Wie war der geniale Modeschöpfer, bevor er zur Kunstfigur mit Puderzopf, Sonnenbrille und Gehstock wurde? „Becoming Karl Lagerfeld“ ist eine bildstarke und stimmungsvolle Tour durch die 70er-Jahre, in denen Lagerfeld versucht, in Paris Fuß zu fassen. Die Produktion zeigt auch, warum Serien aus der Modewelt gerade so angesagt sind: Die Verbindung aus atemberaubenden Kostümen, Zeitgeist und schillernden Individuen zieht einfach.
Der Hang zum Glamour blitzt schon durch
Den ernsten Blick mit den schmalen Lippen hat er schon, Sonnenbrille und Dreiteiler mit Halstuch vermitteln Unnahbarkeit, gleichzeitig lassen der dunkle Vollbart und die roten Lederstiefel einen Hang zum Glamour durchblitzen. Anfang der 70er umgibt Karl Lagerfeld eine geheimnisvolle Aura, die den Dandy Jacques de Bascher auf ihn aufmerksam macht. Es dauert eine ganze Weile, bis sich zwischen den beiden eine Liebesbeziehung entwickelt.
Einzelgänger und aufstrebender Modedesigner in Paris
Lagerfeld ist in vielen Dingen Einzelgänger. Lebt mit seiner Mutter zusammen, gilt zwar als einer der aufstrebenden Modedesigner der Stadt, hat aber keine eigene Firma, sondern arbeitet hier und dort, vor allem für Fendi und Chloe und eben nicht in der Haute Couture, sondern Pret-á-porter, sprich: nicht maßgeschneidert, aber frisch und immer noch exklusiv genug für die wohlhabenden Pariserinnen. Damit verdient er viel Geld, sieht sich aber gegenüber Künstlern wie seinem Ex-Kompagnon und zunehmenden Rivalen Yves Saint-Laurent im Nachteil.
Während der Gigolo Jaques mit Yves eine toxische Affaire anfängt, fordert Lagerfeld auf seine Weise die Platzhirsche heraus, vor allem den gestrengen Pierre Bergé. Die Modebranche verändert sich: die Gewichte verschieben sich hin zu einer globalen Massenindustrie, andere Märkte wie Parfums werden nötig, um die exklusiven Schnitte und Stoffe zu finanzieren. Und die Serie erzählt Lagerfeld als durchaus widersprüchlichen Moderator und ideenreichen Profiteur des Übergangs.
Daniel Brühl überzeugt als Kaiser Karl
Die große Leistung von Daniel Brühl ist es, dass er dem historischen Lagerfeld in Blicken und Sprachduktus nicht nur nahe kommt. Er macht sich darüber hinaus dessen Suche nach einem unverwechselbaren Stil zu eigen, seinen Kampf um Anerkennung in der Welthauptstadt der Mode, seine geistige Offenheit bei schon fast aristokratischer Selbstdarstellung.
Gleichzeitig zeigt er ihn als einen, der sich aus Angst vor Kontrollverlust eine emotionale Rüstung aneignet, mit der er selbst immer wieder zu kämpfen hat.
Serien aus der Modewelt sind en vogue
Ob es sinnvoll ist, die erratische Figur Lagerfeld durch ein Auf und Ab der Love Story, durch mehr oder weniger geglückte Intimitäten sinnlich fassbarer machen zu wollen, und dabei seine lispelnde Leichtigkeit gegen eine gute Portion Schwermut einzutauschen, das kann man bezweifeln.
Aber auch wenn die Serie etwas zu bemüht versucht, das komplexe Innenleben von „Kaiser Karl“ zu ergründen, zeigt „Becoming Lagerfeld“ doch, warum Serien aus der Modewelt gerade so angesagt sind: Die Verbindung aus atemberaubenden Kostümen, Zeitgeist und schillernden Individuen zieht einfach.
Gerne mehr davon
Die bunte Welt der Seventies, Sex Drugs, Funk und Disco fängt die Serie in opulent ausgestatteten Szenen ein. Sie überzeugt mit schauspielerischer Klasse, wunderbarem Licht und Szenographie. Eine zweite Staffel mit Fortschreibung in die gerade so ultrahippen 80er Jahre wäre da sehr gut vorstellbar.
Trailer „Becoming Karl Lagerfeld“, ab 7.6. auf Disney+
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