Große Oper steht mit Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ bei den 60. Heidenheimer Opernfestspielen in der malerischen Ruine des Rittersaals von Schloss Hellenstein auf dem Spielplan. Im Festspielhaus präsentiert der künstlerische Leiter und Dirigent Marcus Bosch eine Entdeckung aus Verdis Frühwerk: die selten gespielte Oper „Alzira“.
Der FC Heidenheim spielt in der Bundesliga – die Opernfestspiele Heidenheim aber mittlerweile in der Champions League. Beide Leistungen sind nicht zuletzt ihren Trainern zu verdanken. Und im Falle der Musik- und Opernfestspiele ist das deren künstlerischer Leiter und Dirigent Marcus Bosch.
Mit einer furios akzentuierten, dynamisch mitreißenden Aufführung von „Alzira“, einem äußerst selten gespielten Frühwerk Giuseppe Verdis, hat sich Marcus Bosch einen Spitzenplatz in der Interpretation des Großmeisters der italienischen Oper erspielt.
Begrenzte szenische Mittel tun der Geschichte gut
Die Mittel in Heidenheim sind begrenzt im Vergleich mit anderen Festivals. Szenisch ist mit der Regie von Andreas Baesler aus der Not eine Tugend gemacht worden. Die Reduktion tut der holzschnittartigen Dramaturgie diese Inka-Geschichte gut.
Um Frieden zu stiften und um das Leben ihres Geliebten Zamoro zu retten, muss Alzira, die Tochter eines Inka-Fürsten, den spanischen Gewaltherrscher Gusmano heiraten. Der rachsüchtige Zamoro ersticht am Ende den Bösewicht und der erfährt eine überraschende Wandlung zu verzeihender Milde.
Schöne Tableaus und historische Kostümanspielungen
Inszeniert ist die dynamisch wenig bewegte Geschichte mit schönen Tableaus und historischen Kostümanspielungen. Auf einem Podium wird sich auf die Dreiecksgeschichte konzentriert, die so ganz italienische Oper des 19. Jahrhunderts ist.
Selbst der Chor gerinnt hier zu skulpturalen Elementen auf der reduzierten Bühne. Der Rest ist soziale und historische Schminke naher Fremde.
Musik von bisher unterschätzter Größe
Aber was für eine Musik! Verdis musikdramatische Formung ist vor allem in den Ensemble- und Chorszenen von bislang unterschätzter Größe, die Marcus Bosch klar herausschält.
Ania Jeruc ist eine samtig gleitende Alzira, Sung Kyu Park ein lyrisch strahlender Zamoro, der die Höhenanforderungen der Partie mühelos packt. Der Gusmano von Marian Pop kontrollierte Stimmgewalt. Alle anderen Rollen perfekt besetzt.
Der fabelhafte Tschechisch Philharmonische Chor aus Brünn und die jede Farbgebung eines Klangbildes des 19. Jahrhunderts ausleuchtende Cappella Aquileia bilden den Kern dieser großartigen Aufführung.
Fremde Welten – so das Spielzeitmotto der diesjährigen Opernfestspiele – bietet nun aber die japanische Geschichte von Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“.
Die Oper wird witterungsbedingt nicht Open Air gespielt, sondern wie „Alzira“ im geschlossenen Festspielhaus. Die konzentrierte Kammerspielinszenierung von Rosetta Cucchi funktioniert dennoch perfekt, denn sie ist eine One-Woman-Show.
Cio-Cio-San, genannt „Butterfly“, wird aus ihrer in einer kokonartigen Muschelhülle behüteten Mädchenwelt durch die Krönung der Schöpfung herausgerissen. Hector Sandoval als Pinkerton ist ein veritables Schwein. Er gestaltet eine Tour de Force der Negativität.
Musikalische Präzision wie sonst bei Mozart
Geschickt wird der Exotismus umgekehrt. Der Butterfly übergestreifte Kimono ist eine sexuelle Fantasie des Amerikaners. Mit Hang zur Selbstaufgabe verkörpert Olga Busuioc die Tragödie der Cio-Cio-San, mit Tonhöhensprechen, Flüstern und dramatisch hochfahrender Emotion.
Sie singt stets im Einklang mit dem Dirigat von Marcus Bosch, der diesmal die Stuttgarter Philharmoniker leitet. Auch hier wieder ein klares Spiel der Farben, nie falsche Sentimentalität, Schärfe und Zerbrechlichkeit mit einer Präzision herausgeschält, die man sonst bei Mozart erwarten würde.
Die gewissenhafte Sorgfalt, mit der sowohl das Seltenheitsstück als auch das Repertoire gepflegt wird, macht diese Opernaufführungen zu einem großartigen Festspielereignis jenseits des Alltäglichen.
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