Mit 95 Jahren ist Jürgen Habermas mittlerweile so etwas wie der Nestor der deutschen Philosophie. In seinem neuen Gesprächsband „Es musste etwas besser werden…“ blickt der bedeutendste deutsche Philosoph auf sein Leben und Werk zurück. Eine überraschend offene und ehrliche Bilanz. Am Ende bleibt die pessimistisch getrübte Einsicht, dass auch der Veränderer Jürgen Habermas am Ende so viel nicht verändert hat.
Habermas bekennt sich zum Pessimismus
Jürgen Habermas ist 95 Jahre alt. Schon an sich ein erstaunliches Alter. Noch erstaunlicher ist, wie entspannt der bedeutendste deutsche Philosoph der Gegenwart sein Leben an sich vorüberziehen lässt und seinen Pessimismus bekennt. Im Gespräch mit seinem früheren Schüler, dem Soziologen Stefan Müller-Doohm, und dem Habermas-Interpreten Roman Yos räumt er zudem auch Fehler in seinem Werk ein.
Habermas schreckt selbst vor Sätzen nicht zurück, die anderen Philosophen kaum über die Lippen kommen würden. Sogar dass er sich immer im Verdacht gehabt habe, gar kein ,richtiger‘ Philosoph zu sein.
Das reine Denken war nie genug
Jürgen Habermas ist Soziologe ebenso wie Philosoph. Einer, dem das reine Denken nie genug war und der ins Handeln kommen wollte. Ein Sozialingenieur, auf der Suche nach den Bedingungen für gelingendes Zusammenleben. Letztlich habe er immer denselben Grundgedanken verfolgt: Wie sich der einzelne in der Gesellschaft, Gehör verschaffen könne, ohne dass diese Freiheit von moralischer, religiöser Autorität garantiert werden muss.
Es ist die Überzeugung gerade des jungen Habermas‘, dieses „Vernunftpotential“ erst einmal mobilisieren zu müssen und das Niveau der neugeschaffenen demokratischen Institutionen der Bundesrepublik tatsächlich auszuschöpfen. Über deren Realität erschrickt der junge Habermas während der Adenauer-Jahre: über Politiker, die jedes Gefühl für den notwendigen Bruch mit der Nazizeit hätten vermissen lassen.
Selbstkritische Erkenntnis über Habermas‘ Hauptwerk
Habermas denkt als Veränderer. So kommt er von der Philosophie zur Soziologie. Und schließlich nach Frankfurt, zu Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Er verfolgt den Gedanken, Kommunikation aus den Banden von Machtansprüchen zu lösen.
Leider verhakt sich der Philosoph dabei in der Exegese seiner wichtigen Bücher, folgt viel technisches Kleinklein, das die Habermas-Lektüre oft so anstrengend macht. Immerhin wartet am Ende die selbstkritische Erkenntnis, dass die Rezeption seines Hauptwerks, der „Theorie des kommunikativen Handelns“, in diesem Dickicht steckengeblieben ist.
Philosophische Weggefährten bleiben Randgeschehen
Schade, dass diese Detailwut so viel Platz verschlingt. Denn Jürgen Habermas hat viel erlebt, als Weltreisender in Sachen Philosophie – und schildert vieles nur im Vorübergehen.
Dazu gehören das New Yorker Kaffeetrinken mit Hannah Arendt und dem Schriftsteller Uwe Johnson, Besuche bei Gershom Scholem in Jerusalem, die Begegnung mit berühmten Weggefährten wie Richard Rorty, Hilary Putnam, Jacques Derrida oder Charles Taylor. Habermas erzählt, was ihn mit ihnen verband – und oft auch von ihnen trennte. Ein Hauch von Abschied liegt über diesen Schilderungen.
Ernüchternde Bilanz des Vernunft-Veränderers Habermas
Ein Gefühl, dass trotz enormem Fleiß und erstaunlicher Produktivität auch das eigene Werk Stückwerk bleiben wird. Sein pessimistisches Fazit: In der Vernunft brüte der Defätismus. Die Geschichte liefere lediglich „Spuren der Vernunft“, aus denen die Philosophie, „zwar keine Zuversicht, aber die Ermutigung schöpfen kann, die Krisen der Gegenwart offensiv anzugehen, um sie doch noch zu bewältigen.“
Ein dürres Schlusswort, mit dem Eingeständnis, das auch der Vernunft-Veränderer Jürgen Habermas am Ende so viel gar nicht verändert hat.
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