SWR2 lesenswert Kritik

Shole Pakravan, Steffi Niederzoll – Wie man ein Schmetterling wird. Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari

Stand
Autor/in
Anselm Weidner

Ein beeindruckendes Buch über die Grausamkeit des religiösen Totalitarismus und die Frauenfeindlichkeit im Iran und zugleich eine Dokumentation des solidarischen Kampfes gegen das Mullah-Regime. Es gehört mit Rosa Luxemburgs "Briefe aus dem Gefängnis" oder Luise Rinsers "Gefängnistagebuch" zur großen Gefängnisliteratur.

Berlin Verlag, 268 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-8270-1370-5

Reyhaneh Jabbari hat als 19-jährige im Iran ihren Vergewaltiger in Notwehr erstochen, dafür wurde sie zum Tod verurteilt und 2014 hingerichtet. Jetzt hat ihre Mutter Shole Pakravan zusammen mit der Filmemacherin Steffi Niederzoll ein Buch darüber geschrieben: "Wie man ein Schmetterling wird. Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari" – Anselm Weidner.

Dies im Voraus: das Buch „Wie man ein Schmetterling wird. Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari, ist ein oft schwer zu ertragendes Dokument der Grausamkeit des totalitären iranischen Regimes, seines allgegenwärtigen misogynen Terrorapparats und eines Systems von Folter, Erniedrigung, Drohungen und Vergewaltigungen, das sich iranische Justiz nennt.

Erzählt wird die Geschichte der Studentin Reyhaneh Jabbari. Sie hatte sich 2007 gegen den Vergewaltigungsversuch eines Mannes, des iranischen Geheimdienstmitarbeiters Morteza Abdolali Sarbandin, der sich als Arzt ausgab, in Notwehr mit einem Messer gewehrt. Er stirbt kurze Zeit später. Sie kann fliehen und wird am nächsten Tag verhaftet. Nun beginnt Reyhannehs siebenjähriger Leidensweg durch Teheraner Gefängnisse bis zu ihrer Hinrichtung durch den Strang am 25. Oktober 2014. Auch internationaler Protest von Menschenrechtsorganisationen, Künstlern aus aller Welt, den Vereinten Nationen, der US-Regierung und der EU hatte ihren gewaltsamen Tod nicht verhindern können.

Reyhaneh wurde gefoltert, blutig geschlagen, erniedrigt, bedroht. Geständnisse wurden unter Folter erpresst, Beweismittel und Ermittlungen manipuliert. Die Angeklagte wird in den Medien als Hure und Mörderin verhöhnt, ihre Eltern werden diffamiert. Während des Gerichtsprozesses wird ein zu milder Richter durch einen ersetzt, der bereits über tausend Frauen und Männer in den Tod geschickt hatte. Einer ihrer Anwälte wird so unter Druck gesetzt, dass er ins Exil flüchten muss. 2009 wird Reyhaneh nach dem Qisas, dem Blutrachegesetz der Sharia, zum Tod durch den Strang verurteilt.

Nachdem ich das Urteil gelesen hatte, war mein Hals plötzlich wie ausgetrocknet. Ich las diese Zeilen immer und immer wieder. Die gedruckten Wörter verschwammen vor meinen Augen. Ich hatte keine Angst, und ich war auch nicht wütend. Ich erinnere mich vor allem an das überwältigende Gefühl, es nicht glauben zu können. (S.150)

So schildert Reyhanehs Mutter, die iranische Schauspielerin Shole Pakravan, ihre Reaktion auf das Todesurteil. So ungeheuerlich die Fakten, so irritierend unbeholfen, ja ohnmächtig erscheint manchmal die Sprache der Autorin und ihrer Co-Autorin, der Filmemacherin Steffi Niederzoll, gerade so, als ließen sich im fortwährenden Schmerz für den unbegreiflichen Tod der jungen Frau die angemessenen Worte nicht finden. – Ganz anders der Ton der Texte von Reyhanneh Jabbari selbst, Tagebuchaufzeichungen, aus den Gefängnissen geschmuggelte Briefe und Tonmitschnitte von Telefonaten.

Ich, Reyhaneh Jabbari, bin 26 Jahre alt. Ein Seil hängt vor meinen Augen, das ich nicht fürchte. Ich schreibe, um meine Geschichte zu erzählen. Ich möchte alles erzählen, was ich vor Gericht gesagt habe und der Richter nicht verstanden hat. Und alles, was ich unter Folter geschrien habe und nicht gehört wurde. (…) Vielleicht hört jemand auf dieser Welt meine Stimme und fühlt meinen Schmerz. (…) Ich möchte erzählen, was mir im Alter von 19 Jahren widerfahren ist und was mich den Tod nicht länger fürchten lässt. Ich erzähle, damit die Menschen erfahren, wie meine Stimme zum Schweigen gebracht wurde; wie die unglücklichen Ereignisse, infolge derer ich als Mörderin bekannt wurde, durch Verschwörung und Betrug verdreht wurden. (S.10,11))

So ein Auszug aus einem Brief, der kurz vor Reyhannehs Hinrichtung aus dem berüchtigten Teheraner Evin Gefängnis geschmuggelt wurde. „Wie man ein Schmetterling wird. Das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari“ ist mit der Schilderung des mutigen Kampfes der Mutter Shole Pakravan, ihres Mannes und ihrer Töchter für die Freiheit der Tochter, für Toleranz, Wahrheit und Gerechtigkeit zugleich ein Buch der Hoffnung, Liebe, und Solidarität und gehört wie Rosa Luxemburgs „Briefe aus dem Gefängnis“ oder Luise Rinsers „Gefängnistagebuch“ zur großen Gefängnisliteratur.

Für ihren Film „Sieben Winter in Teheran“, eine Verfilmung der Geschichte des Buches, hat die Co-Autorin Steffi Niederzoll gerade den Friedensfilmpreis der diesjährigen Berlinale erhalten.

Stand
Autor/in
Anselm Weidner