Buchkritik

Sidik Fofana – Dünne Wände

Stand
Autor/in
Claudia Fuchs

Acht Mieter in einem Hochhaus in Harlem – nur getrennt durch „Dünne Wände“. So heißt die Kurzgeschichtensammlung des afro-amerikanischen Autors Sidik Fofana, das bald nach Erscheinen schon für mehrere amerikanische Literaturpreise nominiert wurde. Darin erzählt er in alltagsnaher, teils rhythmischer Umgangssprache, wie es sich anfühlt, in einer Schwarzen Nachbarschaft zu wohnen, die gentrifiziert werden soll. Schon beim Lesen gehen die Geschichten eindringlich ins Ohr.

Ein Chor aus acht Stimmen – laut, pulsierend, fast wie ein Sprechgesang. Sidik Fofana, Sohn westafrikanischer Immigranten, lässt in seinem Short-Story-Zyklus „Dünne Wände“ acht Mieter*innen aus einem Hochhaus in Harlem ihre Geschichten erzählen. Sie machen uns zu Zeugen einer erbarmungslosen Gentrifizierung.  

Acht Nachbarn aus Harlem erzählen

Mit Einfallsreichtum, Kampfgeist und Wohlfahrtsschecks halten sich die meisten Mieter*innen hier knapp über Wasser. Mimi, Mitte zwanzig und alleinerziehende Mutter, ist genervt von dem Gerede über das Haus. Mit welchen Nachbarn sie hier wohnt, stellt sie in der ersten Geschichte „Handbuch für Mieter“ klar:  

Manche leben von Kindergeld. Ihre Onkel sind im Gefängnis, ihre Tanten auf Crack, ihre Cousins in Gangs, ihre Schwestern auf dem Strich. Das sind die Geschichten, auf die alle geil sind. Der Scheiß, der vielleicht einmal im Jahr passiert. Da quatschen die niggas heut noch von, als wäre es gestern gewesen.  

Wer das liest, braucht keinen Stadtplan, um zu wissen, wo die Geschichten spielen. Sidik Fofana schreibt über das Leben in einer Schwarzen Nachbarschaft und der Übersetzer Jens Friebe hat das N-Wort politisch korrekt im englischen Original belassen.  

Für diese authentischen, frischen Stimmen wünscht man sich sofort ein Hörbuch, das die forschen Töne ebenso zum Klingen bringt wie die bedrückende Hilflosigkeit. 

Man hat die Protagonist*innen also im Ohr und fast vor Augen, während man ihre Geschichten liest, die alle aus der Ich-Perspektive erzählt werden: Da ist zum Beispiel Mimis Ex-Freund Swan, der kaum Geld für den gemeinsamen Sohn abdrückt und bei seiner Mutter wohnt, die mit zwei Jobs die Miete finanziert. Oder der schwule Nachbar Dary, der die Kellnerin Mimi bei ihrer Schwarzarbeit als Haarstylistin unterstützt. Ein bisschen Glamour im trüben Alltag. Der amerikanische Traum vom sozialen Aufstieg lässt die Mieter*innen in dem verwohnten Hochhaus mit kaputten Waschmaschinen und defekten Aufzügen nicht aufgeben.  

Mahnschreiben und Mieterhöhungen: Gentrifizierung droht! 

Dramaturgisch werden die eng verzahnten Geschichten durch die drohende Gentrifizierung des Viertels vorangetrieben. Mit Mahnschreiben und Mieterhöhungen versucht ein Investor, die Bewohner*innen hinauszudrängen. Solidarität, Kreativität und Mut sind die Basis einer Resilienz, die den Menschen am Rand der Gesellschaft hilft, der Macht der Verhältnisse zu trotzen. 

Auch wenn sich beim Lesen einzelner Geschichten Resignation einschleichen mag, überwiegt doch der Respekt vor der Widerständigkeit der bedrängten Mieter*innen mit ihren unterschiedlichen Biografien.  

Fofanas Perspektivwechsel sind sprachlich gewagt, denn eine gestandene fünfzigjährige Schulbegleiterin spricht und denkt anders als ein Zwölfjähriger, der zwar verblüffende Dance-Moves beherrscht, aber keine Rechtschreibung. Den Brief an die Mutter seines toten Freundes schreibt der Junge nach Gehör.  

Gelungene Übersetzung des amerikanischen Slangs 

Dem Übersetzer Jens Friebe gelingt es, die Mischung aus Black English mit doppelter Verneinung, Umgangssprache und Jugend-Soziolekt in ein Deutsch zu übertragen, das den Alltag in einem New Yorker Sozialbau zumindest annähernd vermittelt. Dass Friebe auch Musiker ist, kommt der vibrierenden, rhythmisierten Sprache des Buches zugute, denn Fofanas Schreibstil ist von literarischen Vorbildern ebenso geprägt wie von HipHop und Rap.  

Besonders aufrüttelnd sind die Geschichten, in denen junge Protagonist*innen sich aus der bitteren Realität hinausträumen. „Luxuswohnungen in den Wolken“ plant der Investor, während Mimis Nachbar Dary überlegt, ob er als Stricher die nächste Miete finanzieren soll.  

Kann man sich nicht vorstellen, man würde es einfach aus Spaß machen? Seit meiner Geburt war mir klar, aus mir wird mal was Großartiges. Ich hab das volle Paket, einnehmendes Wesen, Talent, fotogen bin ich auch. Weißt du, wie viele Menschen da draußen keinen Traum haben, für den sie leben? Du musst immer bereit sein für den großen Durchbruch.  

„Das Thema, das die Geschichten verbindet, ist der amerikanische Traum und die Enttäuschung des amerikanischen Traums“, sagt Sidik Fofana. Das ist ihm literarisch so überzeugend gelungen, dass man dieses realitätssatte Buch mit dem gleichen Erkenntnisgewinn liest wie eine gut recherchierte Reportage.

Romane, die in Harlem spielen

Buchkritik Colson Whitehead – Die Regeln des Spiels

Schießereien, Raub, Rassenunruhen, Korruption und ständig Brandstiftungen – willkommen im Harlem der Siebziger Jahre. In seinem Roman „Die Regeln des Spiels“ fängt Colson Whitehead mit Witz den angekränkelten Spirit New Yorks in seiner düstersten Dekade ein und zeichnet ein Wimmelbild der kriminellen Szene.

Rezension von Wolfgang Schneider.
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Hanser Verlag, 384 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-446-27754-0

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