Als 1951 das Institut für Sozialforschung an der Frankfurter Universität wiedereröffnet wurde, konnte niemand ahnen, wie wichtig dieser Schritt für die junge Bundesrepublik war. Unter Max Horkheimer und Theodor W. Adorno wurde das Institut zu einer moralischen Instanz. Der Historiker Jörg Später erzählt die lange Geschichte der Frankfurter Schule von den Anfängen in den 1920er Jahren bis heute.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die deutsche Bevölkerung nicht nur mit dem unvorstellbaren Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen konfrontiert, sondern auch an einem moralischen Tiefpunkt angelangt. Wer nicht mit dem Verschweigen und Vertuschen der eigenen Taten beschäftigt war, beteiligte sich an der Verdrängung der Taten anderer. Ein Interesse an einer echten Aufarbeitung der grausamen Vergangenheit hatten nur wenige.
Die Rettung aus dem Exil
In dieser Situation waren es die exilierten Intellektuellen, die der Bundesrepublik zu einem neuen Gewissen verhalfen. Unter denen, die rechtzeitig fliehen konnten, waren viele Juden, die sich immer noch ihrer Heimat verbunden fühlten. Ihre Rückkehr nach Deutschland wurde keineswegs begrüßt, stellten sie doch eine kritische Stimme dar, die niemand hören wollte. Der berühmteste unter ihnen war Theodor W. Adorno, ein öffentlicher Intellektueller wie kaum ein anderer.
Die weitreichenden Folgen dieser Rückkehr hat der Historiker Jörg Später nun in seinem Buch „Adornos Erben. Eine Geschichte aus der Bundesrepublik“ rekonstruiert. Adorno ist erst spät nach der Machtergreifung zunächst nach England, dann endgültig in die USA emigriert. Bei seiner Rückkehr hatte er eine Kritische Theorie im Gepäck, deren Wirkung der Philosoph Manfred Frank wie ein Lebenselixier beschrieben hat:
Der neue kategorische Imperativ
Bereits in seinem amerikanischen Exil hatte sich Adorno einen Namen gemacht, vor allem mit der „Dialektik der Aufklärung“, die er zusammen mit Max Horkheimer geschrieben hatte. Dieses Buch wurde zu einer der wichtigsten intellektuellen Ressourcen der Bundesrepublik und hat ganze Generationen geprägt. Während viele Deutsche die nationalsozialistische Herrschaft am liebsten aus ihrer Erinnerung getilgt hätten, machte Adorno sie zum Ausgangspunkt seines Denkens und formulierte einen neuen kategorischen Imperativ für die Nachkriegszeit:
Für die Verbreitung dieses Imperativs spielte das Institut für Sozialforschung eine zentrale Rolle. Ohne diese Einrichtung an der Frankfurter Universität wäre die enorme Wirkung der Kritischen Theorie nicht möglich gewesen. Gegründet wurde das Institut 1924, seine Gründer waren enttäuscht von der Novemberrevolution. Ihre Absicht war es, eine Theorie der Gesellschaft zu entwickeln, mit der die Klassenkämpfe der Weimarer Republik besser zu verstehen waren als mit der orthodoxen marxistischen Lehre.
Die Auseinandersetzungen von 1968
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde das Institut geschlossen. Die Belegschaft übersiedelte nach New York, wo ihr von der Columbia University ein Haus zur Neugründung überlassen wurde. Wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte das Institut auf Bitten der Stadt Frankfurt wieder zurück und wurde schnell zu einem der wichtigsten Orte für die Aufarbeitung der Vergangenheit.
Nachdem sich Horkheimer zurückgezogen hatte, wurde Adorno alleiniger Direktor des Instituts. Der Höhepunkt seiner Anerkennung als moralische Instanz fiel zusammen mit den Turbulenzen, in die das Institut durch die Studentenbewegung geriet. Dem philosophischen Meister wurde vorgeworfen, einer echten Revolution auszuweichen. Entsetzt musste Adorno zusehen, wie die Studenten unter Berufung auf seine eigene Theorie immer dogmatischer wurden:
Als Adorno 1969 starb, hinterließ er ein weit verzweigtes Netz von treuen Anhängern. Sein wichtigster Schüler Jürgen Habermas begleitet die Bundesrepublik bis heute. In seiner brillant geschriebenen Studie geht Jörg Später diesem Netz mit großer Genauigkeit nach. Vor allem aber macht er deutlich, wie wichtig die jüdische Erfahrung für die Begründer der Kritischen Theorie war, ein Umstand, der heute viele Jahrzehnte später selbst an den deutschen Universitäten in Vergessenheit zu geraten droht.
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