Deutsche Bürokratie trifft auf iranische Tradition

Der Geist der Ahnen: Subversiv-kritische Komödie „Shahid“ von Narges Kalhor

Stand
Autor/in
Rüdiger Suchsland

„Shahid“ beginnt mit einer Traumsequenz im Musicalstil, dann wird der Film zu einer wilden Mischung aus magischem Realismus, comic-artiger iranischer Geschichtentradition, Film-im-Film-Drama und schließlich einer Farce über deutsche Bürokratie.

„Shahid“ bedeutet Märtyrer

Der Geist des Großvaters besucht Narges Shahid Kalhor und erzählt ihr von der ruhmreichen Geschichte einer Familie von islamischen Kämpfern und Kriegern. 

Die Eröffnungsszene erzählt in poetischen Bildern und in Zeitlupe von Narges Obsessionen: Tänzerinnen und Tänzer in schwarzen Gewändern erscheinen nicht nur in ihren Träumen, sondern umgeben sie und folgen ihr auf Schritt und Tritt, selbst wenn sie das Haus verlässt. 

Filmstill
„Shahid“ beginnt mit einer Traumsequenz: Unter anderem begegnen der Hauptfigur Narges Shahid Kalhor Tänzerinnen und Tänzer.

Narges Shahid Kalhor möchte ihren Namen loswerden

Sie sind die Verkörperung der Märtyrerhelden, die sie im Namen ihrer Vorfahren verfolgen, bis hin zu den Ämtern der bayerischen Stadtverwaltung.

An dieser Stelle wird eine lange Liste in Druckbuchstaben auf den Bildschirm getippt: Das sind die Bescheinigungen, die benötigt werden, um einen bürokratischen Prozess in Bayern zu beginnen. Denn die Hauptfigur, die mit der Regisseurin nicht zufällig Ähnlichkeiten verbinden, will den Namen „Shahid“ loswerden.

Filmstill
Die Regisseurin Narges Shahid Kalhor möchte nicht mehr „Shahid“ (Märtyrer) mit Nachnamen heißen und inszeniert eine Schauspielerin als sich selbst, die sich daran machen soll, den Familiennamen zu ändern.

Märtyrer trifft auf die bayerische Bürokratie

Was bedeutet es für ein junge Frau, sich von ihrer Tradition zu lösen? Auf welche Seite sollten wir in den Demokratien des Westens uns stellen? Sollen wir im Namen kultureller Identität, so wie wir sie verstehen, und im Namen von postkolonialen Gewissensbissen die Freiheit des Einzelnen und die Freiheit der heute lebenden Frauen einschränken?

Zwischen Realität und Fiktion, mit Elementen von Theater, Film und Musical spielend, ist „Shahid“ trotz der Komplexität seiner Thematik und Umsetzung ein unterhaltsamer Film, der, ohne je in Didaktik zu verfallen, viele Denkanstöße bietet.

Darüber hinaus untersucht er mit Selbstironie die Schatten der Geschichte, die sich sehr oft hinter einem einfachen Namen verbergen.

 

Filmstill
„Shahid“ ist politisches Drama und verzweifelte Komödie. Es geht um historische Helden, heutige Verbrecher und wie moderne Frauen damit umgehen.

„Shahid“: Eine echte subversiv-kritische Komödie

Mit anderen Worten: Dies ist wirklich einmal der Fall einer deutschen Komödie, die das Wort subversiv und kritisch verdient. Einer Komödie, die nicht einverstanden ist mit dem Bestehenden, die weder konservative Familienideale propagiert, die mit der gelebten Wirklichkeit schon längst nichts mehr zu tun haben, noch naive Idealbilder von Diversität und Multikulti.

Ein Film gegen die Lebenslügen einer Gesellschaft

Diese Regisseurin weiß, worin die böse Macht der Traditionen liegt und was die Unterdrückung von Frauen durch Väter wie Mütter bedeutet.

Auf gelassene, ironische, sehr souveräne Art macht sich dieser Film über die deutsche Bürokratie lustig. Wenn es um die Lebensverhältnisse im Iran und um die Tradition des Islam geht, dann ist die Regisseurin verständlicherweise viel weniger gelassen. Ein Film gegen die Lebenslügen einer Gesellschaft, die immer noch keine Einwanderungsgesellschaft sein will, obwohl sie dies längst ist.

Trailer „Shahid“, ab 1.8. im Kino

SHAHID - Trailer (ab 01. August im Kino)

Mehr iranisches Kino

Gespräch „Leere Netze“ von Behrooz Karamizade: Schaut her, was es für Potenziale im Iran gibt

In seinem Spielfilmdebüt „Leere Netze“ erzählt Regisseur Behrooz Karamizade von einem jungen iranischen Paar, das gerne heiraten will, aber aus Geldgründen nicht kann.

SWR2 am Morgen SWR2

Film Freiheitskampf auf der Judomatte: Sportdrama „Tatami“ erzählt vom Widerstand einer iranischen Judoka

Sport ist nie unpolitisch. In „Tatami“ erzählen Guy Nattiv und Zar Amir Ebrahimi, wie das Regime in Teheran Druck auf eine iranische Spitzensportlerin ausübt, nicht gegen eine Athletin aus Israel anzutreten.

SWR Kultur am Morgen SWR Kultur

RomCom aus dem Iran „Ein kleines Stück vom Kuchen“: Über die Suche nach Liebe im Alter

Die 70-jährige Mahin lebt allein in Teheran. Doch sie möchte sich wieder verlieben. Auch wenn die iranische RomCom unbeschwert wirkt, enthält sie Systemkritik - für das Regie-Duo nicht ungefährlich.

SWR Kultur am Morgen SWR Kultur

Stand
Autor/in
Rüdiger Suchsland