hoch gegriffen erscheinen, aber es setzt doch einen gewissen Ton, der den Film von vielen anderen Sonntagabend-Krimis unterscheidet. Auch wenn der Plot sich am Ende nicht ganz organisch fügt, bleibt der Tatort „Vergebung“ in Erinnerung. Auf jeden Fall bis zum nächsten Sprung in den Neckar.
Trailer Tatort „Vergebung“, 19.11. 20:15 Uhr im Ersten und der ARD Mediathek
Beitraäe zum ARD Tatort
Gespräch Die Schauspielerin ChrisTine Urspruch über Diversität und schauspielerische Passion
ChrisTine Urspruch ist eine großartige Schauspielerin mit Charme, Passion und einer starken Ausstrahlung. Natürlich kennen sie die Zuschauerinnen und Zuschauer als beliebtes Fabelwesen SAMS – und seit mehr als 20 Jahren als Rechtsmedizinerin Silke Haller im Tatort Münster an der Seite von Professor Karl-Friedrich Boerne alias Jan Josef Liefers. Aber ChrisTine Urspruch hat ihre Vielseitigkeit immer wieder auch in ganz anderen Rollen unter Beweis gestellt – auf der Bühne und in Film und Fernsehen.